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Der beeindruckende Debütroman "Wie der Soldat das Grammofon repariert" von Sasa Stanic war für den Deutschen Buchpreis nominiert.

Es ist ein Bild, das bleibt. Das Bild eines kleinen Jungen, der mit einem spitzen Zauberhut auf dem Kopf und einem Zauberstab in der Hand versucht, all die Geschichten, die er gehört hat, und das, was er selbst erlebte, auch als er längst schon kein kleiner Junge mehr war, in ein Buch zu zaubern. In diesem Buch trägt er den Namen Aleksandar Krsmanovi C7c und wächst in der kleinen bosnischen Stadt Visegrad auf. Er ist Fähigkeitenzauberer, Chefgenosse des Unfertigen, Flußredner. Kind einer Großfamilie, in der es von skurrilen und verschrobenen Gestalten nur so wimmelt: Opa Slavko, der ihm den Zauberhut aus Kartonpapier geschenkt hat, mit gelben und blauen Sternen drauf, Tante Gordana, eine "blonde Insel im Haarmeer unserer Familie, von allen Taifun genannt, weil sie viermal lebendiger lebt als normale Menschen", Onkel Bora und Onkel Miki, "Nena Fatima, die Mutter meiner Mutter, hält sich noch gut, bei ihr sind nur die Ohren und die Zunge gestorben", Oma Katarina, Ur-Oma und Ur-Opa und im weiteren Umfeld so unverwechselbare Charaktere wie Milenko Pavlovi C7c, genannt Walross oder Radovan Bunda, der mit einem Kühlschrank voller lebendiger Hühner auf dem Rücken die Stadt verlässt und viele, viele mehr, die hier aufzuzählen der Platz nicht reicht.

In dieser Kinderwelt ist das Ungewöhnliche die Norm. Lebendig geht es zu und bunt. Nie aber macht sich der Autor über die Eigenheiten der Protagonisten lustig, im Gegenteil: er beschreibt sie liebevoll und sie werden dem Leser, der in diese Gemeinschaft nach und nach eingeführt wird, zunehmend sympathisch.

Viele Namen

Zu Beginn des Buches ist die Vielfalt an Namen, Beziehungen und Ereignissen sowie die ungewöhnlich reichhaltige, zuweilen überladene Sprache, in der erzählt wird, für den Leser verwirrend. Dass der Autor seine Pointen nicht immer an den Schluss einer Geschichte stellt, sondern manchmal erst hundert Seiten später die Pointe preisgibt oder den Faden einer Erzählung wieder aufnimmt, stellt die Geduld des Lesers zusätzlich auf die Probe. Doch hat dieser Kunstgriff auch seinen Reiz: Wer wissen will, wie die Geschichten ausgehen, muss das Buch schon zu Ende lesen. - Und es lohnt sich: alle Geschichten werden zu Ende erzählt.

Der Roman spielt in der Zeit von 1990 bis 2002. Als in Jugoslawien der Krieg ausbricht, bleiben auch Visegrad und die Kinderwelt des Aleksandar Krsmanovi C7c davon nicht verschont. Er erlebt wie der Krieg in das Dorf kommt, die Soldaten die Stadt besetzen und muss mit seiner Familie nach Deutschland fliehen, wo er die Schule besucht, Deutsch lernt und ein Studium beginnt, während seine Eltern, die keine Aufenthaltsbewilligung mehr bekommen, 1998 weiter in die USA emigrieren. Doch Aleksandar lassen die Erinnerungen an Visegrad nicht los, an seine Oma Katarina, die dort lebt, an seine Freunde und die Schule und im besonderen die Erinnerung an ein kleines Mädchen, das als Flüchtlingskind, kurz bevor die Soldaten einmarschierten, zu ihnen ins Haus kam: Asija. Mit ihr erlebt er die ersten Kriegstage. Ihre Eltern wurden von den Soldaten geholt. Gerettet hat sie ihr Onkel Ibrahim, der schon bald nach ihrer Ankunft in Visegrad stirbt: ihm wird beim Rasieren vor dem offenem Fenster in den Hals geschossen.

Zu Ende erzählen

Als die Soldaten auch nach Visegrad kommen, versteckt sich Asija auf dem Speicher, sie weint, "weil Soldatenfäuste nach Eisen riechen und niemals nach Seife. Weil den Soldaten die Gewehre um die Nacken baumeln und Türen unter ihren Tritten nachgeben, als gebe es keine Schlösser. Sie weint, denn so hatten die Soldaten auch in Asijas Dorf die Türen eingeschlagen ..." Aleksandar weiß nicht, was aus ihr geworden ist. Er schreibt ihr Briefe, von denen er weiß, dass sie nie ankommen werden, weil er nicht einmal ihren Nachnamen kennt, ruft Nacht für Nacht irgendwelche Telefonnummern in Sarajevo an. Und er vermisst, hier in Essen an der Ruhr, die Stimme seiner geliebten Drina, des launischen Flusses, in dem er so oft alleine geangelt hat. Dazwischen aber liegt der Krieg, mit all der Ungewissheit, die er bringt, und den Gewissheiten, mit denen so schwer zu leben ist.

So entschließt er sich zurückzukehren. Er hat Listen gemacht. Er will Asija finden. Er will die unfertigen Bilder, die er als "Chefgenosse des Unfertigen" zeichnete, fertigmalen. Und das ist wohl das Hauptmotiv des Buches: das Unfertige zu Ende bringen. Eine Geschichte zu Ende erzählen. Die losen Fäden verknüpfen. Im Erzählen ist das Vergangene gegenwärtig. Diese Gegenwart kann auch kein Krieg zerstören. Die letzten Worte des Buches sind tröstlich: "ich bin ja hier".

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Roman von Sasa Stanic

Luchterhand Literaturverlag, München 2006. 320 Seiten, geb., e 20,60

Als Hörspiel: Audio-CD. Random House Audio, 2006. 78 Min., e 18,70

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