„Ich bin das Genie, nicht er“

Werbung
Werbung
Werbung

„Ganz und gar getrennt voneinander verbringen die altgewordenen Geschwister ihr Leben, jeder in seinem besonderen Gehäuse – nur wenige Kilometer voneinander entfernt. Doch wenn sie einem Menschen begegnen, der beider Wege kreuzt, versäumen sie in den letzten Jahren nicht zu fragen: Wie geht es meinem Bruder? Wie geht es meiner Schwester?“ So tragisch endete die Beziehung zwischen Salvador Dali und seiner jüngeren Schwester Ana Maria. Einst die Muse des spanischen Malers und Surrealisten, kam es zum Bruch, als Dali die Schwester verließ, um seinen Drang auszubrechen zu stillen. Sie wiederum blieb dem traditionellen Heimathaus verbunden. Der Bruch war endgültig.

Die Geschwister Salvador und Ana Maria Dali sind eines von vier Geschwisterpaaren, welche die Autorin Linde Salber im Buch „Geniale Geschwister“ porträtiert. Entlang der Beziehungen zwischen Elisabeth und Friedrich Nietzsche, Gertrude und Leo Stein sowie Erika und Klaus Mann werden die unterschiedlichsten Facetten von Geschwisterbeziehungen in verschiedenen Phasen herausgearbeitet. Jeweils eine Frage steht im Mittelpunkt: „Wie geht eine Schwester mit einem Bruder um, der die bürgerlich eingefahrenen Bahnen verlässt, um sich als Künstler zu realisieren?“ Jedes Beispiel für sich zeigt die Höhepunkte und Untiefen geschwisterlicher Liebe. So wurde Nietzsches jüngere Schwester nach dem Tod ihres Bruders zu seiner Nachlassverwalterin, die nicht davor zurückschreckte, sein Werk zu manipulieren, so dass es in ihr Bild passte. Das „Nietzsche-Archiv“ wurde ihr „Kind“: „Die Frucht des Bruders war der Schwester in den Schoß gefallen. Rücksichtslos hat die Schwester dafür gesorgt, dass das ‚Kind‘ ihre Züge trug.“

Anders die Beziehung zwischen der US-amerikanischen Schriftstellerin Gertrude Stein und ihrem zwei Jahre älteren Bruder Leo. Zunächst von ihr idealisiert, emanzipierte sie sich allmählich von ihm und wagte es, eine eigene künstlerische Karriere zu starten. Es gipfelte in ihrer Erkenntnis: „Ich bin das Genie, nicht er. Es gibt keinen Grund dafür. Es ist einfach so.“

Wie Zwillinge traten die beiden ältesten Kinder des Schriftstellers Thomas Mann – Erika und Klaus – auf. „Erika und Klaus Mann behandelten die Herausforderungen ihres Lebens, indem sie sich in einem Geschwisterbündnis zusammenschließen. Es ist, als würden sich die Geschwister einen Seelenhaushalt teilen.“ Gemeinsam traten sie eine künstlerische Karriere an, durchlebten die schmerzhafte Emigration aus Nazi-Deutschland, kämpften fortan vom Exil aus gegen den Nationalsozialismus. Die Schauspielerin und Kabarettistin Erika musste zusehen, wie ihr Bruder, der Schriftsteller, zunehmend zerbrach und sich schließlich 1949 das Leben nahm (das Foto rechts zeigt das Geschwisterpaar im Jahr 1948). „Waren wir doch Teile voneinander, – so sehr, dass ich ohne ihn im Grunde gar nicht zu denken bin“, sagte Erika Mann nach dem Tod des geliebten Bruders und hütete danach sein Werk und das ihres Vaters.

Vier Paare zwischen Liebe, Hass und Abhängigkeit. Auffallend auch, dass keiner der Geschwister je eine stabile eigene Familie mit Kindern aufbauen konnte. Dabei heißt es in der Geschwister-Forschung, dass die Schwester-Bruder-Beziehung noch die günstigste unter den Geschwisterbindungen sei. Wie gerne würde man daher einen weiteren Band aufschlagen, der Bruder-Beziehungen oder Schwestern-Paare beleuchtet, ob genial oder nicht. (bog)

Geniale Geschwister.

Von Linde Salber. Piper Verlag, München 2007, als Taschenbuch Dezember 2008, 364 S., r 10,30

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung