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Homo styriacus: Eine sprachkritishc Annäherung

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„Nennen möchte ich ein göttlich Ding ihn: denn nie sah ich Natürliches so edel." William Shakespeare: Der Sturm (Akt I)

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„Nennen möchte ich ein göttlich Ding ihn: denn nie sah ich Natürliches so edel." William Shakespeare: Der Sturm (Akt I)

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Wie viele herrliche Geschöpfe hier. Prächtige neue Welt, die solche Rürger trägt", läßt William Shakespeare Prosperos Tochter Mi-randa im „Sturm" entzückt ausrufen. Die junge Dame, das muß gesagt werden, steht allerdings unter dem Eindruck einer jäh entbrannten Liebe. Bis vor kurzem noch kaum eines menschlichen Wesens ansichtig geworden, war sie bereits beim ersten Anblick des jungen Mannes überzeugt: „Nennen möchte ich ein göttlich Ding ihn: denn nie sah ich Natürliches so edel".

Wir indes wollen hier unseren Blickwinkel erweitern, indem wir nicht nur vom Manne, sondern vom Menschen beiderlei Geschlechts sprechen; wir schränken aber in anderer Hinsicht gleich wieder ein, da wir die Gattung nur in ihrer natürlichsten und edelsten Ausprägung ins Auge fassen: den homo styrjacus - den steirischen Menschen, als Steirerin und Steirer geläufig.

Es soll nicht verschwiegen werden, daß der Autor dieser Zeilen sich nicht zu dieser Spezies zählen kann; vielmehr handelt es sich bei ihm um einen nach sechs Jahren aus der Steiermark soeben in seine Heimatstadt Wien Zurückgekehrten, den man vielleicht am ehesten der gar nicht so seltenen Gattung des Begierdesteirers zurechnen könnte.

Herrlich ist der Mensch nach biblischer Tradition in seiner Gottebenbildlichkeit, als Geschöpf zum Mit-schöpfer seiner Welt berufen. Wenn es aber stimmt, daß das Wesen in der Sprache seinen deutlichsten Ausdruck findet, dann müssen wir den Steirer und die Steirerin wohl in höchstem Maße herrlich nennen, wird ihm doch bereits die ganz banale und alltägliche Arbeit zum Schöpf. Kreativ im Wortsinn also ist der Steirer nicht erst als Künstler, Staatsmann, Journalist, als Häusl- oder Weinbauer - nein, im Tätigsein an sich erfüllt er seine stei-risch-menschliche Bestimmung. Hier schwingt etwas Natürliches aus edleren Zeiten mit, denen der moderne Gegensatz von „hackein" (welch armseliges Wort!) und freizeitlicher Verblödung fremd war.

Und indem der homo styriacus schöpft, richtet er auch etwas: Arbeiten ist ihm schöpfen und richten gleichermaßen. Wenn er daher sagen will, er habe viel weitergebracht, formuliert er gerne: I hob' wos g'richt'. Das läßt das Schälen von fünf Kilogramm stei-rischer Erdäpfel oder das Durch-

Redaktionelle Gestaltung: Rudolf Mitlöhner ackern eines polsterdicken Skriptums in ungewohntem weil globalem Zusammenhang sehen: wo ein Steirer schöpft, wird ein Stückchen Welt ge-richtet - repariert, wenn man so will

- und in seinem ursprünglich paradiesischen Zustand wiederhergestellt.

Peter Daniel Wolfkind - Zeitungslesern besser als Peter Vujica bekannt

- hilft uns hier noch ein Stück weiter. Ausgehend von der Überzeugung, daß im Teil schon immer irgendwie das Ganze präsent ist, folgert er: „Da die Steiermark nicht die Welt ist, sondern nur ein Teil davon, so ist es gar nicht anders möglich, als daß in allen Städten, Bergen und Flecken dieses

Landes auch jedes andere Land, jede andere Stadt auf geheimnisvolle Weise ahnbar werden" (G. Wolf, P. D. Wolfkmd: Steiermark. Styria 1995). Das vielstrapazierte Wort vom „Modell Steiermark" bekommt da plötzlich einen neuen Klang, des Steirers Tun buchstäblich weltumspannende Bedeutung ... Mit tieferem Verständnis und voll Staunen zitieren wir nun noch einmal Stratford-upon-Avon's großen Sohn: Wahrhaft prächtige neue Welt, die solche Bürger trägt.

Apropos prächtig: Die Steiermark ist in der Tat ein gar prächtiges Land, ein „Modell in ihrer ganzen Vielfalt" - vom ewigen Eis des Dachsteins bis zu den südsteirischen Weinbergen, wie Landeshauptfrau Waltraud Klasnic im Interview (siehe nächste Seite) herausstrich. Das ist zum einen ein Geschenk vom Herrgott, zum anderen freilich das Ergebnis steirischer Schaffenskraft in Stadt und Land: Geschäfte wollen geführt, Beisln betrieben, Kulturveranstaltungen initiiert, Häuser renoviert, Felder bestellt, Weintrauben gelesen, Kürbiskerne gepreßt werden. Kurzum - der Steirer und die Steirerin haben jede Menge Arbeit. Und weil das so ist - und weil ihre Arbeit, wie wir schon gesehen haben, noch dazu eine immens schöpferische ist - halten sie sich nicht mit unnötigen Dingen auf.

Die Retonung liegt auf „unnötig". Das heißt also: natürlich gehen sie ins Gasthaus und trinken vom kräftigen steirischen Rier; natürlich genießen sie ihre herrlich fruchtig-frischen Weine (siehe Seite 21) in ebenso herrlich-frischer Umgebung; und sie nehmen sich Zeit für Familie, Freunde et cetera. Das gehört dazu.

Unnötig aber ist es, ganze Sätze mit ganzen Worten zu bilden. Die Sprache wird gewissermaßen auf das wirklich Wesentliche eingedampft, den Jargon der „Eigentlichkeit" hat das der Stainzer Literat Reinhard P. Gruber genannt.

Während unsereins etwa umständlich formulieren würde Gehst Du auf den BauernbundbalP, so fragte der Steirer g'radheraus Gehstbauern-bundball? Und selbst die anspruchsvollere Fragestellung Hättest Du Lust, auf den Bauernbundball mitzugehen?

brächte der Steirer auf die zeitschonende Formel Mogstbauernbundball-gehn? - SchneistbroÜ könnte man viel -leicht mit Würdest Du bitte ein wenig Brot aufschneiden! übersetzen; und auch etwa der Inhalt von Ibinnix-grazgfoan läßt sich kaum präziser fassen.

Der homo styriacus verbindet also beim Sprechen sozusagen die Vorteile des Chinesischen - radikale grammatikalische Einfachheit - mit Restelementen der deutschen Sprache zu einer gelungenen Synthese. Die so gewonnene Zeit läßt sich im Lauf der Jahre in geklaubten Äpfeln, gestrichenen Fensterläden oder Welsch-r,iesling-Bouteillen messen. Daß das auch ein Standortvorteil sein könnte, wäre von der steirischen AVirtschafts-politik erst noch hervorzuheben.

Vielleicht noch ein Wort zum Verhältnis des Steirers zu der großen Stadt nördlich von Graz, die nicht mehr zur Steiermark - Gott bewahr' - aber irgendwie doch noch zu Osterreich gehört. Ich weiß schon, das wäre eine eigene Geschichte - „wildes Rergvolk hinter dem Semmering" und so. Nur soviel: Als ich nach Graz kam, fragten sie alle, woher ich denn komme. Fast nie kam einer drauf. Und wenn ich dann sagte: „Aus Wien", hieß es meistens anerkennend: „Merkt man ja gar nicht" - das „Macht auch nix" schwang dezent mit.

Auch mir hat's nichts gemacht: Ich dürfte die Styrifizierung ganz gut überstanden haben.

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