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Hymnus auf die Robinie

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Norden, Osten und Südosten Wiens, Weinspeicher und Fruchtkammern, sind pannohisches Land. Von Bergen schimmert laubsatter Wald, auf tagweiten Ackerfluren wehen Korn und Klee. Erdglühende Wahrzeichen, stehen über dichtbewohnten Tälern goldleuchtende Lößterrassen — im Volksmund Gstetten —, in die machtvollen Hügel schürfen tiefe Hohlwege. Wie die Wadi arabischer und afrikanischer Wüsten führen sie bei starken Regengüssen stürzende Wasser. Die längsten, geräumigsten Fluchten bergen Preßhäuser und Keller und heiße Triften. Enggereiht, häufig in doppelter Zeile, ziehen darin die Werkhäuser der Winzer hinauf zu den leicht verschwingenden Kämmen vielfältiger Bühel. De.r Fremde glaubt, die weiten, ausstrahlenden Gassen sind stattliche, eigene Dörfer.

Auf Gstetten, in Lößracheln •— so nennt die Hohlwege der Geologe — und auf zahlreichen Feldwegen herrscht die Robinie.

Wenige haben bisher ein Wort auf die goldstrahlende Erde und ihren übermächtigen Blütenbaum gewagt. Eingebürgerter Betrachtung ist Osterreich Alpenhochwald, Fels und Gletschereis. Mögen ferne und nahe Beschauer einmal im Jahr — zu Vergeltung und- Lob — unseren nährenden, schenkenden Talmulden und Hügeln begegnen.

Baum der Bauern, Strauch der Feldwege in unseren Hügelweiten, Ungelobter, Unbesungener, wirst du es glauben, daß du verherrlicht, daß du verkündet werden sollst?

Akazie heißt du unserer Kindheit, und du prägtest und beschenktest sie wie kein anderer Baum, kein anderer Strauch. Unveräußerlich, unentrinnbar bist du unserer Erinnerung.

Wer hätte uns, wenn wir, ahnungslos Vorzeit spielend, eine Grube mit dichtlaubigem Schimmer deckten, uns darunter eines heimlichbergenden, erregenden Wöhnens zu freuen, wer hätte uns besser und reicher seine Äste geboten als du? Wer wuchs gleich neben der Straße, mitten im Dorf, in stattlichen, dichten Zeilen, so daß wir durch sie einen geheimnisvollen langen Gang zu bahnen vermochten, darin man häuserweit gehen konnte, ohne daß einem von außen auch nur eine Seele sah? Ja, selbst die wenigen Eingänge waren nur Wissenden vertraut, und das zwielichtgrüne, verborgene Dunkel durfte nur betreten, wer höchster Freundschaft fähig und erwählt war. O wie viele Träume, Pläne, Bünde und bittere Feindseligkeiten ließen sich in diesem schattengrünen Hüttenhaus ausmalen und bereden.

Einmal aber kam deine wunderbare, deine allergrößte Zeit. Wie hellichte, mildschneeige Glyzinen stürztest du plötzlich deine Blütensträuße aus dem bebend gefiederten Blätterspiel unerschöpflicher Zweige. Lange, lange hattest du zugesehen, wie die anderen blühten und sprühten, der Pfirsich, die Marille, die Kirsche. Flammende Kronen, hatten sie sich festlich, gebieterisch ins Land gestellt. Du aber schwiegst. Blankbraun oder graugrün schnitten deine schlanken Gerten die lenzblauenden Horizonte, und es schien, du bliebest ungerufen. Doch als die andern schon ins herbe Fruchten sanken, da prangtest du. O dieser Weg ober der Kellertrift in aller Morgenfrüh, wenn drunten im Osten auf fernstem Hügelkamm jäh ein sattkühler, eisenroter Glutfleck lag, daraus es nach allen Seiten glomm und urmächtig erstrahlte ins plötzlich erbrennende, frühblanke Blau! Und dann traf das Feuer schon ans und das ganze Land. Da war die unter uns eingesenkte Kellertrift nur mehr der große funkelnde Strom deiner weißen Blütenwogen, darin die vielen wettergrauen Preßhausdächer standen und zogen schier wie verlassene klobige Floßhütten. Deine Kronen, Büsche und Wipfel aber, schäumend vor blitzendem, segnendem Blühen, schlugen hochauf Wellen und Wände. Märchenfestlich war es, bezwingender Traum der Wirklichkeit. Ab und zu strahlte lichtgetroffener Löß, pures steinchenblitzendes Gold, zu dir empor,' oder eine glühweiße Preßhauswand schimmerte auf, und über allem gurrten Wildtauben, Bienensang summte und schwoll, Rotschwänzchen schlugen und , schwirrten im goldenden Blau, der Kuckuck schrie, und bald da, bald dort rief der Pirol das kunstvolle Spiel seiner gipfelnden Töne in deinen festlichen Morgen, du strahlend verborgene Maienbraut.

Draußen aber erst auf freiem Feld, da standest du links und rechts neben dem Karrenweg wie ein unbeschreiblich schimmerndes Spalier. Weithin die grünen Äcker und Weingärten und mitten durch sie eine prunkende Straße hochhin wallender Blütenbäume. Was sind Pylonen, Tannenkränze, Steinsäulen, Zierlauben? Von niemandem gerufen, von niemandem gezogen, stehst du kraft deiner selbst, kraft der gelben Erde, die dich bringt, kraft der Sonne, die dich krönt, stehst und leuchtest du zu beiden Seiten, sonneblitzende Funkenpracht.

Tausendfältig bricht sich zwischen überquellendem, sanftweißem Blühen, rotbraunen Kelchen und lenzgrünem, leise federndem Blättergefieder das felderweit strömende Licht und taucht dich in ein lerchenhohes, morgenjubelndes Fest. Unversehens gehen wir hin und lassen sprühende Maientrauben leise auf unseren Händen glänzen und ruhen, zu wissen, daß dies alles wirklich ist. Wunderbares Arom umschlägt uns. Still halten wir inne, lassen uns umströmen. Schon aus der Kellertrift war der wundersame Ruch wallend zu uns emporgestiegen. Es ist, als ziehe er über alle Raine und Bäche, über alle Berge und Sterne.

Weihevoll begegnetest du uns am Fronleichnamstag'. Man lag frühmorgens noch zu Bett, da scholl von der Gasse her vielstimmiges Pinken und Klingen. Die Bauern schlugen mit ihren großen Wagennägeln — diese halten die Zugwaage an die Deichsel — schmalrunde Schächte in die hartgetretenen Steige. Darein stellten sie zu beiden Straßenseiten schöne, schlanke Akazienstämme. So war der ganze Ort eine einzige grün wehende Ehrenpforte, durch die purpurner Himmel, goldene Monstranz, funkelnder Weihrauch, Glockenklingen, Musik und Chorgesang zogen. Den Boden der robiniengrünen Gasse aber schmückten dunkelblutrote Pfingstrosenblätter und kleegrün herzflammroter Esparsett.

Das alles ist schon lange her. Vor wenigen Tagen aber mußte ich auf meinem Weg plötzlich innehalten. Da stand ein Akaziebaum, dem hatte man die schweren Bretter einer Lorwand in den Leib genagelt, und immer wieder hatte man ihm die Jahre her Scheitel und Arme abgeschnitten. Der Strunk klaffte und trug Narben von brechenden Kräften der Regengüsse, der Winde und des Eises. Zersprungene Rindenstücke hingen um sein gequältes Holz, und ich hatte das Gefühl, wollte man ein Stück davon abbrechen, fielen Staub und Moder daraus. Doch aus all diesem Zerstören und Hinsinken griffen schwanke, jugendglatte Stämme hoch in sonnfunkelnde Lüfte, leicht gebräunt oder schimmergrau mit bläulichem Glanz darin, braunschwarze, wildstarke Dornen starrten daraus, und rund um die herrlichen Äste, rund um die glückhaft sprossenden Zweige schwangen in leisem Anhauch zartspielendes Blätterwehen und überschäumende Traubenpracht. Oft aber hingen gleich dicht neben wallendem Blütenweiß die grauschwarzen Schoten der Früchte des Vorjahrs. Das nenn' ich ein Beispiel: unter maiblauem Himmel bietest du, Unzerstörbarer, Sieghafter, in trunkner Gelassenheit neben jauchzender Freude den Tod.

Noch eines muß ich vermerken: als über Menschen die große Nacht zusammenschlug und sie ihre Häuser, ihre Straßen, ihre Äcker und Weinberge verlassen mußten, kamen viele von ihnen zu uns. Als Winter werden sollte, holten sie, die Betrübten, Frierenden, dich Zahlreichste, dich Ungeschonte. Sie holten dich von allen Bächen, Rainen, Wegen und Gstetten. Herzlos — so schien es — fällten sie dich. Auch ich und viele andere, obsdion nicht landverwiesen, mußten Gleiches tun. „Der brennt zweimal“, sagte eine Frau, als ich mit hohem, ästeschwingendem Schubkarren durch die Gasse fuhr, „einmal beim Einlegen, wenn man sich in die Finger sticht, und einmal im Ofen“, meinte sie im Doppelsinn überlieferter Rede. Aber wer konnte in diesen Tagen auf blutende Hände schon achten? Du gabst uns auch darin mehr als die anderen: du brennst grün! Und wahrlich, du flammtest, du tostest wie Schwefel. Unzähligen warst {du in diesem schier brüderlosen Winter die einzige Flamme, die sie wärmte. — Längst nun hast du das große, landweite Reuten überwunden. Wieder leuchten von allen Hängen und Hügelkuppen deine schneeweißgrünen, schimmerwehenden Wogen, Herzbilder der Heimat, Symbole der Unversiegbarkeit.

Wie danke ich dir, du große? Traum, nein, du große Wahrheit von Pracht, Glanz und Überfülle, duftströmende, blätterbebende, traubenprunkende Rcw binie!

Bretterzaun.

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