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Felicitas Hoppe erzählt die etwas andere Geschichte

der Johanna von Orleans.

Damit wir uns nicht missverstehen, Chroniken nacherzählen kann jeder, aber damit macht man keine neue Geschichte." Schillers Jungfrau von Orleans, Brechts heiliger Johanna der Schlachthöfe und den anderen bekannten Bearbeitungen des Stoffes zum Trotz: Wenn Felicitas Hoppe eine weltbekannte Persönlichkeit in den Mittelpunkt ihrer Geschichte stellt, dann kann nur etwas ganz Neues dabei heraus kommen. Doch wie soll man es beschreiben?

Nacherzählen kann man die Geschichten von Felicitas Hoppe nicht, ohne dass alles, was ihren Reiz ausmacht, dabei verloren geht. Für "Johanna" würde das ungefähr so klingen: Ein Erzähler, vermutlich eine Erzählerin, bereitet sich auf eine Prüfung über die Jungfrau von Orleans vor. Ein Freund, dem gegenüber sie einerseits misstrauisch ist und in den sie sich andererseits zu verlieben beginnt, hat seine Doktoratsprüfung bereits hinter sich und hilft ihr, indem er sie abfragt. Die Prüfung selbst läuft nicht gut, allerdings bleibt das Ergebnis offen, weil sie der Professor abbricht und verschwindet. Die Erzählerin macht sich auf die Reise nach Rouen, um den Schauplatz der Hinrichtung Johannas in Augenschein zu nehmen. Dort taucht auch der Freund auf, die letzten Zeilen deuten an, dass sich die Liebesgeschichte zwischen ihnen weiterentwickelt.

Konstruierte Wirklichkeit

Gegenwärtige und geschichtliche Handlung überlappen sich, so begleiten schließlich die historischen Persönlichkeiten um Johanna die Ich-Erzählerin bei ihrer Reise nach Rouen. Auf das Verfahren der typisch hoppeschen Verfremdung stimmt ein "Prolog" ein, der auf knapp eineinhalb Seiten die dürren Fakten von Johannas Leben und Sterben, soweit sie bekannt sind, referiert und durch Typisierung und Abstraktion in die folgende Enthistorisierung des ohnehin nicht Historisierbaren einstimmt. Ob es nun "achtzig oder achthundert englische Soldaten" waren, die Johanna auf den Scheiterhaufen begleiteten, spielt keine Rolle mehr. Die Zahl ist von keinerlei Konsequenz, außer für die Symbolik - bei einer Rettung hätten wohl neunzig oder neunhundert Soldaten eingegriffen, vielleicht auch siebzig oder siebenhundert, je nachdem, ob man eher das Religiöse oder das Weltliche betonen möchte.

Menschen können Wirklichkeit nicht abbilden, sie konstruieren Wirklichkeit, und an diesem Konstruktionsprozess lässt uns Felicitas Hoppe teilhaben. Die Logik ihrer Geschichten hat nichts mit der Alltagslogik zu tun, und doch ist alles, was geschieht, auf verblüffende Weise einsichtig, so als habe dort nichts anderes geschehen und kein anderes Wort, kein anderer Satz stehen können. Vielleicht, weil Erinnerung aus "Assoziationsketten" (Harald Welzer) besteht, weil die Funktionsweise unseres Gehirns weniger mit unserer Alltagslogik zu tun hat, als wir glauben möchten. Doch man muss den imaginären Käfig absoluter Wahrheiten verlassen, um Hoppe lesen zu können. Die ganz eigene Logik ihrer Geschichten hat Felicitas Hoppe übrigens mit Franz Kafka gemeinsam.

Eigene Logik

Wenn man das akzeptiert, dann macht es Sinn, wenn Peitsche, der "geliebte Gegner", Mützen faltet - eben solche wie die, die Johanna auf ihrem Weg zum Scheiterhaufen aufgesetzt wurde - und wenn seine Mützenkollektion nie fertig wird, weil er niemals die Mützenaufschriften findet, die zu den Mützenträgern passen würden. Eigentlich lässt sich solches Suchen nur durch Ironie fassen, und wer "Johanna" liest, der wird manchmal das Lachen nur schwer unterdrücken können. So wirkt folgende Behauptung angesichts der Konzeptionslosigkeit der Erzählerin sehr mutig: "Ich habe keine Zeit zu verlieren, ich habe ein klares Ziel vor Augen, meine Aufschrift lautet ICH HABE ZU TUN."

Knapp und komisch

Hoppe kann es noch knapper. Komisch, doch für Universitätserfahrene sehr nah an der Wirklichkeit und damit näher an der Satire ist der Kommentar zum Hörsaalgeschehen: "Hitze und hektisches Kronensuchen." Der Professor ist ein Krönungsexperte, und Hand aufs Herz: Möchten das nicht alle Professoren sein? "In der Wissenschaft geht es um Aufmerksamkeit, nicht um Liebe." Wer möchte das bezweifeln. Professoren entscheiden darüber, was bleibt und wer welche Mütze mit welcher Aufschrift trägt. "Wir kennen die Regeln, und die erste und wichtigste Regel lautet? Das meiste verwendet man gegen uns. Richtig. Also Vorsicht mit Kronen." Ein weiser Rat.

Das Heitere der Komik kommt auch nicht zu kurz. Wunderbar ist das prüfungsvorbereitende Gespräch zwischen der Erzählerin und ihrem Freund Peitsche: "Die siebte Schuld lautet auf grobe Verletzung des dritten Gebots. Du sollst schließlich Vater und Mutter ehren. Das ist nicht das dritte, sondern das fünfte, unterbrach mich Peitsche. Das dritte, das fünfte oder das sechste, das ist mir egal, rief ich. Das ist ein Thema für Doktor Freud." Oder für den, der sich mit den elf Geboten wirklich gut auskennt ...

Auch dunkle Seiten

Das heißt nicht, dass dieser Roman nicht auch seine dunklen Seiten hätte. Überhaupt scheint es, als ob Hoppes Texte zunehmend dunkler würden. Im Aspekte-Literaturpreis-gekrönten Debüt "Picknick der Friseure" von 1996 und den folgenden beiden Romanen dominierte das Spielerische. "Paradiese, Übersee" von 2003 hält die perfekte Balace von Humor und Anteilnahme, Spiel und Wirklichkeitsreferenz. Die große Suche der Protagonisten entspricht der Suche nach sich selbst, nach der eigenen Identität - somit vielleicht ein allegorischer Roman über das Leben. "Johanna" wäre dann eher ein allegorischer Roman über den Tod.

In "Verbrecher und Versager" von 2004, ihrem letzten literarischen Kunststück, folgte Felicitas Hoppe vier historischen Personen und einer Romanfigur bei ihren Reisen, deren Scheitern schon im Titel vorgezeichnet war. Doch gab es eine Distanz zu den Figuren, die in "Johanna" fehlt. Hier geht sie einen Schritt weiter, es wird in der direkten Auseinandersetzung versucht, Angst durch Angst zu bannen. Im Nachwort dankt die Autorin "dem Dichter Ossip Mandelstam für die Angst, die mich jederzeit bei der Hand nimmt und führt". Solche Formulierungen gibt es auch im Text, und einmal heißt es: "Wir bleiben zurück und schwimmen im Tümpel der Angst vor uns selbst." Das ist so, doch gibt es auch die Erkenntnis: "Nicht die Nacht ist schrecklich, sondern wir sind schrecklich." Das Beispiel Johanna von Orleans zeigt paradigmatisch, was der Mensch dem Menschen antun kann. Zugleich verkörpert ihr Leben und Sterben die Hoffnung, dass es einmal besser werden könnte.

Heilige Einfalt

Was bleibt, ist der Mythos? Das wäre zu einfach. Das wäre: "Heilige Einfalt. Richtig." Auf der einen Seite der "Zuwendungstrick" des Doktors Freud und das Kronensuchen der Studierenden, auf der anderen Seite der Glaube an die heilige Johanna, der unmittelbar die Provokation provoziert: "Glaube. Na gut. Nur, an wen? Und an was?"

Diesen Widerspruch muss man aushalten, wenn man Hoppe liest. Wer nach Wahrheiten sucht, die auf Tabletts präsentiert werden, ist hier falsch. Er ist zwar auch bei historischen Romanen falsch, aber die machen einem wenigstens vor, dass das, was sie schildern, sich so zugetragen haben könnte (weshalb so viele Dan-Brown-Fans auf den Spuren des Da-Vinci-Codes nach Paris pilgern. Heilige Einfalt!) Wer Hoppe liest, sollte sein Gehirn vorher nicht aus-, sondern einschalten.

Was wäre der Tod ohne das Leben. "Vom siegreichen Marschall zum fröhlichen Henker, vom Bogen zum Beil, das ist ja nur ein Gedankensprung." Und das ist gut so. Denn: "Keiner von uns möchte erwachsen werden." Wer ernsthaft glaubt, dass er erwachsen ist, ist für das Spiel ohnehin schon verloren. Damen und Herren, spielen Sie mit, lesen Sie Hoppe. Sonst ist Ihnen nicht mehr zu helfen.

Johanna

Roman von Felicitas Hoppe

S. Fischer Verlag, Frankfurt 2006

173 Seiten, geb., e 18,40

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