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Holz ist Holz

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In der Woche vor Weihnachten zog die Kälte an, man fror samt Mantel und Decke. Der Schwarmofen stand kalt und zwecklos herum, war doch weit und breit kein Holz mehr aufzutreiben. Da kam vom Bataillon der Befehl, den feindlichen Posten, der vor einigen Tagen am Eingang von Roncalto festgestellt worden sei, in der Nacht abzufangen, und zu erkunden, wie stark das Dorf, das um etwa fünfzig Meter höher lag als die eigene Stellung bei Canove, vom Feind besetzt sei.

Um zehn Uhr nachts stieg die Aufklärungspatrouille, ein Fähnrich und zwei Mann, aus dem Graben. Sie erreichten den Fuß der Anhöhe, auf der Roncalto lag, erst, als der Mond aufging. Sie trennten sich und stiegen vorsichtig an. Mit Ungeduld merkte der Fähnrich, daß sie die beste Zeit versäumt hatten. Aber nun sahen sie in der Helle des Mondes, die vom Schnee der Berge noch erhöht wurde, die Gestalt des Postens am Eingang ins Dorf. Er stand genau an dem Platz, an welchem er auf der Situationsskizze des letzten Patrouillenberichtes eingezeichnet war, und stand frei und völlig schwarz gegen den Himmel. Wenn man länger hinaufsah, schien es einem, als rührte er sich ein wenig. Die drei gingen zu Boden und schoben sich so lautlos als möglich hinauf. Nach jedem kleinsten Geräusch, das sie erregten, hielten sie inne. Der Posten schien taub zu sein; sie waren ihm bis auf siebzig Schritt auf den Leib gerückt — er tat, als ginge es ihn nichts an. Er schien nur ein wenig hin- und her zu schwanken, er hob nicht das Gewehr, rief sie nicht an, er wandte nicht einmal das Gesicht auf die Seite, als der lange Florl aus dem Zillertal, der den beiden andern um ein ziemliches Stück voraus war, in Sätzen, als wäre ihm plötzlich die Geduld gerissen, auf den Regungslosen zusprang und ihn von halb rückwärts anfiel.

Als er ihn aber zwischen den Fäusten hatte, ließ er ein tiefes, leises Lachen los und rief den beiden anderen zu: „Mein eigener Namenspatron! Der Brunnen ist hin, dem Florian ist nichts passiert.“

Der Ort war unbesetzt. Die Brunnenfigur des heiligen Florian, mit einem Schaff in der Hand, aus dem ein breiter hölzerner Guß stürzte, war der einzige Wächter des Dorfes. Der Fähnrich hielt seinen Auftrag für erledigt und wollte umkehren. Da war Figallo verschwunden.

Die beiden warteten eine Weile. Sie wagten nicht zu rauchen, so gut es gegen den Ärger auch gewesen wäre, der m ihnen aufstieg, als sie trotz angestrengten Horchens und Spähens nichts von ihm wahrnahmen.

Da prang um die Ecke des Hauses, in dessen Schatten sie standen, der Figallo in den prallen Mondschein hinaus, weich und lautlos wie eine Katze. Zwei, drei Gewehrschüsse klatschten wie aus dem Schlaf auf, dann war wieder tiefster Friede ringsum.

Figallo hatte in den Häusern gestöbert und in einer sonst völlig leergeplünderten Bauernküche ein Kruzifix aufgetrieben. Der heilige Florian wäre ihm in den Schwarmofen hinein freilich lieber gewesen, meinte aber, der sei ihm zu schwer zum Heimtragen.

„Du wirst wohl nicht —“ begann der Florl, aber dann schwieg er. Geschwätz wahrscheinlich, wenn dem Windbeutel auch alles Mögliche zuzutrauen war. Sie schwiegen alle drei; aber von Zeit zu Zeit sah der Florl den Wiener von der Seite an und schüttelte den Kopf. Es war wohl nicht möglich, daß sich einer so versündigen will. Aber der Figallo pfiff sich eins’, als sie den eigenen Stellungen näher kamen, und während sie in den Graben sprangen, sagte er: „Holz ist Holz. Und das trockene brennt besser als das grüne.“ — Sie waren schon eine Weile zurück, da stieg der Figallo aus der Kaverne. Der Laufgraben, in den er hinaustrat, war leer. Hinter der nächsten Traverse lag die Hacke und neben ihr die Figur des Gekreuzigten, die Arme wie hilfesuchend ausgestreckt, denn die Balken, an denen sie gehangen hatte, waren sogleich nach der Rückkehr verheizt worden. Dex Soldat ergriff die Figur an den Beinen und legte sie auf den Hackstock. Er sah sich um und horchte eine Zeitlang nach Schrit- ten,- aber es kam niemand. Dann schaute er lange auf die Figur hinab, die mit schmerzverzogenem Gesicht seinen Blick erwiderte. Von der Lende flatterte das Tuch in vielen kunstreich geschnitzten Falten. Figallo seufzte, und nachdem er, um sich selbst zu überreden, noch einmal halblaut: „Holz ist Holz!“ vor sich hin- gebrummt hatte, trennte er das faltenreiche Lendentuch mit einem einzigen Hieb von der Figur. Eine Art Bann schien damit gebrochen, er ließ den Gekreuzigten los und hackte das Tuch rasch, während er sich eins pfiff, in kleine Sprissel. Aber der Ertrag war jämmerlich, und wenn der Ofen richtig warm werden sollte, durfte man sich mit dem Stück Schnitzwerk nicht zufriedengeben. Wieder griff er nach dem Gekreuzigten; diesmal schien es leichter zu gehen, er holte gewaltig aus und in großem Bogen flog der linke Arm der Figur an die Graben- wand.

Aber dann hielt der Soldat inne. Der Armstumpf ragte mit glatter Hiebfläche, gelb wie totes Fleisch, aus der Schulter, und der zweite Arm, vom andern im Stich gelassen, schien nun noch beschwörender als vorher ins Leere zu langen und mit schmerzhaft gekrümmten Fingern nach Halt zu suchen.

Der Bursche, der mit beiden Beinen fest im Wirklichen stand, dem als Wärter des zoologischen Gartens in Schönbrunn der tägliche Umgang mit Raubtieren wenig Zimperlichkeit erlaubte, und der nun das dritte Jahr an der Front seinen Mann stellte, ließ die Hacke aus der Hand gleiten, ein-feines Grauen beschlich ihn, wie er es seit seiner Kinderzeit nicht mehr erfahren hatte. Er begriff es nicht, aber es war ihm ohne jeden Ausweg klar, daß er keinen Hieb mehr zu tun imstande war. Er nahm den abgehackten Arm zu sich und trug ihn samt der verstümmelten Figur in die Kaverne, wo er erfuhr, daß das Regiment noch am gleichen Abend abgelöst werde, um nach Trient auf Erholung zu gehen. Er packte schweigsam seinen Rucksack; es war ihm dabei zumut, als hinge der unerwartete Aufbruch irgendwie mit seinem Tun und Lassen zusammen.

Gegen Abend klarte es noch einmal auf, was niemand erwartet hatte. Als die lange graue Kolonne unter dem hellen Wintermond in die Etappe marschierte, rauchend und hin und wieder singend, sah der Florl einige Doppelreihen vor sich aus dem Rucksack des Figallo die Figur des Gekreuzigten ragen, den einen Arm über die marschierenden Männer hinaufgestreckt, mit gesenktem Haupt im Gleichschritt mitmarschierend — und da konnte er sich nicht versagen, dem Kameraden zuzurufen: „He, Figallo, ich hab gemeint, Holz ist Holz? Wir hätten’s brauchen können.“

Der aber verriegelte alle seine Gedanken und Empfindungen, die ihm wunderlich neu und zugleich wie seit der Kinderzeit her vertraut wajren. hinter den zwei brummigen Worten: „Halts Maul!“

Entnommen dem letzten Werk Josef Leit- gebs: „Kleine Erzählungen“, das in der Reihe „Dichtung der Gegenwart“ im Stiasny-Verlag erschien.

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