"Ich mag Globalisierung und Gleichmacherei nicht"

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Seine Bücher sind Bestseller, erreichen Auflagen in Millionenhöhe: Ein Erfolg, den Henning Mankell, schwedischer Krimi-Autor, der Figur seines Romanhelden, Kurt Wallander, verdankt. Im folgenden Gespräch geht es jedoch nicht nur um Bücher, sondern auch um Mankells bemerkenswertes Projekt in Mosambik.

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Seine Bücher sind Bestseller, erreichen Auflagen in Millionenhöhe: Ein Erfolg, den Henning Mankell, schwedischer Krimi-Autor, der Figur seines Romanhelden, Kurt Wallander, verdankt. Im folgenden Gespräch geht es jedoch nicht nur um Bücher, sondern auch um Mankells bemerkenswertes Projekt in Mosambik.

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die furche: Sie sind anlässlich der Vorstellung Ihres neuesten Wallander-Romanes in deutscher Sprache "Der Mann, der lächelte" nach Wien gekommen. Ihr erster Aufenthalt hier?

Henning Mankell: Im Sommer vorigen Jahres erhielt ich im Wiener Literaturhaus eine Auszeichnung für meine Kinderbücher. Ich habe neben meinen Kriminal-Romanen mit Kurt Wallander auch etliche Kinderbücher geschrieben wie "Der Hund, der unterwegs zu einem Stern war", "Der Junge, der im Schnee schlief" und "Das Geheimnis des Feuers". "Das Geheimnis des Feuers" liegt mir besonders am Herzen. Darin geht es um ein Kind namens Sofia. Es ist mit neun Jahren auf eine Mine getreten und hat beide Beine verloren. Seit ich Sofia kenne, weiß ich mehr vom Leben. Sie repräsentiert für mich Lebensfreude, Widerstandskraft und Würde.

die furche: Wie sehen Sie die Figur Ihres Kommissars Wallander, der für Ihre Leser bereits zu einem Markenzeichen für einen engagierten und gesellschaftskritischen Aufdecker globaler Vernetzungen und organisierter Kriminalität wurde?

Mankell: Kommissar Kurt Wallander ist ein Mensch wie Du und Ich. Er hat Übergewicht, leidet an den verschiedensten Wehwehchen, ist dem Alkohol nicht abgeneigt und in jüngster Zeit hat er Depressionen. Diese Depressionen haben freilich einen Grund: Kommissar Wallander möchte am liebsten seinen Beruf an den Nagel hängen, hat er doch einen Menschen in Notwehr erschossen.

die furche: Finden sich in der Romanfigur Kurt Wallander auch Züge seines Autors und Schöpfers?

Mankell: Sicherlich. Wallander hat auch mit mir selbst zu tun, wie alles, was ich schreibe. Er ist so alt wie ich und wir beide lieben Opern. Wir müssen beide tagtäglich gegen Gefühle der Sinnlosigkeit ankämpfen und angesichts des Zustandes der Welt zumindest versuchen, mit unseren Möglichkeiten daran etwas zu ändern. Wir beiden mögen die Globalisierung nicht, sind gegen gesellschaftliche Gleichmacherei und sehen in der organisierten Kriminalität eine große Gefahr für die Menschen.

die furche: Am Anfang Ihres neuesten Buches der deutschen Ausgabe "Der Mann, der lächelte" ist der Kriminalkommissar buchstäblich am Ende. Er wandert über einsame Strände in seiner schwedischen Heimat und kann sein Alkoholproblem nicht in den Griff bekommen. Seit mehr als einem Jahr ist er vom Dienst suspendiert und erwägt ganz aufzuhören. Er fühlt sich auch an einem zweiten Todesfall nicht ganz unschuldig... Ist diese Entwicklung ein Anzeichen dafür, dass die Tage des Kommissars bereits gezählt sind und er durch eine andere Roman-Figur in diesem Genre ersetzt werden könnte?

Mankell: Zwei weitere Bände mit Kommissar Kurt Wallander sind in Schweden bereits erschienen: "Brandvägg" und "Pyramiden". Diese werden in deutscher Sprache höchstwahrscheinlich im Jahr 2001 beziehungsweise 2002 vorgestellt. Danach wird eine Polizistin namens Linda den Kommissar ablösen; Linda ist die Tochter von Kurt Wallander und bereits jetzt schon im Polizeidienst tätig.

die furche: Fernsehen und Kinofilm haben sich auch der Kurt Wallander-Bücher angenommen ...

Mankell: Als Fernseh-Serie beziehungsweise Film sind "Die Hunde von Riga" und der "Mörder ohne Gesicht" abgedreht. Als Kinofilm war in Schweden die "Weiße Löwin" zu sehen. Demnächst geht "Die falsche Fährte" als Koproduktion mit dem ZDF in die Ateliers, ebenso wird "Die fünfte Frau" verfilmt. Kommissar Wallander wird vom schwedischen Schauspieler Rolf Lassegard dargestellt.

die furche: Sehen Sie Ihre Kriminalromane als Spiegelbild unserer heutigen Welt?

Mankell: In meinen Kriminalromanen wird die Ursache der Gewalt erforscht. Sie sind solchermaßen ein Vexierspiegel unserer Gesellschaft. Zu viele junge Leute haben keinen Job und keine Perspektive. Wie sollen Menschen vor diesem Hintergrund menschlich bleiben? Manche reagieren mit Drogen und andere mit Aggression.

die furche: Sie äußerten einmal "Der beste Kriminalroman, der je geschrieben wurde, heißt wahrscheinlich Macbeth".

Mankell: Ich sehe meine Kurt-Wallander-Romane auch in der Tradition von Shakespeare. Wie Shakespeare den Mord als Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse darstellt, das ist einfach unübertroffen.

die furche: Haben Sie besonders die gesellschaftlichen Verhältnisse Ihrer Heimat Schweden vor Augen?

Mankell: Meine Heimat war früher ein Vorzeigestaat, vor allem im sozialen Sinne. Leider hat sich das geändert, nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Politik. Das ist auch einer der Gründe warum ich immer wieder Sozialkritik und ein Streben nach einer besseren Welt in meine Romane einbringe. Wallander und ich werden nie aufhören für unsere Ideale zu leben.

die furche: Die meisten Ihrer Kriminalerzählungen handeln in Schweden, Kurt Wallander agiert also im kühlen Norden. Der Autor selbst arbeitet hingegen unter südlicher Sonne in Afrika ...

Mankell: Das mit Afrika ist so eine Sache. Es hat etwas mit meiner Kindheit zu tun. Ich wuchs in Nordschweden auf und unweit meines Wohnhauses befand sich ein Fluss. Dieser Fluss war in meiner Phantasie der Kongo. Noch heute ist für mich die Phantasie des damals Zehnjährigen entscheidend. Ich trage auch ständig ein Photo aus dieser Zeit mit mir als Symbol der schöpferischen Kindheit. Ich bin ein Idealist. Im Jahr 1985 wurde ich eingeladen in Mosambik beim Aufbau eines Theaters zu helfen. Das Theater steht in der Hauptstadt Maputo, wir nannten es Teatro- Avenida-Straßentheater. Ich bin hier am Theater der einzige Weiße. Die Errichtung und den Betrieb haben meine Bücher finanziert. Seit 1996 bin ich auch Leiter des Theaters und arbeite mit siebzig Schauspielern. Das Ensemble ist sehr vielseitig, es kann auch Shakespeares Hamlet spielen. Dieses Theater ist das Abenteuer meines Lebens.

die furche: Ihr Leben in den Monaten, die Sie in Mosambik verbringen, muss sich wohl sehr unterscheiden von dem, was Sie von Schweden her gewöhnt sind.

Mankell: Mein Lebensrhythmus in Mosambik: Morgens schreibe ich an meinen Romanen und am Nachmittag arbeite ich mit dem Theaterensemble. Es ist dies meine Art den Schwarzen in Afrika zu helfen. Es wäre falsch ein Krankenhaus oder eine andere Institution von einer Privatperson wie mir errichten zu lassen. Das würde meine Fähigkeiten und Möglichkeiten übersteigen und wäre nur eine halbe Sache. Durch das Theater bringe ich die Einwohner der Hauptstadt zum Dialog, bringe sie zum Lachen und auch wenn sie nicht schreiben können, zum Gedankenaustausch. Die Schwarzafrikaner in Mosambik sind wie Kinder. Ein Beispiel: Vor geraumer Zeit habe ich auf einer kleinen Insel vor Mosambik eine Schar junger Leute getroffen, die heftig diskutierten. Sie hatten im Fernsehen europäische Filme gesehen und wollten die Verhaltensweise der Weißen nachahmen, wussten aber die Bedeutung der einzelnen Gesten nicht. Es wurde eine interessante Debatte daraus, die mich in meiner Meinung über die Kindhaftigkeit der Schwarzafrikaner bestätigt. Ich höre diesen Menschen zu und weiß, was sie brauchen. Warum frägt man nicht andernorts was sie brauchen?

die furche: Im Frühjahr 2000 wurde Ihre Wahlheimat Mosambik von einer verheerenden Flutkatastrophe heimgesucht, anlässlich der an die 700 Menschen starben. Zusammen mit der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" haben Sie sich sehr für die notleidenden Opfer eingesetzt.

Mankell: Viele sagen, die Hilfe für Mosambik sei drei oder vier Wochen zu spät gekommen. Sie ist mindestens acht Jahre zu spät gekommen.

die furche: Sehen Sie für Maputo, für Mosambik eine Zukunft,auch ohne westliche Hilfe?

Mankell: Ich sehe für Maputo eine Zukunft, diese Menschen hier werden eine Art Demokratie erfinden, die es noch nicht gibt. Man kann unsere politischen Lösungen nicht exportieren, nur die Inspiration. Nicht in meinem Leben, aber irgendwann wird dieses Land erblühen. Wir leben in einer irrationalen Welt.

Das Gespräch führte Peter Soukup.

Zur Person: Regisseur und Autor von Krimis und Kinderbüchern Henning Mankell wurde am 3. Februar 1948 in Härjedalen im Norden Schwedens als Sohn eines Richters geboren. Mit 17 Jahren zieht er nach Stockholm und wird dort Regisseur. Seine ersten Veröffentlichungen sind im Sinne der 68er-Bewegung gehalten. 1979 erscheint sein erster Roman "Das Gefangenenlager, das verschwand". Ab 1980 arbeitet er für verschiedene Theater als Regisseur, Autor und Indentant. 1990 entsteht der erste Wallander-Kriminalroman ("Mörder ohne Gesicht", deutsch 1993). Es folgen "Die Weiße Löwin", "Die falsche Fährte", "Die fünfte Frau"... Für "Mörder ohne Gesicht" erhielt Mankell 1991 die Auszeichnung der Schwedischen Akademie für Kriminalliteratur als bester schwedischer Kriminalroman. Für seine Kinderbücher erhielt er 1993 den Deutschen Jugendbuchpreis, 1997 den Kinderbuchpreis "Lesereise um den Erdball" und 1999 den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis.

Henning Mankell ist in dritter Ehe mit Eva, der Tochter von Ingmar Bergman, verheiratet, die eine Bühne in Göteborg leitet.

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