Peter Henisch - © Foto: APA / Jaeger (3)

Peter Henisch: „Ich bin ein Kind der Zweiten Republik“

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Längst hat sich Peter Henisch in die österreichische Literaturgeschichte eingeschrieben. Die Lektüre seiner Werke zeigt den Autor als „Chronisten“ seines Landes.

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Längst hat sich Peter Henisch in die österreichische Literaturgeschichte eingeschrieben. Die Lektüre seiner Werke zeigt den Autor als „Chronisten“ seines Landes.

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Sein jüngstes Buch "Suchbild mit Katze" gelangte auf die Shortlist für den ersten Österreichischen Buchpreis. Werke wie "Die kleine Figur meines Vaters" gehören längst zum Kanon österreichischer Literatur. Im Rahmen der Reihe WERK.GÄNGE sprach Peter Henisch in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur über seine Texte - und ihre Kontexte. Das Gespräch wird hier gekürzt und leicht redigiert wiedergegeben.

DIE FURCHE: "Außenseiter" haben es Ihnen besonders angetan. Auch Ihr zweites Buch "Vom Baronkarl", das 1972 erschien, widmeten Sie einem solchen ...
Peter Henisch:
Dieser Baronkarl hat wirklich existiert, er war eine legendäre Figur in Favoriten, damals besonders bedeutend als Bezirk der Zuwanderer aus Tschechien und der Slowakei. Eines Tages, heißt es, hat ihm ein Arbeiter versehentlich mit dem Hammer auf den Kopf gehämmert. Als er wieder aufgewacht ist, hat er gesagt: Mit dem Arbeiten ist jetzt Schluss. Seither hat er als Clochard gelebt, hat angeblich die Bezirksgrenzen von Favoriten nie verlassen, ist herumgezogen von Gasthaus zu Gasthaus und hat Geschichten erzählt und Violine gespielt. Er hat eine große Anhängerschaft gehabt. Zu seinem Begräbnis 1948 kamen angeblich 10.000 Leute. Mich hat der Widerspruch interessiert zwischen dieser Bezirkslegende und der Art, wie man Randfiguren der Gesellschaft damals in den 70er-Jahren gesehen hat. Vor allem Unterstandslose, sogenannte "Gammler", Langhaarige. Der Baronkarl hingegen war fast ein Heiliger.

DIE FURCHE: Wie lässt sich das erklären?
Henisch:
Er hat anscheinend Charme gehabt. Er war nicht nur ein Diogenes, sondern auch ein Sokrates, hat die Leute ins Gespräch verwickelt. Es gibt eine Handvoll von Geschichten, die mir bei den Recherchen über diese Figur immer wieder erzählt wurden und die das im Wesentlichen bestätigen: Der Baronkarl war ein besonderer Mensch, von dem hat man was lernen können, wenn man ihm was geschenkt hat, hat er es an andere Arme weitergeschenkt, er war moralisch und intellektuell imponierend.

DIE FURCHE: Auch das Buch kam sehr gut an. Im Untertitel heißt es: "Peripheriegeschichten und andere Prosa" - was interessierte Sie an dieser Peripherie?
Henisch:
Auch diese soziologische Verschiedenheit, diese Diversität zu suchen und zu finden. Das war damals auf dem Wienerund Laaerberg noch sehr deutlich. Viel freie Gegend mit sogenannten "Gstetten", Flecken mit Wildwuchs, sei es, dass dieser Wildwuchs auf den Ruinen des Zweiten Weltkrieges entstanden ist, sei es, dass der schon immer da war. Blühendes Unkraut, das ist etwas sehr Feines. Als es später um die Hainburger Au ging, sagte der Herr Benya: Das ist keine Au, das ist ein Dickicht. Das hätte er gern einfach begradigt. Das war dann in Favoriten schon längst passiert. Aber damals, als ich dort umhergestreunt bin, auf der Suche nach Geschichten, da waren die Ziegelteiche noch frei, da konnte man schwimmen und nackt baden und lieben und einfach leben -wenn man allerdings Pech hatte, auch ersaufen. Aber da sind die Menschen einfach im Gras gelegen und haben sich Erdäpfel oder Würstel gebraten, ohne dass da ein Schild stehen musste mit der Aufschrift "Lagerwiese" oder "Grillplatz". Und die Leute, die alten Wiener, konnten erzählen, einen ganz interessanten Erzählstil hatten sie, den man nicht direkt wiedergeben kann. Ich habe das stilisiert, aber ein bisschen was davon habe ich vielleicht aufgehoben. Und das Wort "aufheben" verstehe ich im mehrfachen Sinn des Wortes: "aufklauben" und "bewahren", aber auch zur Literatur erheben.

DIE FURCHE: Zu jener Zeit Anfang der 70er-Jahre wurde viel gestritten, was die auch ideologisch richtige Literatur sei. Das muss schwierig gewesen sein für einen jungen Schriftsteller, seinen eigenen Weg zu finden ...
Henisch:
Ja. Mir wurde zum Beispiel von manchen Kollegen der Vorwurf gemacht, dass die Baronkarltexte populistisch seien, ich biedere mich da den einfachen Leuten an. Kollege Schindel hat am Floridsdorfer Schnellbahnhof den Arbeitern über Marxismus gesprochen -und die Arbeiter sind gegangen. So kann man es auch machen. Ich habe es ein bisschen anders versucht. Andererseits gab es eine starke Tendenz, das Erzählen überhaupt zu etwas Reaktionärem zu erklären -erzählen tut man nicht mehr. Aber ich habe es mir nicht ausreden lassen. Die Geschichten vom Baronkarl machen übrigens nur ein Drittel des Baronkarlbuchs aus. Im zweiten Drittel gibt es ein langes Gedicht, das eine gewisse Verwandtschaft zu den "long poems" der amerikanischen Literatur hat, vor allem zur Beat Poetry. Und im dritten Drittel dann "Gemischte Profile". Das ist ein Prosatext, der vielleicht am ehesten an einen der Filme der Nouvelle Vague erinnert. Das waren eben verschiedene Möglichkeiten. Aber im Wesentlichen waren es zwei Pole, zwischen denen ich meinen Weg finden musste. Auf der einen Seite die politisch bewegte, manchmal erstaunlich humorlose, linke Kollegenschaft, auf der anderen Seite die so genannten Sprachkritiker. Skylla und Charybdis sozusagen. Aber ich glaube, letzten Endes bin ganz gut dazwischen durchgekommen.

DIE FURCHE: Wie sehen Sie den gegenwärtigen Literaturbetrieb im Vergleich dazu?
Henisch:
Viele jüngere Kolleginnen und Kollegen haben solche Probleme nicht mehr. Das kann man gut oder schlecht finden. Wohl ihnen, dass sie die nicht haben. Doch manche machen sich vielleicht zu wenig Probleme. Sowohl was den Umgang mit der Sprache, als auch was das politische Bewusstsein betrifft.

DIE FURCHE: Über das 68er-Jahr, dessen wir heuer gedenken, haben Sie ebenfalls ein Buch geschrieben: "Der Mai ist vorbei".
Henisch:
Ja. Dieses Buch wird übrigens vom Deuticke-Verlag neu aufgelegt. Gemeinsam - also in einem Band - mit dem Roman "Pepi Prohaska Prophet". Zu meinem 75. Geburtstag Ende August. Das finde ich sehr erfreulich. "Der Mai ist vorbei" behandelt die Entwicklung um das Jahr 1968 in Wien. Aber aus einer sehr subjektiven Perspektive und nicht ohne Ironie. Eigentlich ist ja die 68er-Bewegung bei uns erst nach 68 so richtig in Schwung gekommen, mit dem Höhepunkt der Arena-Besetzung. Aber natürlich haben wir im Jahr 68 nach Paris geschaut und nach Prag und gewiss waren wir vorher schon von der amerikanischen Jugendbewegung beeinflusst. "We shall overcome" haben wir gesungen, "Wir werns schon derpacken", so hat das der Dichter und Philosoph Rolf Schwendter übersetzt. Schwendter, der emsig und unermüdlich seine handgeschriebenen "Mitteilungen an den Freundeskreis" verschickt hat, ein ganz wichtiger Organisator und Kommunikator, der gute Geist der hiesigen Alternativszene. An solche Aktivitäten sollte man sich erinnern, nicht immer und ewig an die fragwürdige Aktion der Wiener Aktionisten an der Wiener Uni, die doch nichts anderes bewirkt hat als die Fixierung eines völlig verzerrten Bildes der 68er- Bewegung. Der inzwischen leider verstorbene Kollege Christian Ide Hinze, der die Schule für Dichtung begründet hat, hat vom Kältestrom und vom Wärmestrom der 68er-Bewegung gesprochen. Ich bin ein radikaler Individualist, lasse mich nicht gern wo einordnen, aber diesem Wärmestrom fühle ich mich verbunden.

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