Ich habe es so gewollt

Werbung
Werbung
Werbung

Der scheidende Staatsoperndirektor Ioan Holender blickt mit Wohlgefallen auf sein Wirken im Haus am Ring zurück: „Was ich gemacht habe, habe ich immer aus Überzeugung gemacht.“

Mit Ende der Saison endet auch die fast zwei Dezennien währende Direktion Ioan Holender an der Wiener Staatsoper. Im FURCHE-Gespräch resümiert er seine Tätigkeit, setzt sich mit den selbstgewählten Ansprüchen auseinander, nennt grundsätzliche Voraussetzungen für die Tätigkeit als Operndirektor, Werke, die er noch gerne aufgeführt hätte und seine Definition von Oper.

Die Furche: Herr Direktor Holender, in wenigen Wochen geht Ihre Direktionszeit an der Wiener Staatsoper zu Ende. Sind Sie traurig, erleichtert …?

Ioan Holender: Seit 19 Jahren bin ich in dieser Direktion, seit 22 Jahren im Staatsdienst. Am 29. März 1992 ist Eberhard Waechter gestorben. Seitdem bin ich alleine da. Ich bin weder traurig noch erleichtert. Es war so geplant, ich wollte es so und habe es im Februar vor drei Jahren für mich so entschieden.

Die Furche: Einige Zeit schien es, als ob Sie verlängert werden würden. Wieso ist es nicht so gekommen?

Holender: Weil ich es nicht mehr angestrebt und mitgeteilt habe, dass ich für eine Verlängerung nicht mehr zur Verfügung stehe. Die Möglichkeit, in einem Übergang auszuhelfen, war gegeben. Das hat sich im Verlaufe der Verhandlungen aber so weit gezogen, dass ich nicht mehr die Gewähr hatte, den Spielplan so zu gestalten, wie ich es in all diesen 19 Jahren gemacht habe. Erstmals in der Nachkriegsgeschichte habe ich veröffentlicht, dass ich über diese 19 Jahre und über mein 75. Lebensjahr nicht zur Verfügung stehe. Diese Entscheidung habe ich bis heute nicht bereut.

Die Furche: Natürlich ist es schwierig, noch dazu mitten im Geschehen, die eigene Tätigkeit zu beurteilen, aber welche Ihrer Vorstellungen konnten Sie realisieren?

Holender: Es ist mir gelungen, das Haus so zu positionieren, wie es das schon vorher verdient hätte: als eine der wichtigsten, wenn nicht überhaupt die wichtigste Kultureinrichtung der Republik, sowohl in ihrer Qualität wie in ihrem kulturpolitischen Selbstbewusstsein im Umfeld von Gegenwart und Vergangenheit. Die Veränderungen, die ich gemacht habe, sind die größten in der Nachkriegsgeschichte der Wiener Staatsoper. Strukturell durch das, was hier gebaut wurde, infrastrukturmäßig durch die Kinderoper, Live-Übertragungen auf den Karajan-Platz, Staatsopernmuseum, Opernschule für Kinder, neue Probebühne usw. Dazu einen Spielplan, adäquat zu dem, was das Haus zu einem allerersten Opernhaus macht – das ist das Orchester; und ein Ensemble, wie es das, die unmittelbare Nachkriegszeit ausgenommen, nie gab. Dabei hatte mir jeder vorausgesagt, dass das nicht möglich sein wird …

Die Furche: Wie sehr haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten die Ansprüche an den Direktor der Wiener Staatsoper geändert?

Holender: Die Ansprüche an den Direktor waren immer die, die ich mir selbst gestellt hatte. Die sind hoffentlich nicht geringer geworden. Manchmal habe ich mir nach einer Vorstellung gedacht, das ist zutiefst unter meinen Ansprüchen. Auch das ist passiert. Ein leider schon toter Journalist hat mir einmal gesagt: Eines merke Dir, wenn es Dir nicht gefällt, gefällt es auch den anderen nicht. Ich habe mir das bis heute gemerkt. Wichtig ist aber auch, sich dessen bewusst zu sein, dass uns die Menschen Geld geben, damit wir ihnen etwas zurückgeben. Das sind die Vorstellungen. Und die Menschen, die schon einmal als Steuerzahler gezahlt haben, müssen beim Vorstellungsbesuch dann nochmals zahlen. Sie müssen sich Zeit nehmen – ein hohes Gut –, in die Oper kommen und so weggehen, dass sie wiederkommen.

Die Furche: Was muss man aus Ihrer subjektiven Erfahrung mitbringen, um ein großes Opernhaus zu führen?

Holender: Man muss das mitbringen, was man in allen Metiers mitbringen muss: Kenntnis der Ware, die man herstellt und verkauft. Man muss also Musik kennen, die Literatur, die leider nicht sehr groß ist, weil sie seit 70 Jahren mehr oder weniger gleich geblieben ist. Und man muss jene kennen, die diese „Ware“ herstellen. In diesem Fall die Sänger, die Dirigenten. Man muss Menschenkenntnis haben. Vor allem muss man diese Kunstgattung leidenschaftlich lieben und darf nicht darüber lachen, dass sich Menschen singend mitteilen, wenn sie sterben, Hunger haben, mit jemandem ins Bett gehen wollen, Revolution üben, was immer. Man muss verstehen, dass dies eine höhere Mitteilungsmöglichkeit ist als das Reden.

Die Furche: Wie wichtig ist der Zeitgeist?

Holender: Das Zeitmaß der Klassik ist viel größer, man denkt in viel größeren Abständen als in der Politik, bei der Kleidung, der Nahrung. Ich habe viele Zeitgeisterscheinungen locker überlebt. Einen politischen Spielplan kann man im Musiktheater nicht machen, die Frage der Inszenierungen ist ein leider viel zu wichtig gewordenes Thema. Was ich gemacht habe, habe ich immer aus eigener Überzeugung gemacht.

Die Furche: Gibt es Inszenierungen, bei denen Sie sich verschätzt haben?

Holender: Es gab tatsächlich Fälle, wo ich Verträge mit Regisseuren aufgelöst habe, sei es aus ästhetisch-inhaltlichen Gründen, sei es aus technisch-pragmatischen Überlegungen, die in einem Repertoiretheater notwendig sind.

Die Furche: Wie ist Ihre Einschätzung des Publikums?

Holender: Es gibt zwei Kategorien des Publikums. Das eine, das die Werke schon kennt. Es will – das ist weder konservativ noch modern, sondern selbstverständlich – mehr oder weniger immer dasselbe sehen. Sieht es etwas anderes, entwickelt sich ein Unwohlgefühl. Ich habe in meiner Geburtsstadt Temesvar sicher fünfzig Mal „Tosca“ gesehen. Dann kam ich 1959 nach Wien, ging auf den Stehplatz in „Tosca“ – und die Malerstaffelei war nicht links, sondern rechts. Ich habe meinem Gesangslehrer geschrieben, dass man in Wien „Tosca“ falsch spielt. Der andere Teil des Publikums ist der, der zum ersten Mal hineingeht. Der ist mir ebenso wichtig. Freilich, „Wozzeck“, „Lulu“, „Moses und Aron“ gehen heute genau so nicht wie vor 30 Jahren, auch nicht Britten. Nicht einmal „Stiffelio“, obwohl es von Verdi ist, weil es die Leute nicht kennen.

Die Furche: Gibt es etwas, was Sie noch gerne gespielt hätten?

Holender: „Die Königin von Saba“ von Goldmark. Ich hätte auch noch einmal einen Meyerbeer versucht, trotz des Fehlversuchs mit dem „Prophet“. Aber die Frage stellt sich nicht mehr.

Die Furche: Oscar Bie schreibt: „Die Oper ist ein unmögliches Kunstwerk“. Und Chesterfield hat formuliert: „Die Oper ist eine Zauberszene, die erfunden wurde, Auge und Ohr zu schmeicheln – auf Kosten des Verstandes.“ Was ist für Sie Oper?

Holender: Ich glaube, Oper ist eine Kunstform, um Herz und Seele zu schmeicheln, ohne einem Organ irgendwas wegzunehmen.

* Das Gespräch führte Walter Dobner

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung