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Historiker der Päpste

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Ludwig von Pastors „Tagebücher — Briefe —Erinnerungen“. Herausgegeben von Wilhelm Wühr, Verlag Kerle, Heidelberg

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Ludwig von Pastors „Tagebücher — Briefe —Erinnerungen“. Herausgegeben von Wilhelm Wühr, Verlag Kerle, Heidelberg

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Als Ludwig Freiherr von Pastor, der unvergleichliche, von Freunden und Gegnern bewunderte Geschichtsschreiber der Päpste, 1928 für immer seine nimmermüde Feder aus der Hand legen mußte, da glaubte man allgemein, daß dem überreichen Ertrage seiner wissenschaftlichen Tätigkeit, die sich hauptsächlich in den 22 Bänden seiner „Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters“ und seinen übrigen geschichtlichen und kultur-geschichtlidien Büchern widerspiegelte, nichts Wesentliches mehr hinzuzufügen wäre.

22 Jahre nach dem Tode des Sprößlings einer altangesehenen Aachener Patrizierfamilie, sind jüngst seine „Tagebücher — Briefe — Erinnerungen' erschienen. Das Werk, das selbst von Papst Pius XII. mit lebendiger Anteilnahme und Wißbegierde aufgenommen wurde, ist in vieler Hinsicht eine ganz einzigartige Publikation, Quell und Fundgrube neuer Erkenntnisse für die politische, die Geistes- und Kirchengeschichte der Zeit von 1870 bis 1928.

Ludwig von Pastor ist der Mann der weiten Horizonte, der abgewogenen Urteilsmaßstäbe, der vergleichenden Geschichtsbetrachtung, der Völkerpsychologe und der feinfühlige Seelen-kennner, dem als oberstes Gesetz seines wissenschaftlichen Wirkens „Vitam impendere vero“. das Leben dem Dienst der Wahrheit zu weihen, vorschwebte. Dieses Leben vollzog sich in einer interessanten, spannungsreichen Epoche der Geschichte von 1854 bis 192 8. Geist und Gemüt Pastors könnte man mit einer Membrane vergleichen, die alle Schwingungen des geschichtlichen, kirchengeschichtlichen und religiösen Lebens sorgsam auffängt.

Davon legen seine Tagebücher, Briefe und Erinnerungen ein spontanes Zeugnis ab. Die Aufzeichnungen in seinen Diarien, die schon in seinen jungen Jahren eine rege Intelligenz und objektive Zuverlässigkeit verraten, wachsen mit dem Mannesalter bald zu geistvollen Apercus über Personen und Zeitverhältnisse, bald zu retrospektiven und perspektivischen Betrachtungen im geschichtlichen und kirchengeschichtlichen Raum von überraschendem Scharfsinn an. Für Rom und den Bereich der Kurie, wo er jahrzehntelang als forschender Historiker, als Beobachter der Gegenwart und schließlich als österreichischer Gesandter am Vatikan von 1920 bis 1928 wirkte, ist dies von einzigartigem Wert, weil es eben so wenige wirklich objektive Quellen über diese Umwelt in der Gegenwart gibt. Der hervorragende evangelische Kirchenhistoriker Ulrich Stutz, der dem Heiligen Stuhl mit Interesse und Verständnis gegenüberstand, klagte in seiner Studie „Die päpstliche Diplomatie unter Leo XIII. nach den Denkwürdigkeiten des Kardinals Domenico Ferrata“, daß es nichts Unpersönlicheres an sich als den Vatikan gäbe: „Zwar setzt sich die römische Kurie aus scharfumrissenen Persönlichkeiten zusammen und weist Charakterköpfe auf, wie wir sie in solcher Vereinigung kaum wieder begegnen. Aber alles ordnet sich einem großen Ganzen unter und fügt sich einer höheren Einheit ein, der gegenüber wenigstens nach außen der einzelne zurücktritt. — Je näher der kirchlichen Zentralregierung, um so größer die Zurückhaltung.“ Stutz freute sich als Kirchenhistoriker, daß die Memoiren des 1914 verstorbenen Kardinals Ferrata, die mit Gutheißung Benedikts XV. herausgegeben wurden, Licht in sonst verschlossene kuriale Sphären warfen. Ihnen eignet der Vorzug einer bewußt zusammenhängenden Darstellung, während die Tagebücher Pastors sorgsame, aneinandergereihte Notizen und Reflexionen, unterbrochen von Reden des Verfassers selbst oder an diesen, von Briefen, Mitteilungen und Widmungen an ihn sind.

Daher die abwechslungsreiche Fülle von Gesichtspunkten und Themen, die jeden gebildeten Menschen, besonders aber den Kulturgeschichtler und Kirchenhistoriker fesseln. Von besonderem Interesse ist zum Beispiel der Briefwechsel Pastors mit Jacob B u r c k-h a r d t, darunter ein Schreiben des letzteren über Nietzsche vom Jänner 1896. Der 1897 verstorbene Burckhardt hat nur die drei ersten Bände der Papstgeschichte Pastors erlebt, aber mit untrüglichem Auge erkannte er in ihnen die selten hohe Befähigung des Verfassers. Schon als junger Mann hatte er richtig notiert: „Die Gegenwart kann nie Geschichte sein. Es ist nodi alles im Werden, kein Historiker kann den noch flüssigen Ereignissen ihre rechte Stelle einräumen. Es ist ebenso falsch, die Geschichte der Gegenwart zu schreiben, wie es falsch ist, moderne Anschauungen in die Vergangenheit zu tragen. Der echte Historiker beurteilt jede Zeit aus sich heraus und rechnet ihr nur das an, was vorherging und was sie tat, nicht was folgt.“ Den Innsbrucker Professor Pastor führen seine Archivstudien mehrfach nach Italien, in die Schweiz, nach Frankreich. Er betreibt in Paris Studien für den IV. Band seiner Papstgeschichte, tritt mit angesehenen Archäologen und Kunstkritikern, Diplomaten und Politikern in persönlichen Verkehr. Dort lernte er auch den markanten Kirchenhistoriker und Archäologen Louis Duchesne kennen, mit dem er bei aller Verschiedenheit der Temperamente und trotz des Sarkasmus Duchesnes gute und fruchtbringende Fühlung aufrechterhielt.

Wer einmal die Spannung während eines Konklave miterlebt hat, läßt gerne eine Aussprache zwischen Pastor und Duchesne über den eventuellen Nachfolger Benedikts XV. auf sich wirken. Letzterer hält Kardinal Gasparri für den am meisten geeigneten Kandidaten. „Nächst Kardinal Gasparri“, so fuhr Duchesne fort, „dürfte Kardinal Ratti am meisten Aussichten haben. Duchesne kennt ihn ebenso wie ich nur als Gelehrten. Am dritten Papabile Kardinal La Fontaine lobt Duchesne seelsorgerischen Eifer, dem sogar die Bekehrung dAnnunzios und Carduccis gelungen sein soll. Die Opposition gegen Kardinal Gasparri dürfte sich nach Duchesne aus den Kardinälen Merry del Val, de Lai, Boggiani, Billot und van Rossum zusammensetzen. Duchesne meint, man dürfte sich nicht verhehlen, daß die sogenannte Römische Frage einen bedeutenden Einfluß auf die Wähler im Konklave ausüben werde.“ Schon vorher hatte Msgr. Graf Legrelle Pastor gesagt, daß die Franzosen im Konklave für Kardinal Laurenti stimmen würden, und daß auch Merry del Val seiner Wahl nicht abgeneigt sei. Aus Pastors Aufzeichnungen und anderen Mitteilungen sind die Vorgänge im Konklave nach dem Hinscheiden Benedikts XV., die unter das strenge, von Pius X. eingeführte Sdiweigegebot fallen, zwar nicht ganz rekonstruierbar, aber doch in Verbindung mit anderen Quellen zum Teil aufzuhellen. Das ist für die Kirchengeschichte ein nicht zu verwerfender Mosaikstein. Das nach der Papstwahl Kardinal Rattis vielfach geflüsterte Wort, daß Kardinal Gasparri im Konklave die Wahl von sich mit der Bemerkung abgelehnt habe: „Es gibt andere, zum Beispiel Ratti“, gewinnt an Wahrheitsgehalt und erst recht der spätere Ausspruch Pius' XL: „Wir wären nicht an dieser Stelle ohne die Demut des Kardinals Laurenti.“

Manch einer, der mit Staunen und Bewunderung den Niederschlag eines an Arbeit und Erfolgen so ungewöhnlich reichen Lebens in diesem nachgelassenen Werk Ludwig von Pastors findet, mag mit dem jetzigen Papst die Frage stellen, wie es überhaupt möglich war, daß Pastor bei seinem riesigen Arbeitspensum noch dazu die Aufgabe exakter und von geistiger Eleganz erfüllter Tagebücher bewältigen konnte. Als treibende Kräfte seiner Seele stehen dahinter sein tiefer religiöser Sinn, seine Wahrheitsliebe, sein Pflichtbewußtsein und sein Gemüt. Letzteres tritt auch in humorvollen Bemerkungen zutage, die er gern von anderen verzeichnet. So berichtet er, wie der sterbende Benedikt XV. zu Kardinal Gasparri lächelnd sagte: „Wissen Sie, wieviel ich bis jetzt In meinem Leben für Arzneien ausgegeben habe? 2.50 Lire.“ Amüsant ist auch ein Vermerk über den bayrischen Ministerpräsidenten und späteren Reichskanzler Graf Georg Hertling: „Er war kein Höfling. Beim König zog er oft die Uhr heraus. Als man ihm vorstellte, Seine Majestät nehme das übel, sagte er: ,Ich wollte gerade, daß er merke, daß ich mich langweile.' Bei einem Fest ging er vorzeitig fort; man rief ihm nach: .Jetzt beginnt der Cercle.' Er erwiderte: .Gerade deshalb gehe ich fort.'“

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