Vergangenes Wochenende konnte man in Wien über tausend junge und alte Männer mit bunten Bändern und Mützen zum Stephansdom und zur Hofburg ziehen sehen: Die katholischen Verbindungen Kürnberg und Nordgau feierten ihre Gründung vor hundert Jahren. Beide trugen wie alle katholischen Verbindungen die Last der Geschichte mit sich, die sie angesichts der Verquickung liberaler und nationaler Ideale seit 1848 zu Verfechtern deutschnationaler Zielsetzungen verurteilte. Beide bestanden aber wie der gesamte Cartellverband (CV) die Schicksalsprobe von 1933, als der gemeinsame deutsche CV ein "vorbehaltloses Bekenntnis zur Zusammenfassung aller Deutschen in einem Deutschen Reich" verlangte.
Der Nordgauer Emmerich Czermak, Unterrichtsminister und letzter Bundesparteiobmann der Christlichsozialen, war neben Friedrich Funder Wortführer der Widerständler, die sich mit der Gründung eines selbständigen ÖCV tatsächlich durchsetzten. Auch nach dem Triumph des Nazismus in Österreich bestand dieser den Lackmustest. Natürlich liefen ein paar über. Aber zehn Prozent der Insassen des ersten Prominententransports ins KZ Dachau am 1. April 1938 waren CVer, darunter Leopold Figl, Alphons Gorbach, Fritz Bock und Richard Schmitz. Erstes Blutopfer des CV wurde der Kürnberger Ludwig Bernegger, Polizeikommissar in Linz, den SSler am 13. März 1938 erschossen. 24 CVer mußten unter Hitler-Schergen ihr Leben opfern. In 13 Widerstandsorganisationen waren CVer aktiv. Mindestens ein Drittel aller CV-Mitglieder (so Gerhard Hartmann in "Der CV in Österreich",1994), wurden politisch verfolgt.
Das ist die positive Kehrseite einer Bilanz, die auch eine beschämende antijüdische Grundströmung im CV nicht ausblenden darf. Immerhin: Einen "Arier-Paragraphen" gab es in der CV-Cartellordnung nie (wohl aber de facto in manchen Verbindungen). Ein großes Umdenken setzte spätestens 1945 ein. Es ist, wie vieles in uns allen, noch an keinem Endpunkt angelangt.
Hubert Feichtlbauer ist freier Publizist und Vorsitzender der Plattform "Wir sind Kirche".
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!