"Ich fordere mehr Jobs im Bundesdienst"

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Wie es Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt ergeht, erläutert ÖVP-Behindertensprecher F.-J. Huainigg.

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Wie es Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt ergeht, erläutert ÖVP-Behindertensprecher F.-J. Huainigg.

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Allzu oft haben Menschen mit Behinderungen bei ihrer Jobsuche mit Vorurteilen oder unbegründeten Ängsten zu kämpfen. Hinzu kommen schlechte Ausbildungsmöglichkeiten und ein Informationsmangel von Seiten der potenziellen Arbeitgeber. ÖVP-Behindertensprecher Franz-Joseph Huainigg im FURCHE-Interview über die größten Missstände und was sich am heimischen Arbeitsmarkt dringend ändern müsste.

DIE FURCHE: Wieso tun sich Menschen mit Behinderungen in Österreich dermaßen schwer, Arbeit zu finden?

Franz-Joseph Huainigg: In der Wirtschaft herrscht noch oft die alte Angst, dass die Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderungen nicht funktioniert und man sie nicht mehr kündigen kann. Die neue Regelung beim Kündigungsschutz bei Begünstigtenstatus ist noch zu wenig bekannt: Bei Neuanstellungen wird dieser erst nach vier Jahren wirksam! Es braucht zudem noch mehr Best Practice-Beispiele von Unternehmen, die behinderte Menschen ausbilden und beschäftigen und die Win-Win-Situation erkannt haben. Vorreiter sind hierbei Siemens, Baumax oder Spar.

DIE FURCHE: Welche Maßnahmen wären nötig, um die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderungen zu bekämpfen?

Huainigg: Das Sozialministerium investiert jährlich 140 Millionen für die Beschäftigung von behinderten Menschen. Es braucht eine Evaluierung dieser Maßnahmen. Ich fordere einen Masterplan zur Beschäftigung im Bundesdienst. Es geht nicht nur darum, dass die Einstellungsquote erfüllt wird, sondern auch darum, welche Karrierechancen behinderte Mitarbeiter haben. Denn wie viele Abteilungsleiter haben eine Behinderung?

DIE FURCHE: Wie schätzen Sie die Sinnhaftigkeit der geschützen Werkstätten ein?

Huainigg: Diese haben nur dann ihre Berechtigung, wenn sie einen Beitrag zur Reintegration in den ersten Arbeitsmarkt leisten. In der derzeitigen Form entsprechen sie nicht der UN-Konvention. Im Regierungsprogramm ist vorgesehen, dass Ausgliederungsmaßnahmen zu erproben sind. Die Durchlässigkeit zwischen geschützten Werkstätten und freiem Arbeitsmarkt soll durch eine abgesicherte Rückkehrmöglichkeit verbessert werden, um den Betroffenen die Angst zu nehmen, nicht mehr zurück zu können, sollte es nicht klappen.

DIE FURCHE: Welche sind die größten Hürden für Menschen mit Behinderungen bei der Jobsuche?

Huainigg: Schlechte Ausbildung, geringes Selbstwertgefühl sowie Vorurteile und zu wenig Information der potenziellen Arbeitgeber. Es gibt vom Bundessozialamt und vom AMS viele Unterstützungsangebote zur Beschäftigung, wie etwa persönliche Assistenz am Arbeitsplatz, Finanzierung von barrierefreien Adaptierungen, Lohnzuschüsse oder Jobcoaching. Ein gut angenommenes Modell ist die integrative Berufsausbildung mit der Möglichkeit einer teilqualifizierten Lehre oder einer verlängerten Lehrzeit.

DIE FURCHE: Was müsste sich im Bildungsbereich ändern, damit die Leute besser gerüstet in den Arbeitsmarkt starten?

Huainigg: Die schulische Inklusion muss endlich umgesetzt werden. Im Tiroler Bezirk Reutte gibt es seit 20 Jahren keine Sonderschule mehr, jedes behinderte Kind wird integriert. Das geht und das müssen wir österreichweit umsetzen. Modellregionen zur schulischen Inklusion sind im "Nationalen Aktionsplan Behinderung 2012-2020"(NAP) vorgesehen, die jetzt von Unterrichtsministerin Heinisch-Hosek rasch umzusetzen sind. Wir gewinnen so Potential für alle Schüler, egal ob behindert oder nichtbehindert.

DIE FURCHE: Wie bewerten Sie das neue Regierungsprogramm im Hinblick auf die Maßnahmen zur Inklusion?

Huainigg: Inklusion wird als oberstes Prinzip der Behindertenpolitik festgehalten. Dazu gehört vor allem die Barrierefreiheit, die Selbstvertretung von behinderten Menschen in Gremien wie dem Bundesbehindertenbeirat und die ganzheitliche persönliche Assistenz zur Ermöglichung eines selbstbestimmten Lebens. Wichtig ist mir auch, dass die Hilfsmittelversorgung nach einem "One Desk"-Prinzip entbürokratisiert wird. Jene Stelle, die das Ansuchen erhält, soll mit anderen Fördergebern die Mitfinanzierung klären. Derzeit muss jemand, der einen Rollstuhl braucht, alle Förderstellen einzeln abklappern, was mehrere Monate dauert.

Das Gespräch führte Sylvia Einöder

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