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Hoffnung ist keine Glückssache

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Milliarden Schilling haben wir zu Weihnachten ausgegeben, Abermillionen zu Silvester verpulvert. Trotzdem - oder vielleicht deshalb? - blicken die Österreicher mit Skepsis in die Zukunft.

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Milliarden Schilling haben wir zu Weihnachten ausgegeben, Abermillionen zu Silvester verpulvert. Trotzdem - oder vielleicht deshalb? - blicken die Österreicher mit Skepsis in die Zukunft.

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Sie muß irgendwo aufruhen. Hoffnung kommt nicht aus dem Blauen. Vielleicht kann der Wissenschaftler Vorbedingungen für Hoffnung benennen. Von dort kann jeder weiterdenken und seinen eigenen Glauben an die Hoffnung entfalten.

Hoffnung setzt Defizit-Erkenntnisse voraus. Die Weihnachtsfeiertage und der Jahreswechsel gaben durch Familien-. jusammenkünfte und Jahresabrechnungen - der verschiedensten Art - Gelegenheit, Konflikte und Ungelöstes wahrzunehmen. Es ist nicht so leicht, zu erfüllen, was der Kaiser in seinem zu Wien im zweiten Jahrhundert nach Christus begonnenen Buch forderte. „Und die Manschen, mit denen dich das Geschick zusammengebracht hat, die habe lieb, aber vom Herzen!" (Marc Aurel, Selbstbetrachtungen VI, 39).

Hoffnung gedeiht schlecht, beruht sie auf Täuschung und Selbsttäuschung. Eine Vorbedingung für Hoffnung wäre, bittere (Selbst-)Einsichten ernstzunehmen und sie für jede Zukunftsplanung in Betracht zu ziehen. Wichtiger noch als Scherben einzusammeln ist es, Bruchlinien auf gefährdeten Gefäßen zu sehen.

Versäumtes schmerzt zwar me st mehr als begangene Feder, aber auch diese sind eine wahre Fundgrube. Fehler kenntnis zuzulassen heißt, sich selber nahezukommen. Eine solche Annäherung in Mii ie schafft Ausgangspunkte fiii Hoffnung. Zu bilanzieren, w >vann und weswegen ge-h oder mißlang, bereitet der I1 .mung den Boden.

Maßlosigkeit ist der Hoffnung abträglich. Sie wird von d< en Größenwahn erstickt. In iJ' si kleinen reichen Zonen ist i isere Welt eine der maßlosen 1 lufung von Gütern und In-i rmation. Was wir herstellen, i ".ersteigt bei weitem das, was v i.r zu gebrauchen und zu leben vermögen. Als hätte er die Gefahr schon geahnt, hat zur Zeit er Morgenräte westlicher j ultur Aristoteles die Genügsamkeit als Rahmen menschlichen und politischen Sein-Könnens bestimmt. Der Mensch wäre allerdings nicht geworden, was er ist, hätte er nicht gelernt zu suchen, zu probieren und sich weiter und weiter auszubreiten.

Die große Herausforderung besteht nun in der Abwendung der Selbstbedrohung, indem Selbstbegrenzung geübt und gelebt wird. Eine gezielte und orientierte Genügsamkeit könnte zu Beispielen in kleinem und mittleren Rahmen führen, wie man Reichtum umverteilt. Die Armut multipliziert sich im Bevölkerungswachstum. Hoffnung bleibt ohne festen Boden, solange wir, halb erstickt vom Überkonsum, an der Armut achtlos vorbeigehen.

Während wir gegenüber einer fern jeder Ethik expandierenden Marktdynamik, die alle Lebensgebiete infiltriert, Begrenzung suchen müssen, ist für unser Welt-Bewußtsein Erweiterung unumgänglich.

Das Erbe der Menschheit, die großen Kulturen und die fremden Religionen, die uns durch Reisen oder Medien bruchstückhaft vermittelt werden, all das bedarf einer inneren Erweiterung von Psyche und Geist, der Toleranz, die das Eigene nicht verleugnet.

Diese Begegnung mit den fremden Kulturen verunsichert uns, nachdem schlecht gehandhabte Aufklärung bereits eigene Traditionen versanden und verkommen ließ. Um das Fremde in ein Verhältnis an eigenen Grundlagen und Überzeugungen zu setzen, bedarf es viel Orientierungskraft und des Mutes, Halbwissen und Information zu verarbeiten. Und wie lebt emotional und orientiert sich der im kulturellen „Internet" informierte Mensch?

Damit Hoffnung (über Genuß und Augenblick hinaus) Platz greifen kann, muß der Mensch für sich eine Ordnung suchen, die für ihn und seine geistige, soziale und ökologi sehe Umwelt Schutz, Sicherheit und Ermutigung bietet.

Dazu sind lebbare, die Generationen verbindende Traditionen und Regeln nötig, die gestaltbar bleiben müssen, sollen sie nicht durch Starrheit das Gegenteil von Geborgenheit bewirken, welche ja die Folge von Ordnung sein sollte. Jede Norm kann zerstörerisch werden. Aber die Verabschiedung von jeglicher Bemühung um das Festhalten von Überzeugungen ist eine leichtfertige Kapitulation vor dem innovationsgierigen Zeitgeist.

Wer kritisch prüft und mit dem Vorhalt eigener Reserven Gefolgschaft leistet, muß sich auch für das Anerkennen von Autorität nicht schämen. Ohne Ausblick, ohne Grundhaltungen, ohne Loyalitäten, die wie erweiterte geistige Freundschaften sind, schlittert jeder Versuch der Daseinsbewältigung in den Opportunismus.

So bedarf es verstärkter Suche nach neuen Verbindlichkeiten, nach sozialen Verankerungen, die bei der heutigen Brüchigkeit der großen Institutionen schwierig, aber nicht unmöglich geworden sind. „Wir alle brauchen äußere Stützen, um nicht zu verwahrlosen" (W. Brezinka). Um sich in Solidarität für Ziele zu integrieren und einzusetzen, bedarf es der Profile, die bestimmte Programme ein- und andere ausschließen. Der „innere Mensch", auf den Augustinus sich berief, ist vermutlich zu schwach, um an seiner eigenen Wahrheit festzuhalten.

Hoffnung ist zwar nicht Glückssache, aber um zu hoffen, ist ein Funken Glücksgefühl nötig, ein gewisser Grad des Einsseins mit sich selbst. Hoffnung resultiert daraus, daß wir durch ein uns angemessenes Tätigsein Glück empfinden, aber auch erkennen, was noch, was weiterhin geschehen könnte, sollte.

Hoffnung braucht den aufgeschlossenen Horizont der Zukunft, und die Zukunft bedarf der Hoffnung. Wenn sie sich überhaupt bestimmen läßt, so könnte Hoffnung die heimliche Vorwegnahme von Zuversicht und Freude sein.

Der Autor ist

Professor für Soziologie an der Universität Wien und Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Sozialgerontologie.

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