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Hochzeit mit dem Oeneral

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Konteradmiral Regunow-Karaulow, ein kleines, rostiges Männlein, kehrte gerade vom Markte zurück. An einem Schnürchen trug er einen Hecht, der noch nicht „erledigt“ war. Hinter ihm trippelte die Köchin Uljana mit einem Beutel voll Karotten und Tabakblättern, welche Seine Exzellenz gegen die Wanzen und sonstige Mitbewohner seines Appartements zu verwenden pflegte.

„Onkel Phillip“, hörte er plötzlich eine Stimme neben sich. „Eben war ich bei Ihnen, habe eine Stunde vergeblich an die Türe geklopft. Gott sei Dank, daß wir uns nicht verfehlt haben!“

Der Konteradmiral hob den Blick. Vor ihm stand sein Neffe Andrjuscha Junina, ein junger Versicherungsagent, das .Niedrigste“ in den Augen des Admirals.

„Ich habe eine große Bitte an Sie, verehrter Onkel“, fuhr der Neffe fort. „Setzen wir uns auf diese Bank, Onkel Exzellenz ... So! Also die Sache ist die ... Heute ist Hochzeit eines meiner Freunde, eines gewissen Ljubimski... Ein ausgezeichneter Mann, unter uns gesagt... Legen Sie doch den Fisch weg, er stinkt! Einen Klaps auf den Kopf und er geht zu seinem Schöpfer. Warum das arme Tier quälen? Also... Der Bräutigam! Ein wunderbares Beispiel für Anständigkeit, ein einfacher Mensch, aber ehrlich!“

„Nitschewo!“ unterbrach ihn der Onkel. „Dieser Fisch ist ein Ekel. Preis — eine Kopeke. Aber der Kaviarl Ein Messer her, den Bauch entzwei und schon quillt es heraus. Wunderbar! Mit Semmelbröseln, Pfeffer, Zwiebeln und ähnlichem Zeug zubereiten... Und Sie sind zu einem prachtvollen Mahl herzlichst eingeladen!“

„Das ist es eben — das Mahl!“ sagte Andrjuscha. „Darum handelt es sich, Onkel. Kaviar, Liköre, Wein und Wodka! Ein prachtvoller Mensch dieser Ljubimski... hat eine Stelle als Taxator im staatlichen Pfandleihamt. Denken Sie nur nicht, daß es irgendein Strolch ist. Bewahre, ein hochanständiger Mensch; ich versichere Ihnen. Die Familie ist tadel-

los; Vater, Mutter und die andern... vortreffliche Leute, gutmütig und religiös. Mit einem Wort, eine echt russische Familie, von der Sie entzückt sein werden. Ljubimski heiratet eihe Waise aus tiefster Zuneigung. Ja, wirklich gute Menschen, ohne Zweifel! Also das ist es, ganz unkompliziert... Würden Sie so lieb sein, teurer Onkel, mir zu Liebe und der Familie zur Ehre beim Hochzeitsmahl zu erscheinen?“

„Ich? — Ich kenne doch die Leute nicht!“

„Das macht nichts. Sie fahren nicht zu Grafen oder Fürsten. Das sind ganz einfache Menschen, mit russischem Gemüt. Wunderlich sind sie schon, das muß ich sagen, möchten unbedingt einen General bei Tisch haben. .Lieber einen General als tausend Rubel' sagen sie. Und ich frage mich, weshalb soll man ihnen dieses Vergnügen nicht gönnen? Um so mehr, als auch Ihnen allerhand geboten wird. Langweilen werden Sie sich dort nicht. Nun, Sie können sich sehen lassen, bei Gott! Diese Leute fallen um, wenn sie nur Ihre Uniform sehen. Wollen wir offen sprechen: Sie sitzen daheim, gut! — Aber damit finden Ihre Verdienste keinerlei Beifall. Sie sind sozusagen ganz umsonst auf der Welt, kein Mensch sieht Sie, kein Mensch weiß etwas von Ihnen. Dort werden Sie bewundert, geachtet und geehrt. Das ist eine Sache, ein Ereignis ohnegleichen!“

„Schickt sich überhaupt so etwas für einen Admiral?“ fragte der Onkel nachdenklich. „Laß mich erst überlegen, Andrjuscha!“

„Was gibt es da zu überlegen? Sie kommen einfach mit und basta! Was Schicklichkeit betrifft, so ist es geradezu beleidigend für mich, als ob ich meinen eigenen Onkel in eine unanständige Gesellschaft bringen wollte.“

„Meinetwegen... wenn du meinst, Andrjuscha!“

„Um 11 Uhr abends ... Je später, desto aristokratischer, nicht wahr? Ich hole Sie ab, Onkelchen.“ —

Zu dieser Zeit war der Admiral schon fix und fertig in seiner besten Uniform. Goldene Schnüre, Dressen, Lampassen und ein Degen schmückten seine verdorrte Gestalt.

Das hochzeitliche Mahl hatte schon begonnen. Ein Lakei, eigens aus einer Teekneipe engagiert, empfing die beiden Herren. Die Mutter Ljubimskaja kam in höchster Eile dem hohen Gast entgegen, starrte ihn zunächst verblüfft an, dann fand sie ihre Superlative. „Oh, Herr General, das ist ja herrlich!“ seufzte sie mit einem Blick auf Andrej Junina. „Sehr angenehm! Nein, welch eine Überraschung!“ fügte sie unsicher hinzu ... Was für eine Haltung, du lieber Himmel, wie verlegen ist der Alte, gar keine Würde, keine Strenge, keine Wichtigkeit, wie man sich bei einem General wünscht, dachte sie bei sich. „Bitte schön, Euer Exzellenz, treten Sie ein! Gott sei gelobt, hat wenigstens ein Dutzend Orden angehängt...

Der Konteradmiral hob das rasierte Kinn, hüstelte ein paarmal energisch und trat dann entschlossen in den Saal. Hier bot sich ihm ein Bild, das selbst den härtesten Stein in Asche verwandeln konnte. Mitten im Räume stand ein langer Tisch, bedeckt mit allerlei appetiterregenden Dingen, ringsum Karaffen, Flaschen und wieder Flaschen ...

Als erster erhob sich der Neuvermählte, auf seinem feuchten Gesicht glänzte ein öliges Lächeln. Es war klar: ihn ergötzten weniger all die kulinarischen Genüsse als die bevorstehenden Ehefreuden. Neben ihm saß die Braut mit verweintem Antlitz und dem Ausdruck äußerster Unschuld. Der Admiral verstand auf den ersten Blick: sie war eine Tugendhafte!

„Konteradmiral Regunow-Karaulow“, rief Andrjuscha selbstbewußt in den Saal. „Und hier — erlauben Sie, Exzellenz... der Neuvermählte Epaminond Ljubimski mit Gattin ... hier Iwan Iwanowitsch Jat, ein Telegraphenbeamter. Hier Affanassy Dimba, ein griechischer Konditormeister. Und da ist auch Fjodor Napoleonow mit Frau Gemahlin... Nehmen Sie Platz, Euer Gnaden!“

„Wie haben Sie ihn tituliert, Andrjuscha?“ flüsterte die Hausfrau mit einem besorgten Blick auf den Gast. „Ich habe einen General gebeten, aber nicht diesen... Kot... Kontor!“

„Konteradmiral, Gnädigste! Aber Sie verstehen das nicht, Anastassija Timo-phejewna! Er ist auf der Rangliste ebensoviel wie im Zivil ein wirklicher Geheimrat. Konteradmiral entspricht genau dem Generalmajor. Der Unterschied ist nur im Ressort. Das ist das Wesentliche — sonst ein und derselbe Teufel... der gleiche Preis!“

„Das stimmt“, bekräftigte Napoleonow gewichtig.

Die Hausfrau beruhigte sich und stellte die für einen General reservierte, sehr kostbare Flasche „Zimljanski“ vor den Admiral. „Essen Sie, Euer Gnaden! Sicher sind Sie was Besseres gewöhnt. Bei uns ist halt alles so bescheiden.“

„Jawoll“, sagte der Konteradmiral nach einer Pause. „In alten Zeiten lebten alle Leute einfach und waren zufrieden. Ich, ein Mann von hohem Rang, lebe auch einfach!“

Plötzlich ruhte sein Blick auf einem jungen Parademarineur, der ihm gegenüber saß. „Sie sind also Seemann?“ fragte er und goß sich „Zimljanski“ ein.

„Zu Befehl, Euer Exzellenz!“ „Aha — So! Jetzt ist wohl alles neu bei euch, nicht so, wie es früher war. Bei uns, junger Mann, merken Sie sich, ist es nicht wie bei der Infanterie, irgendeiner, oder sagen wir, Kavallerie! Bei uns ist alles wichtig, bei ;i n s hat das kleinste Wort seine Bedeutung, eine geheimnisvolle ... Eh, eh, zum Beispiel am Mast mit den Tauen an Fock und Grot. Was das bedeutet? Das bedeutet, che, che... Du, Schlauer, was nützt dir da deine Mathematik, wenn zum Beispiel auf voller Fahrt bei Windstärke 9...“

„Zum Wohl der verehrtesten Gäste“, verkündete der Bräutigam mit einem Glas Wein in der Hand.

„So ist's“, unterbrach ihn der Admiral. „Dann gibt es so viele Befehle ... Nehmen wir zum Beispiel...“

„Onkelchen“, flüsterte Andrjuscha, .die Hausfrau bittet um eine Unterhaltung. Die Gäste verstehen das nicht und langweilen sich.“

„Halt's Maul, bin froh, daß ich den jungen Mann gefunden habe... So ist's! Wenn der Zerstörer zum Beispiel...“

„Genug, Onkelchen!“

Aber der Admiral ließ sich nicht beirren. Kommando auf Kommando erschallte, jedesmal von einem langen, schnarrenden Kommentar begleitet. Das Mahl näherte sich dem Ende, und seine Gnaden hatten weder einen Toast noch irgendeine hochzeitliche Rede vom Stapel gelassen.

„Am heutigen Tag“, wagte endlich der Konditor das Wort zu ergreifen, „hm • • • an dem wir uns hier versammelt haben, um unsern geliebten Neuvermählten ...“

„Ja“, fuhr der hohe Gast unentwegt fort, .... das alles muß man im Kopf behalten. Zum Beispiel Beifut und Tope-nant auseinanderhalten. Backstag von rechts an den Mastkorb ...“

„Alle Heiligen“, stöhnte Mutter Ljubimskaja. „Wir sind einfache Leute, Euer Exzellenz. Wir verstehen nichts davon. Sagen Sie uns etwas, irgend etwas, was dem Anlaß hier entspricht!“...

„Natürlich verstehen Sie das nicht. Aber der junge Mann versteht es. Zum Beispiel: Hebt den Klüver, löst die Brasse, Fock und Grot anlegen ... Vorwärts!“

„Sie sind ein General, nicht wahr? Aber wie benehmen Sie sich?“ rief die Hausfrau außer sich. „Schämen sollten Sie sich in Ihrem Alter! Wir zahlen Ihnen nicht das Geld, damit Sie hier Ihre verrosteten Erinnerungen erfrischen!“

„Geld? Um Gottes willen, was für Geld?“ fragte der Admiral mit starrem Blick.

„Onkelchen ...“

„Halt's Maul!“

„Karl... welches! Sicher haben Sie es schon durch Andrej Junina erhalten. Fünfundzwanzig Rubel sind es! Das ist nicht wenig, beim Heiligen nicht! Und Sie, Andrej Illitsch? Eine Sünde ist es, uns so hineinzulegen. Wir haben Sie nicht gebeten, einen solchen zu engagieren.“

Der Ordensgeschmückte blickte auf den völlig vernichteten Neffen, sah die zornbebende Hausfrau an und es wurde ihm alles klar. „Die gutmütige, echt russische, religiöse Familie“ stand nun in ihrer ganzen Garstigkeit vor ihm. Im Nu war sein Rausch verflogen. Er erhob sich, schwankte aus dem Saal, zog seinen Mantel an und verließ das Haus.

Er ging nie wieder zu einer Hochzeit.

übersetzt von Irene v. Bischoffshausen.

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