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Hannes Heer deckt Entlastungsmuster auf.

Wir haben mit vielen Menschen gesprochen, wir haben jede Menge Fragen gestellt, und wir haben keinen einzigen Nazi gefunden. Jeder ist ein Nazigegner. Alle Leute sind gegen Hitler. Sie sind schon immer gegen Hitler gewesen." Das neue Buch von Hannes Heer beginnt mit den Beobachtungen von Saul Padover, der im Auftrag der us-Armee 1944 Deutsche in den befreiten Gebieten interviewte und keinen einzigen Nazi fand: "Was heißt das? Es heißt, dass Hitler die Sache ganz allein, ohne Hilfe und Unterstützung irgendeines Deutschen durchgezogen hat. Er hat den Krieg angefangen, er hat ganz Europa erobert, den größten Teil Russlands überrannt, fünf Millionen Juden ermordet, sechs bis acht Millionen Polen und Russen in den Hungertod getrieben, vierhundert Konzentrationslager errichtet, die größte Armee in Europa aufgebaut und dafür gesorgt, dass die Züge pünktlich fahren. Wer das ganz allein schaffen will, muss schon ziemlich gut sein. Ich kenne nur zwei Menschen in der ganzen Welt, die so etwas können. Der andere ist Supermann."

Ein genialer Kopf?

In den Familienerzählungen vieler Deutscher und Österreicher leben solche Vorstellungen wohl bis heute weiter. Neu ist das nicht. Neu sei aber, so Hannes Heer, dass diese Vorstellungen im öffentlichen Diskurs wieder akzeptabel werden: Es gab monströse Verbrechen - aber daran waren doch nur einige wenige beteiligt: Hitler und seine Entourage. "Hitlerismus" nennt Heer das, und in Joachim Fest sieht er den Paten dieser Geschichtsschau: Fest hat nicht nur eine viel beachtete Hitlerbiografie geschrieben, die als Vorlage für den Film "Der Untergang" diente, sondern ist auch in den achtziger Jahren auf der später unterlegenen Seite der Revisionisten in den Historikerstreit gezogen und hat sich durch seine Publikationen zu Albert Speer an der Weißwaschung eines ranghohen Nazi beteiligt. Es ist in der Tat bezeichnend, wenn jemand wie Fest immer noch als graue Eminenz der ns-Historiografie gilt!

Mit vielen Belegen zeichnet Hannes Heer die Positionen von Joachim Fest gründlich nach: Für ihn sei Hitler ein genialer Kopf der Weltgeschichte. Damit reproduziere Fest gewissermaßen den ns-Führerkult, um die zu entschuldigen, die dem Charisma des Bösen erlegen sind. Verführte und Verstrickte - so wie Speer, der - man muss immer wieder daran erinnern - nicht nur ein kleiner Architekt war, sondern Rüstungsminister des ns-Regimes!

Dabei folge Fest dem alten Geschichtsbild, wonach einzelne Männer die Geschichte bestimmen, nicht gesellschaftliche Prozesse und überindividuelle Entwicklungen.

So eine hausbackene Geschichtsschreibung passt freilich bestens zu den Erfordernissen der Leitmedien: Hitlers Helfer, Hitlers Krieger, Hitlers Manager heißen die Serien, die Guido Knopp für das zdf produziert. Gesellschaftliche Prozesse werden nicht erklärt, dafür alte ns-Propagandabilder en masse abgespielt, um einmal mehr Verführte und Verstrickte zu präsentieren. Die "mediale Verlängerung des Führerprinzips in die Gegenwart", nennt Heer das. Knopps Sendungen sind gerade bei älteren Menschen beliebt - vielleicht, weil sie zu den Entlastungsmustern der Deutschen passen, wie sie schon Saul Padover aufgezeichnet hat?

Auch ehrliche Fragen

Eine geschichtspolitische Rolle rückwärts auf ganzer Linie, also? Nein, es gibt für Hannes Heer auch Lichtblicke im Diskurs um die ns-Zeit. Die Familienromane, die in den letzten Jahren in großer Zahl erschienen sind: Uwe Timm schreibt über seinen Bruder, Stephan Wackwitz über seinen Großvater und - die bekannteste von allen: Wiebke Bruhns über ihren Vater, einen Offizier, der sich den Nazis anschloss und trotzdem vor Freislers Volksgerichtshof endete. Im diesen Büchern findet Heer das, was er bei den populären Geschichtspublizisten vermisst, nämlich die ehrliche Frage, wie weit die eigene Familie, normale Deutsche, beteiligt waren.

Heer hat eine Sammlung von sehr unterschiedlichen, aber durchaus erhellenden Schlaglichtern zum öffentlichen Gedächtnis an die ns-Zeit geschrieben. Keine stringente Analyse der Gesamtsituation - dann hätte man auch andere aktuelle Diskurse wie zum Beispiel den um die Kriegskinder mit aufnehmen müssen. Solch eine umfassende Standortbestimmung über das öffentliche Erinnern steht noch aus. Dass Heer dafür aber eine wichtige Stimme ist, das hat er einmal mehr bewiesen - damit das kollektive Gedächtnis nach dem Sterben der Zeitzeugengeneration einmal anders aussieht als das Ergebnis von Saul Padovers Umfrage unter den Deutschen nach dem Krieg.

Hitler war's

Die Befreiung der Deutschen von ihrer Vergangenheit

Von Hannes Heer

Aufbau Verlag, Berlin 2005

440 Seiten, geb., e 25,60

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