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Hintergründe eines Zwistes

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In den Reden der Kommunisten aller Länder trifft man immer wieder auf die einheitliche Beteuerung, daß die Volksdemokratie eine friedliche Entwicklung begrüßen würde. Das Verdienst an dieser Harmonie gebührt der Kominform. Sie hat sich zur Aufgabe gestellt, „die Tätigkeit des imperialistischen Lagers und seiner maßgeblichen Kräfte, seine strategischen Planungen und die ökonomischen Expansionsbestrebungen zu behindern, indem sie das volksdemokratische Lager vereinigt und eine gemeinsame Plattform gegen den kapitalistischen Imperialismus schafft”.

Wir Europäer haben genugsam erfahren, daß die politische Moral einen doppelten Boden haben kann und Friedensreden oft nur für den kleinen Mann bestimmt sind. Trotzdem darf man annehmen, daß kein Land der Welt vorsätzlich einen neuen Konflikt wünscht. Es gab aber schon genug Auseinandersetzungen wider Willen, und wenn nicht alles trügt, ist Tito zu der Überzeugung gelangt, daß eine Politik, ‘die in die gefährliche Nähe einer Katastrophe führt und sein Land zum vordersten Schauplatz des Konflikts machen könnte, seinen Interessen nicht dient. Wie sehr Prestige, verletzte Eitelkeiten und höfische Intrigen auch den gesamten Komplex noch verwirren mögen, eines ist sicher, daß nicht nur Jugoslawien, sondern alle Völker der sowjetischen Ein- flußzone nichts dringender vonnöten haben als einige Jahre Ruhe.

Noch atmet die Welt schwer nach dem zweiten Weltkrieg, aber der Wohlstand schreitet im Westen schneller vor als im Osten und die finanzielle und produktive Potenz des „imperialistischen Lagers” ist wieder bedeutend. Das kommunistische Sechstel der Erde aber muß durch eine hart empfundene Mobilisierung der menschlichen Kräfte das fehlende Kapital ersetzen, und sein wirtschaftliches Knochengerüst hatte noch nicht Zeit, Fettballen anzusetzen. Die Wirtschaft des Ostens, ohne die auch ein kommunistischer Fanatiker nicht Krieg führen kann, ist in der ersten Etappe des Aufbaues. Die Nahrungsbasis ist schmal und die Sowjetunion mußte ihre Getreideüberschüsse an ihre Verbündeten verteilen, um sie für die Absage an den Marshall-Plan zu entschädigen; die Fetteinfuhren aus Übersee sind enorm und das Fleischmanko drückend.

Ebenso unvollkommen ist dort das Verkehrswesen, viele Bahnen werden erst ausgebaut. Eine neue polnische Kohlenmagistrale von Oberschlesien nach Stettin, eine direkte Verbindung von Mähren nach der Slowakei, eine Querlinie durch die Südslowakei, eine südbalkanische Transversale zwischen Nisch ond Montenegro, in Bulgarien die vierte Überquerung des Balkangebirges durch einen Schienenstrang zwischen Lovec und Trojan. Sehr im argen sind die Nord-Stid-Verbin- dungen zwischen Ostsee und Schwarzem Meer oder der Donau und der Adria. Dazu sind die Übergänge von der russischen Breitspur auf Normalspur wenig leistungsfähig und die Tschechen hatten in Cierna an der karpathenukrainischen Grenze peinliche Kalamitäten, um das russische Getreide rechtzeitig auf ihre Bahnen umzuladen. Die Rote Armee besitzt selbst nur mehr eine einzige Breitspurlinie über Warschau nach Berlin, die zweite Strecke aus der Ukraine über Lemberg nach Schlesien wurde im Herbst von den Polen schon umgenagelt. Die Knappheit an rollendem Material ist beängstigend und in kurzen Abständen wird den Eisenbahnern mit Strafen gedroht, wenn sie den Umlauf der Waggons nicht beschleunigen. Die Wasserwege sind noch wenig genutzt, die Oder erst seit dem Herbst voll befahrbar, der Weichselverkehr stagnierend, der Warthekanal in Reparatur und der Oder-Donau-Kanal in Vermessung. Die Slowaken gehen an die Schiffbarmachung der Waag, die Ungarn verbinden die Donau mit der Theiß, die Kroaten Agram mit Sissek. Überall sind die Häfen unzureichend, kein einziger Donaustaat hat den Schiffsraum wieder auf Normalstand und das Flugwesen ist unentwickelt.

Ein anderer Engpaß sind die Rohstoffe für die Industrie, was den Osten zum Handel mit dem Westen zwingt, weil die Sowjetunion den Hunger nach Material nicht zu decken vermag. Viele Oststaaten beschränken weiter den Konsum, um Exportgüter frei zu machen, es fehlt an Wolle, Baumwolle, Wolfram, Leder, Eisen, Buntmetallen und an — Dollars, ein groteskes Widerspiel zu den anmaßenden Worten von der eigenen Unangreifbarkeit. Nur die Sowjetunion und Jugoslawien arbeiten schon nach einem Fünfjahresplan, die anderen Staaten mit provisorisch erstellten kürzeren Plänen. Die Abschöpfung des Nationaleinkommens muß die Kredite der Weltfinanz ersetzen und alle Ersparnisse werden in Bauten investiert. Der Sektor der Ostwirtschaft demonstriert ekkla- tant die Unfertigkeit einer kriegstauglichen Rüstung. Polen hat die Kohlengruben aktiviert, ist aber in der Eisenbranche auf die Hilfe der Tschechoslowakei angewiesen. Diese ist in schwerindustrieller Expansion begriffen, pumpt alle Arbeitskräfte einseitig in diese Produktion, und muß andere Industrien am Rande liegenlassen. Ihr Außenhandel mit den Pfund- und Dollarländern ist alarmierend passiv und doch hängen wiederum die Agrarländer des Südostens entscheidend von der Funktion des polnischen und tschechoslowakischen Lieferanten ab. Jugoslawien bleibt auf Jahre hinaus ein einziger Bauplatz, die eben errichteten Industriewerke sind erst halbfertig und der Bedarf an ausländischen Kapitalsgütern ist unabsehbar groß. Nicht minder ruhebädürf- tig ist Bulgarien, das eine hundertjährige Industrierevolution in wenigen Jahren nachholen will. Auch wenn die Sowjetunion manche Ausrüstung beistellt, muß erst noch eine neue Generation zur Handhabung der Fabriken geschult werden.

Seit der Nationalisierung der Wirtschaft ist erst eine kurze Zeit vergangen. Der ständige Wechsel in den Regierungsämtern, bürokratische Fehldispositionen, verzweifelte Appelle an die Belegschaften zur Erzeugung von Massen und Qualitäten, Experimente mit der Menschenführung, Strafgesetze für Wirtschaftsschädigung — Symptome der Krankheitskeime in den wirtschaftlichen Organismen, die keine Minute ohne Desinfektion, ohne chirurgischen Eingriff auskommen können. Der Zustand in seinem Vorgelände verlockt dazu, gewisse Rückschlüsse auf die Lage der Wirtschaft in der Sowjetunion selbst zu ziehen.

Auf diesem Hintergrund vollzieht sich der Zwist im Kommunismus und es ist gewiß nicht das Ziel, sondern der Weg, der seine Führer entzweit. Die Schwächen Jugoslawiens sind auch die Schwächen der Partner, weshalb Tito den Bogen nicht überspannt sehen will. Es war schon ein bedenkliches Anzeichen, daß er eine Zwangsanleihe von 3,5 Milliarden Dinar ausschreiben mußte, obwohl noch bei der Budgetdebatte im Mai die Redner im Zentralparlament den gewaltig überhöhten Haushalt als real bezeichne- ten. Eine genügende Unterstützung der anderen Planwirtschaftsländer konnte Tito nicht erfahren, weil es diesen selber nicht gut geht. Deshalb ist der M a r s h a 11 - P1 a n auf die Jugoslawen nicht ohne Eindruck geblieben und das in den Vereinigten Staaten noch blockiert gewesene Gold ist ein Wert, um den mit Kapitalisten zu feilschen es sich mehr verlohnt, als einen Krieg zu riskieren, dessen griechisches Präludium in Belgrad deutlicher zu hören ist als im Kreml.

Tito nimmt die Beteuerung der sowjetischen Politik von der unantastbaren Souveränität der kleinen Länder ernst. Er will einer Einmischung des einen wie der anderen Weltmacht Vorbeugen, indem er sich schonseit dem vorigen Sommer um die Vereinigung der Völker an der unteren Donau bemüht. Man versteht heute besser die Rüge, die Georgi Dimitrov im Winter von der Moskauer „Prawda” erhielt, weil er im Salonzug zwischen Bukarest und Sofia die Idee einer solchen Donauföderation vor Journalisten preisgab. Es könnte nämlich passieren, daß in einem Konflikt zwischen Ost und West am Balkan eine neutrale Zone entsteht.

Als kürzlich der Londoner Rundfunk das geniale Phantasiespiel „RUR” des längst verstorbenen Tschechen Karei Čapek sendete, in dem der Maschinenroboter die Menschheit vernichtet, sah sich der Regisseur veranlaßt, den Zeitpunkt der Katastrophe auf das Jahr 1980 zu verlegen, obwohl Čapek lange vor dem Krieg das kritische Jahr für 1950 prophezeit hat. Wir wollen uns weder für das eine noch das andere Datum entscheiden, sondern dafür sorgen, daß Karei Čapeks Spiel bleibt, was es sein sollte, eine warnende Utopie!

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