"Ich will nicht, dass sie mein Leben zugrunde richtet"

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Richard Yates erzählt in seinem Roman "Easter Parade" vom Leben und Scheitern zweier Schwestern.

Von Richard Yates fehlt in Metzlers Amerikanischer Literaturgeschichte (2004) jede Spur. Auch Marcel Reich-Ranicki nennt ihn in seinem Band Über Amerikaner (2004) nicht, obwohl dieses Buch in der Deutschen Verlags-Anstalt erschienen ist, die seit einigen Jahren das Oeuvre von Richard Yates auf Deutsch herausgibt und dafür mit Recht viel Lob einsteckt. Yates' Romane und Stories wurden zu seinen Lebzeiten von der amerikanischen Kritik hoch gelobt. So auch jener Roman, der am 22. Februar auf Deutsch erscheint: Easter Parade. Der Hinweis auf das Alter steht zwar nicht im Verlagsprospekt, aber im Impressum des Buches: das Original ist bereits 1976 erschienen.

Bei der Lektüre wird wieder einmal klar: es geht bei Literatur nicht ausschließlich um die Themen. Die sind die Immerselben, da könnte das Lesen bald langweilig werden: Liebe und Lebensentwürfe, Scheitern und Tod. Es geht um die Art und Weise, wie Literaten menschliche, allzumenschliche Themen aufgreifen und formen. Die faszinierendsten Formen schrieben sich in die Literaturgeschichte ein.

Ohne Sentimentalität

Wie ein Mann im Jahr 1976 schreibend zwei Frauenleben erfunden hat, ist selbst für eine im Jahr 2007 lesende Frau beeindruckend - und immer noch aktuell. Ohne jede Sentimentalität erzählt Richard Yates zwei Frauenleben, die nicht ungleicher verlaufen könnten und doch einiges gemeinsam haben. Zum Beispiel die unruhige Kindheit, geprägt von vielen Ortswechseln und einer dem Alkoholismus zugeneigten und ziemlich anstrengenden Mutter. Der erste Satz des Romans weist den Weg: "Keine der Grimes-Schwestern sollte im Leben glücklich werden, und rückblickend schien es stets, daß die Probleme mit der Scheidung ihrer Eltern begonnen hatten."

Zwei Lebensläufe

Der Roman begleitet Sarah und Emily Grimes von den 30er Jahren bis in die 70er Jahre. Beide Mädchen haben vom Vater die Gabe, schreiben zu können, geerbt. Wie dieser - er schrieb Überschriften für die New York Sun - werden sie aber aus ihrer Begabung nicht viel machen (können).

Sarah heiratet, führt ein idyllisches Familienleben am Land samt gut aussehendem aber schlecht verdienendem Ehepartner, mehr oder weniger prächtig heranwachsenden Söhnen - und der Aussicht, von den Schwiegereltern eines Tages das Anwesen auf Long Island zu erben. Aber nicht nur dieses Haus modert und schimmelt und ist dem Verfall preisgegeben. Auch hinter der Fassade der Ehe wohnt keineswegs Idylle, sondern rohe Gewalt. Das merkt Emily erst sehr spät. Sie ist zu sehr mit ihrem eigenen Leben beschäftigt und damit, sich zu ärgern, dass ihre Schwester so zum Hausmütterchen verkommt.

Emily hat nämlich ein Stipendium erhalten, sie kann aufs College und studieren. Während ihre Schwester nie ein Verhältnis mit einem anderen als ihrem Ehemann hatte, lässt Emily sich im Park von einem fremden Soldaten entjungfern. Wechselnde Männerbekanntschaften ermöglichen ihr ein freies Singleleben, beruflich ist sie als Werbetexterin erfolgreich.

Doch auch Emilys Leben hält nicht das, was der Schein verspricht: die Männer, an denen ihr liegt, verlassen sie. Den Job verliert sie in einem Alter, in dem kaum mehr ein neuer gefunden werden kann. Da ist ihre Schwester Sarah schon tot, und auf welche Weise sie umgekommen ist, kann Emily nur vermuten …

Unaufgeregt erzählt

Richard Yates wählt eine auffällig unaufgeregte Erzählweise. Sehr nüchtern erschreibt er eine realistische Schwesternbeziehung, darin zugleich unterschiedliche Entwürfe von Frauenleben: beide sind auf ihre Weise tragisch.

In einfachen und in dieser Einfachheit oft umso brutaleren Dialogen erzählt sich die andere, vielleicht eigentliche Tragödie: die Unfähigkeit der Schwestern, wirklich füreinander da zu sein, von Anfang an. Unaufgeregt fördert der Text auch charakterliche Schwächen, Widersprüche und Selbstlügen zu Tage: "Das schlimme ist, dass ich nichts tun kann, Howard", jammert Emily, nachdem Sarah sie angerufen hat, um ihr mitzuteilen, dass sie sich endlich entschlossen hat, ihren Mann zu verlassen. Und sie hat Emily um Hilfe gebeten. Lebenspartner Howard schlägt Emily vor, sie könne doch zu ihm übersiedeln und Sarah die eigene Wohnung überlassen. "Und wir hätten sie am Hals ... Wenn sie hier wäre, würde sie uns keine Minute in Ruhe lassen. Ich will sie nicht, Howard. Ich weiß, daß es schrecklich klingt, aber ich will nicht, daß sie mein Leben zugrunde richtet."

Der am 3. Februar 1926 geborene Richard Yates war selbst ein Scheidungskind, auch die unruhigen Kindheitsjahre der kleinen Grimes-Schwestern sind dem Autor nicht unbekannt. Er und seine Schwester zogen mit der Mutter von Appartement zu Appartement. Selbst scheiterten ihm zwei Ehen, für drei Töchter musste er Alimente zahlen, aber vom Schreiben konnte er kaum leben. Obwohl seine Romane bei der amerikanischen Kritik sehr gut ankamen, wurden sie keine Kassenschlager. So diente er auch als Ghostwriter für Robert Kennedy und als Werbetexter. Exzessives Trinken und Rauchen sowie psychische Zusammenbrüche ruinierten sein Leben. Er starb 1992, nachdem er nach einem Kollaps zwei Jahre zuvor nur mehr mit Sauerstoffgerät atmen konnte.

Kaum war er tot, verschwanden seine zuvor gelobten Werke vom amerikanischen Markt. Der Schriftsteller Stewart O'Nan erinnerte 1999 in einem umfangreichen Essay an ihn, seither werden die Romane und Stories von Yates wieder und mit Erfolg neu aufgelegt - und übersetzt.

Easter Parade

Roman von Richard Yates

Aus dem Amerikan. von Anette Grube

Deutsche Verlags-Anstalt, München 2007

304 Seiten, geb., € 20,60

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