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Hoffen wider alle Hofl&iungslosigkeit

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Täglich verlieren Werte, Institutionen und Personen in Osterreich an Glaubwürdigkeit. Worauf dürfen wir noch vertrauen und unsere Hoffnung setzen?

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Täglich verlieren Werte, Institutionen und Personen in Osterreich an Glaubwürdigkeit. Worauf dürfen wir noch vertrauen und unsere Hoffnung setzen?

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Krisenzeiten. Alles bröckelt. Das Gerede von der neuen Unübersichtlichkeit ist

schlichte Untertreibung. Es herrscht Ratlosigkeit über das, was zu tun ist; Unsicherheit über das, was gilt; und Bangen vor dem, was sein wird. Das Fest ist zu Ende.

Der vertrauensvolle Glaube, daß die Zukunft noch vielerlei Segnungen in sich birgt, ist einer eingedü-sterten Vision vom nächsten Jahrhundert gewichen. Die Zukunft ist nicht mehr golden, sondern dämm-rig. Die große Angst vor der Konfrontation der Supermächte ist gewichen, aber es erheben sich viele kleine Ängste. Wir überspielen sie mit Erlebnissen, mit psychischen Sensationen, die eine reiche Gesellschaft freigebig offeriert. Aber selbst die verschaffen nur kurzfristig Erleichterung. Das richtige „feeling” braucht harte Arbeit.

Der einheitliche Wertehimmel droht einzustürzen, denn der postmodernen Welt gilt alles eins. Sie braucht keinen Sinn des Lebens und keinen Rückhalt in der Gemeinschaft. Was bleibt, ist der Zynismus, die Attitüde des Draußenstehens,

Zuschauens und Besserwissens; das hämische Gelächter jener, die im Untergang chic sein wollen. Gemeinschaften entgleiten uns. In jenem Moment, in dem wir ganz bei uns, ganz selbstentfaltet, ganz autonom sein wollen, sind wir müde und allein. Statt beglückter Singles treffen wir auf enttäuschte Einsame. Was bleibt, sind die großen Gesten eines selbstbewußten Egozentrismus. Fasziniert starrt man in blinde Spiegel, die bloß das wiedergeben, was man sehen möchte, auf der Flucht vor der Wahrheit.

Der verwirrten Psyche der Individuen entsprechen Institutionen, die ins Chaos taumeln. Den staatstragenden Parteien steht das Wasser bis zum Hals. Die Geschichte des Sparpaketes war eine Fallstudie für politische Handlungsunfähigkeit; nur ein paar Interessengruppen, die von der Wirklichkeit abdriften, feiern ihre Selbstentlarvung als Sieg. Die Unregierbarkeit ist Realität geworden. Manche haben das Gefühl, die letzten Aufgebote machen sich ans Werk. In den Turbulenzen dieser Wochen herrschen Aufschieben, Vorspiegeln, Absägen, Vertuschen, Aufputschen, Abwiegeln. Kaum sind leise Versuche, da und dort etwas zu bewegen, wahrnehmbar, werden sie von den politischen Keulenträgern erschlagen.

In der Kirche jagt eine Irritation die nächste: Sind absurde Äußerungen über Empfängnisverhütung halbwegs vertraut, wird der Umgang mit den Geschiedenen zum Thema; hat man die Verwunderung darüber ein wenig abgebaut, daß die Kirche

keine anderen Probleme habe, zelebriert sie pathetischen Dilettantismus bei der Behandlung ihrer Skandale - als ginge es um eine gezielte Kampagne zur Räumung der Kirchen von den letzten Gläubigen. Kaum sind leise Versuche, da und dort differenzierter zu antworten, wahrnehmbar, werden sie von den Polarisierungsfreudigen gemeuchelt.

Es ist an der Zeit, Angst zu bekommen. In Berlin, wo das Überleben der Menschheit verhandelt wird, trennt man sich mit Phrasen. In Bosnien, der Geburtsstätte der großen europäischen Kriege, beginnt die erwartete Frühjahrsschlächterei. In Brüssel, wo den Neuen auf die Finger geschaut wird, macht sich Osterreich lächerlich. Von der neuen Weltordnung spricht niemand mehr. Da hat doch jemand vom Ende der Geschichte geredet: Vielleicht kommt es doch, aber auf andere Weise?

Nur mehr Verzweiflung

Selbst die blühenden Bäume, die Palmbuschen und die Ostereier vermögen uns kaum noch aus dem Sinnieren zu reißen. Fest der Hoffnung? Es ist keine fröhliche, keine wirklich zuversichtliche Hoffnung, mit der wir um uns blicken. Wir sind dabei, das Hoffen zu verlernen. Optimismus ist zuweilen Pflichtvergessenheit. Wir bescheiden uns mit einem Hoffen anderer Art: Wir können nur noch hoffen, nicht mehr aus Überzeugung hoffen, sondern aus Verzweiflung.

Wir können auf Pendelschwünge der Geschichte hoffen: auf daß in der

Not auch das Rettende wachse. Vielleicht müssen wir den Niedergang nicht bis zur Neige auskosten, bis zu jenen Ruinen, aus denen bekanntlich auch noch zuweilen Leben zu sprießen vermag. Wir können hoffen, daß sich die Menschen, wie immer dies auch vor sich gehen soll, ihrer langfristigen Verantwortung bewußt werden und dem Triumph der Egoismen Einhalt gebieten: daß sie Ansprüche zurückschrauben, die kollektive Verschuldung stoppen, ihre Gier zügeln. Wir können hoffen, daß sie aufhören, ihren Kindern wirtschaftlich, ökologisch und sozial die Zukunft zu stehlen: daß es irgendwann ein leises Erschrecken vor der eigenen Rücksichtslosigkeit gibt. Wir können hoffen, daß die Ellbogengesellschaft ein wenig solidarisch und der Wohlfahrtsstaat ein wenig liberal bleibt. Wir können hoffen, daß die Politik wieder Tritt faßt und sich ihrer Führungsaufgabe besinnt - damit nicht die Politik des Ressentiments den Sieg davonträgt. Wir können hoffen, daß die Kirche - ohne modernistische Anbiederei - aus ihrer Ein-igelungsstrategie wieder herausfindet. Wir können hoffen, daß die zufriedene Verdrossenheit der Bürger aufgesprengt wird: daß sie wahrnehmen, in welch reicher und sicherer Gesellschaft sie leben - und daß sie diesen Reichtum und diese Sicherheit in ihrer Unbesonnenheit gefährden.

Alles das mögen nur Hoffnungen sein. Aber was bleibt uns sonst, in Zeiten wie diesen?

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