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Hinter der Legende...
KENNEDY. Von Theodore C. Sorensen. Verlag R. Piper & Co., München I960, 151 Seiten, :14 DM.
KENNEDY. Von Theodore C. Sorensen. Verlag R. Piper & Co., München I960, 151 Seiten, :14 DM.
„Abgesehen von Ausnahmen, die ebenso selten wie Naturwunder Vorkommen, sind erfolgreiche Politiker in einer Demokratie unsichere und eingeschüchterte Geschöpfe. Ihr politischer Fortschritt wird nur dadurch ermöglicht, daß sie faule Zugeständnisse machen, bestechen, verführen, schwindeln oder sonst irgendwie die fordernden und bedrohenden Elemente unter ihren Wählern zu manipulieren versuchen“ (Walter Lipp- mann). Folgt man dieser pessimistischen Charakterisierung eines erfolgreichen Politikers, so war John F. Kennedy ohne Zweifel eine der Ausnahmen, die so selten wie Naturwunder Vorkommen: Wenn er auch oft unsicher war, so war er nie eingeschüchtert, und auch der schärfste Kritiker wird beim 35. Präsidenten der USA zwar ein gerütteltes Maß an Opportunismus feststellen können (ohne einen gewissen Opportunismus oder, besser, ohne Relativismus, ohne taktisches Denken gibt es keine Demokratie), aber wohl kaum Bestechung, Verführung oder Schwindel. Und zu einem erfolgreichen Politiker macht Kennedy allein schon der Ruf, der heute noch mit seinem Namen verbunden ist: Beweis für das erfolgreiche Wirken einer Persönlichkeit, die nahe daran war, der mächtigsten Demokratie der Welt eine neue Aufgabe und eine neue Hoffnung zu geben.
Kennedys Leben und Sterben ist bereits zur Legende geworden. Nichts kann einer durch die Mytholo- gisierung bedingten Verzerrung hinderlicher sein als eine Darstellung der gesamten politischen Tätigkeit in der populären und zugleich fundierten Form, wie sie die angelsächsische politische Literatur vorbildlich entwickelt hat. Und wohl niemand ist zu einem solchen Buch besser legitimiert als der Mann, der mehr als ein Jahrzehnt der engste politische Berater des Senators und Präsidenten war, als eben Theodore C. Sorensen. Von durchaus unterschiedlicher politischer Herkunft — Sorensen ist der typische liberale „Egghead“ (auch in seinen naiven Vorurteilen gegenüber der katholischen Kirche), während Kennedys Ausgangsmilieu das eines konservativen Neuenglandmillionärs war, allerdings verfremdet durch sein katholisches Bekenntnis —, wurden Kennedy und Sorensen schon während der acht Jahre im Kapitol ein hervorragend funktionierendes Team, zu dem sich später, im Weißen Haus, noch Männer wie Schlesinger, Bundy und Salin- ger gesellten.
Für diejenigen, die sich von Sorensen eine interessante Inside story in dem Sinn erwarten, daß er oft vermutete, aber nicht näher bewiesene ernste Differenz in der US-Regie- rung mitteilt, ist das Buch wenig ergiebig. Johnson und McNamara erhalten gute Zensuren (im Gegensatz zu de Gaulle und Adenauer), und die inneren Gegensätze, die erwähnt werden, sind schon allgemein bekannt. Auch fehlt Sorensen manchmal der nötige persönliche (und wohl auch zeitliche) Abstand zu Kennedy. Aus anderen Gründen ist das vorliegende Buch ein bedeutendes Dokument. Durch die Berichterstattung über die Arbeitsweise und die nur intern eingestandenen Erwartungen und Pläne des Präsidenten erhält das Bild Kennedys auch für genaue Beobachter der amerikanischen Politik neue Nuancierungen. Vor allem aber liefert Sorensen den Historikern Material für die Einordnung eines Geschichtsabschnittes, den wir eben erst erlebt haben, eines Abschnittes der Weltgeschichte, der gekennzeichnet war durch das In-Bewegung-Kommen der starren Fronten. Der Hintergrund der Kubakrise und anderer markanter Punkte von Kennedys Administration erfahren eine Ausleuchtung durch einen Mann, der selbst dem kleinen Kreis angehörte, der für den Präsidenten die entscheidenden Studien und Vorschläge ausarbeitete. Besonders interessant sind die Berichte über das Wiener Treffen mit Chruschtschow und den geheimen Briefwechsel zwischen den beiden damals mächtigisten Männer der Welt. Die mächtigsten Männer der Welt zeigen sich hier als Gefangene der tatsächlichen oder angeblichen Notwendigkeiten, als Gefangene, die sich aber ihrer Unfreiheit bewußt sind.
Aus Sorensens Buch schält sich ein spezieller Gesichtspunkt heraus, der wahrscheinlich auch einmal von den Historikern einer anderen Epoche bestätigt werden wird: daß Kennedy ständig an Profil gewonnen hat. Der Präsidentschaftskandidat war ein reiferer Politiker als der Senator; der Präsident war nach der Kubakrise noch profilierter als in der ersten Hälfte seiner Amtszeit. Damit umreißt Sorensen, ohne es direkt auszusprechen, den tragischsten
Umstand des frühen Todes. Die Schüsse von Dallas trafen einen Mann, der eben erst voll und ganz zu sich selbst gefunden hatte, der seinen und der USA zukünftigen Weg jetzt endlich klar aus dem Nebel der Unsicherheiten hervorsteigen sah, der den Mut gefunden hatte,
auch gegen das „establishment“, gegen tabuierte Interessen, Traditionen und Bürokratien seine Politik zu machen. Als Kennedy nahe daran war, seinem Land bleibend den Stempel seiner Persönlichkeit aufzudrücken, mußte er sterben.
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