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Schneller als anderswo vollzieht sich in den USA der Wandel von Mode und Geschmack, von Moralbegriffen und Lebensanschauungen, von Wert und Unwert, und so kommt es, daß das Pendel sehr oft ins Extreme ausschlägt. Was vor zwanzig Jahren feststehende Tatsache in gutem wie in üblem Sinn war, ist heute verschwunden. Da galt u. a. in den „tosenden“ zwanziger Jahren nach dem ersten Weltkrieg die Amerikanerin als skrupellose Alimenten-jägerin, die den Titel „Golddigger“ reichlich verdiente. Daß sie die Ehe sehr oft nur als lustiges Abenteuer ansah, aus dem man via Scheidungsgericht schmerzlos und mit reichlichen Alimenten bedacht herausrutschen konnte, war allgemein bekannt. Bei der allgemein gültigen Auffassung, daß die Frau wie in Pionierzeiten Seltenheitswert habe, war das nicht weiter verwunderlich. Dieser nicht gerade reizvolle Typ ist heute, von wenigen Ausnahmen abgesehen, verschwunden und hat der „Frau mit Geld“ Platz gemacht. Dazu darf man allerdings nicht die „armen reichen Mädchen“ oder die abgetretenen Filmsternchen rechnen, die sich ihr Glück in der Gestalt von etlichen Ehemännern kauften, angefangen von Exilprinzen aus Georgien über europäische Aristokraten bis zu argentinischen Gigolos und urwüchsigen Cowboys. Eine Barbara Hutton, eine Tabakerbin Doris Duke und eine Gloria Vanderbilt sind Ausnahmen. Die Amerikanerin von heute aber ist die Aktionärin, die an Industrien und Geschäften beteiligt ist und ihr Geld selbst erworben hat.

Statistiken gelten allgemein als strohtrockene und langweilige Zusammenstellungen aller möglichen Einzeldinge in unserem komplizierten Dasein, die im Grunde niemanden interessieren. Das ist ein weitverbreiteter Trugschluß, denn Statistiken können auch sehr interessant sein, zum Beispiel die Statistik der amerikanischen Börsen- und Wertpapierkommission, die allerlei von Madame Aktionärin zu erzählen hat. Selbst Amerika staunte, als bekannt wurde, daß über 52 Prozent der Besitzer von I n-

d u s t r i e a k t i e n und Wertpapieren F r a u e n- s i n d, die Männer also auf einem Gebiet, auf dem sie Generationen hindurch beinahe Alleinherrscher gewesen sind, in das Hintertreffen geraten sind.

Bemerkenswert ist dabei, daß es nicht allein die berufstätigen Ehefrauen sind, die bei der gesetzlichen Gütertrennung ihr Geld sparen und in Aktien anlegen können. Unter den Aktionärinnen nämlich bilden die Hausfrauen mit 34,2 Prozent die stärkste Gruppe. Dann erst folgen mit fast 18 Prozent die Frauen, die als Angestellte und Arbeiterinnen tätig sind.

Es ist mühevoll, aber lohnend, sich hier in die Tiefen der Statistik zu stürzen. Von 70 Millionen Beschäftigten in den USA sind 22 Millionen Frauen, während die Zahl der Hausfrauen rund 33 Millionen umfaßt. Auf den Aktienbörsen des Landes sind laut Statistik der Börsen- und Wertpapierkommission (Economic Almanac 1956) 3.174,000.000 Stück Aktien eingetragen, die einen Marktwert von 169.149,000.000 Dollar hatten. Auf die amerikanische Frauenwelt entfallen also 1.650,480.000 Stück oder 30 Stück pro Person.

Die Hausfrauen allein besitzen 1.085,508.000 Stück oder fast 33 Stück pro Kopf. Der Durchschnitts- (Markt-) Wert dieser Aktien beläuft sich auf 1753 Dollar pro Person oder etwa 5 3 Dollar pro Aktie.

Dieser Spargroschen der Hausfrauen ist nicht groß, ist aber dem meist noch zusätzlich vorhandenen Sparbankkonto, der Lebensversicherung und dem Familienhäuschen hinzuzurechnen. Als traditioneller Finanzminister der Familie schneidet die amerikanische Hausfrau also ganz gut ab, besonders wenn man bedenkt, daß sie während der Depression vor zwanzig und mehr Jahren sehr wahrscheinlich mit Löchern in den Schuhsohlen umherlief.

Wie sieht nun eigentlich Miß Aktionärin aus? Auch darauf gibt die Statistik Antwort. Sie ist im Durchschnitt bereits 48 Jahre alt, lebt in einer Familie mit einem Jahreseinkommen von, 6200 Dollar und hat ihren Aktienbesitz zumeist auf vier verschiedene Industriekonzerne verteilt.

Nur ein geringer Prozentsatz dieser Aktien ist ererbt oder stammt aus Alimentationen. Die Mehrzahl der Aktionärinnen stammt aus den Mittel- und Kleinstädten des Landes, was für die größere Stabilität des Lebens außerhalb der rasenden Millionenstädte spricht.

Es ist selbstverständlich, daß Industrieunternehmungen und Finanzinstitute dieser Entwicklung seit geraumer Zeit bereits weitgehend Rechnung getragen haben. Fast alle größeren Banken haben Sonderabteilungen für Frauen mit entsprechenden Beratungsstellen für Investitionen. Die Gebrauchsgüterindustrien unterhalten Büros, die sich mit der Erfassung der Wünsche ihrer Aktionärinnen wie der weiblichen Kunden überhaupt befassen, wobei die Autoindustrie bahnbrechend voranging. Ihre Aktien sind sehr beliebt und in den meisten Aktienpaketen von Miß Aktionärin zu finden, deren Wünsche tonangebend sind. Es ist längst bekannt, daß die Farbenfreudigkeit der Autos von heute zweifellos auf 'weiblichen Einfluß zurückzuführen ist. Ein bekannter Autokonstrukteur und Erfinder bemerkte einmal, wenn es auf die Männer allein ankäme, so wären auch heute noch die meisten Pkw. entweder schwarz oder dunkelgrün lackiert und hätten außer einem Aschenbecher und einen Zigarettenanzünder bestenfalls noch einen Radioapparat als Innenausstattung.

Diese gewiß erfreuliche Entwicklung hat jedoch auch einen weniger schönen Hintergrund. In der letzten Zeit ist nämlich bei verschiedenen Industrien und ihren Verkaufsabteilungen der

Kampf um den Kunden allzu scharf entbrannt und hat zu Auswüchsen geführt, die geeignet sind, gesunden Sparsinn zu Raffgier ausarten zu lassen. Der Mann der Frau Aktionärin X. ist Autoverkäufer oder Nähmaschinenverkäufer oder Agent einer großen Staubsaugerfirma. Frau Aktionärin X. wird von der Firma ihres Gatten gebeten, sich doch für den Beruf ihres Mannes und seine Berufserfolge stark zu interessieren. Frau Y., ebenfalls Aktionärin, habe erst kürzlich als Prämie für die Verkaufserfolge ihres Gatten eine Erholungsreise nach den Bermudas erhalten, Frau Aktionärin Z. für die Erfolge ihres Mannes ein Paar goldene Ohrringe usw. Superkluge Verkaufspsychologen haben da entdeckt, daß sich eine Art von Superproduktivität der Männer unter'der Peitsche der Ehegattinnen entwickeln läßt. Kühlschränke, Porzellanservice, Ferienreisen, Waschmaschinen werden auf diese Weise „verschenkt“. Die Krone dieser raffinierten Leistungswettbewerbe aber bildet wohl eine Schallplatte, die den Sprößlingen des Verkäufers vorflötet: „Wäre es nicht großartig, Kinder, wenn ihr bei eurer nächsten Geburtstagsparty ein Heimkino hättet? Papa bekommt es umsonst von uns. Er braucht nur drei neue und fünf gebrauchte Autos zu verkaufen...“

Nur! Aber die Sprößlinge heulen ihm die Ohren voll und Miß Aktionärin betätigt sich als seelische Einpeitscherin, denn, abgesehen von Heimkino oder Urlaubsfahrt nach den Bermudas, steigt mit erhöhtem Jahresumsatz „ihrer“ Firma auch der Börsenwert der Aktien.

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