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Hoffnung um Sudtirol

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Sehr geehrter Herr Montanelli! Sie haben in der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“, in Antwort auf einen Artikel Dr. Gschnitzers, einen international vielbeachteten Aufsatz unter dem Titel „S o r g e um Südtirol“ geschrieben. Ein treffender Titel: in ergreifender Weise kommt hiei die ewige Sorge des Humanisten um eine Renaissance der Barbarei, der Unvernunft, der Gewalttätigkeit zum Ausdruck. Gerade bedeutende italienische Humanisten haben seit den Tagen Petrarcas und der Florentiner des Quattrocento dieser Sorge Ausdruck gegeben. S i e sehen auf beiden Seiten die drohende Wiederkehr eines Nationalismus, der alles zerstören kann- „eines überlebten und lächerlichen Nationalismus“, wie Sie sagen. Und Sie schließen Ihre Ausführungen mit den schwerwiegenden Sätzen: „Ich weiß nicht, ob Herr Gschnitzer, dem ,Die Zeit' Raum für eine Erwiderung an mich zur Verfügung stellte, mir noch einmal widersprechen will. Ich sehe die Nützlichkeit nicht ein, da wir zwei verschiedene Sprachen sprechen; er die Sprache des Mitspielers, ich die des Zuschauers, er die Sprache der Leidenschaft, icn die Sprache der Vernunft. Ich bewahre ihm unbeschadet dessen meine Hochachtung, aber ich beneide ihn nicht, obwohl ich anerkennen muß, daß die Leidenschaft immer gewinnt und die Vernunft immer unterliegt.“

Diese Ihre letzten Worte haben eine schwerwiegende Bedeutung: Hier resigniert, hier verzweifelt wieder einmal, wie so oft in Europa, ein Humanist vor der schrecklichen „Macht der Tatsachen“, vor der Gewalt. Erlauben Sie es mir, daß ich Ihnen dies offen sage: Eben dies dürfen wir in Europa uns heute nicht erlauben. Sie und ich und andere Europäer sehen, wie an so vielen Orten in und um Europa eine Wiedergeburt des Gestrigen und Vorgestrigen, eine Renaissance der Barbarei droht. Ein erlauchter, eben durch die Pforte des Todes gegangener europäischer Humanist von hohen Graden, Albert Camus, hat, in steter innerer Auseinandersetzung mit dem Krebsübel, das seit Jahren Frankreichs Volkskörper an Leib und Seele ver-sehrt, im Kampf in und um Algerien nicht aufgegeben. Nehmen wir uns doch hier ein Beispiel.

Sprechen wir also weiter von Südtirol, um Südtirol. Sprechen Sie in Italien, in Sizilien, Sardinien, Neapel, Florenz von Südtirol. Überall dort, im „tiefsten Italien“, wo leider die Südtiroler selbst nicht das Wort ergreifen, sich um das Wort bemühen: als Menschen, die dem Urbanen und südlichen Italien fremd sind und vor ihm Angst haben. So wie ihrerseits manche Italiener vor den „wilden, rustikalen Berglern“ Angst haben. Die Angst aber taugt zu nichts; zu nichts Gutem. Auch die Sorge taugt nur, wenn sie den Eros der Tat weckt. Mit Recht sagen Sie: „Nach dem ersten Toten wird es zu spät sein, und niemand wird dann auf die Stimme der Vernunft hören...“ Sprechen wir (also, Sie in Italien und wir in Österreich. Sie haben ein reiches Feld notwendig zu behandelnder heißer Eisen in schöner Offenheit in Harnburg aufgezeigt: die Verfälschung des Abkommens Gruber-De Gasperi durch die Regierung in Rom, die „Kurzsichtigkeit der politischen Parteien“, die unsinnige und verderbliche Art, in der eine gewisse italienische Diplomatie alle jene österreichischen Staatsmänner, die für echte Verständigung eintraten, desavouiert, ja „unmöglich“ gemacht hat. „Die Italiener haben den Sturz des mit einem hohen Sinn politischer Verantwortung begabten Außenministers Figl auf dem Gewissen und haben Männer wie Kreisky gezwungen, sich zum Nationalismus zu bekennen“.....Und das alles hat die italienische Regierung nicht etwa getan, um — wie man so schön sagt — das Prestige der Nation aufrechtzuerhalten, sondern einzig und allein, um nicht die Unterstützung der Rechtsparteien zu verlieren, die auf alles verzichten können — auch auf Südtirol —, nicht aber auf hochtrabende Phrasen, wie den Satz: ,Die Grenzen der Heimat diskutiert man nicht, die Grenzen verteidigt man.' “

Sie haben hiermit, sehr geehrter Herr Montanelli, mit hohem Mut heiße Eisen angefaßt. Was anderes ist der echte politische Humanist als ein Mensch, der heiße Eisen anfaßt, weil er das Blut riecht, wittert, das vergossen werden wird, wenn diese Eisen nicht angefaßt werden?

Ich wünsche Ihnen und uns also dies als Erstes: d-aß es Ihnen vergönnt und gestattet tä& möge, in Italien, in diesem ganzen wunderschönen Garten — Dante nannte ihn einst den .Garten des Reiches, giardin' dell'Impero', wobei er durchaus an das eine christlich-humanistische Europa dachte —, publizistisch dies heiße Eisen anzufassen: Südtirol. Gleichzeitig, in einem Atemzug, wünsche ich mir und uns Österreichern, daß wir mit ebensoviel Freimut dasselbe heiße Eisen unserseits anfassen und beim rechten Namen nennen: Sie selbst sprechen von einem eigentümlichen „Germanismus“ von Südtirolern, der mit dem Blick auf die deutsche Wirtschaftswunderwelt in den letzten Jahren erwacht sei. Und Sie verweisen auf ebenso eigentümliche Züge „rassischer“ Überhebung, die auf den „minderwertigen“ Italiener herabsieht, gemischte Ehen verpönt, wobei Sie sich auf Gespräche mit Dr. Gschnitzer selbst berufen, der Ihnen sagte: „Wir wollen unsere rassische Integrität bewahren.“

Hier liegt tatsächlich ein Notstand unserseits vor, der leid* — auch diesseits des Brenners gibt es Wähler - gern hierzulanden umschwiegen wird. Es ist leider der Fall, daß manche unserer Landsleute die Stimme der Vernunft untergehen lassen in einem kleinen Meer von Sentimentalität und leidenschaftlicher Voreingenommenheit. Gerade deshalb darf in diesen kritischen Zeiten die stille und schöne Wirklichkeit nicht übersehen werden: es1 gibt in Südtirol sehr, sehr viele Menschen, gute Tiroler, wahre Liebhaber ihrer Heimat und ihrer Muttersprache, die dieses Spiel mit dem Feuer, dem Haß und dem Tod ablehnen. Menschen, die Südtirol seit langem bereits als Brücke darleben: als wichtige und notwendige Brücke zwischen Nord und Süd, zwischen lateinischer und germanischer Hemisphäre. Diesen Menschen Mut zu machen und unsere schwachen Politiker in Rom und Wien zu stärken: liegt darin nicht eine schöne Aufgabe für Sie, für mich, für jeden Europäer, der es zuerst und zuletzt immer mit der Versuchung in seinem eigenen Volk zu tun hat? In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, Herr Montanelli,. und uns den guten Mut, tagtäglich den Kampf aufzunehmen mit den wirren Hirnen und verstörten Herzen, die nie der reine Klang der Glocken erreicht hat: der Glocken der Südtiroler Dorfkirchen, der Glocken Roms.

Ich bin. aufrichtig verbunden, Ihr

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