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Ich zahl' ihnen auch an Kaffee

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Lokalaugenschein am vorletzten Samstag vor der Wiener Wahl: „Da Michl” und „jessas, da Jörg” stellen ihr „G'fühl für Wien” auf ihre Art unter Be-

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Lokalaugenschein am vorletzten Samstag vor der Wiener Wahl: „Da Michl” und „jessas, da Jörg” stellen ihr „G'fühl für Wien” auf ihre Art unter Be-

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Daß es ausgerechnet jetzt regnet, wo der Wiener Bürgermeister dieWahlkampfbühne mit dem Slogan „A G'fühl für Wien” betreten soll, ist ein unliebsamer Zufall. Bei diesem Wetter beißt kaum einer der Passanten in der Favoritner Fußgängerzone in jenen Apfel mit dem „natürlich gereiften” Schriftzug Häupl, den die SP-Wahlhelfer emsig verteilen.

Unter Sonnenschirmen, die gegen den Begen schützen sollen, heften Funktionäre der Sozialistischen Gewerkschaft Kugelschreiber und Prospekte mit der Aufschrift „Sicherheit und Wohlge fühl” zusammen. Schon entspinnt sich eine Diskussion, ein Fußgänger falter gestikulieren eifrig. Ist es das Volk, die Politik, ist es gar die themenzentrierte Wahrnehmung? „Ees mit eichere Auslän-da”, ist da von einem Mann mit grauer Kappe zu hören und ein Zitat. Aber da ruft schon einer „der Michl”, und die Musik setzt ein.

An diesem vorletzten Samstag vor der Wiener Wahl ist viel los in Favoriten, dem - mit 165.000 Einwohnern - größten Gemeindebezirk der Hauptstadt. Die Einkaufsstraße um den Viktor-Adler-Platz ist dem Wahlkampf gewidmet. Ganz unten, stadteinwärts, stehen freundliche Jungs und Mädls vom liberalen Forum, daneben spielt eine Gruppe der Volkspartei Schlager auf. Zwischen VP und SP herrscht Gedränge: unter gelben Lüftballons verlost eine bekannte Marke ihr neuestes Auto.

Ganz außen, dort wo die Fußgängerzone schon fast zu Ende ist, drängen sich noch mehr Menschen als um das Gewinnspiel. Die weiße Wolke auf blauem Grund, eine Bühne mit Baldachin, „Wahltag ist Zahltag”. Mitten im Gedränge ein Geraune - „Und da hat der jetzt die Gemeindewohhung kriegt”, ein Mann, „und ledig ist er auch noch”. „Zuerst müssat'n ja die uns'rigen d'rankommen”, eine Frau. Plötzlich ist es, als wäre er mitten unter ihnen

„Jessas, da Jörg,” die Frau.

Die Menge schwappt an die eiserne Sperre, die die Bühne umzäunt und sie vom Blaubekappten trennt. „52 Quadratmeter”, drängt da auch schon der Mann zu diesem hin, „Zimmer, Kuchl, Kabinett und nicht einmal verheiratet”. „Ist schon alles klar”, sagt Haider, „Kollege Westenthaler nimmt alles auf und kümmert sich darum”. „I gib ihna die ganze Adress' mit allem drumherum”, der Mann. Dann sticht die blaue Kappe oben auf der Bühne ein Bierfaß an, gibt ein Interview unter der weißen Wolke für BBC, und weg ist der Spuk.

Kollege Westenthaler ist noch da, das Notizbuch mit Namen des Ausländers in der Gemeindewohnung hat er schon eingesteckt, „wir haben durch unser Volksbegehren eine Diskussion in Gang gesetzt”, meint der braungebrannte Ingenieur hinter der Bühne, „die sehr erfolgreich ist”. Vieles hätte die Begierung schon umgesetzt, etwa die Ausweispflicht für ausländische Arbeiter, meint er, oder strengere Vorschriften beim Einwanderungsgesetz. Es sei noch nicht ganz so, wo sie hinwollten, aber „die Tendenz ist da”. Tage zuvor hatte sein Parteikollege Rüdiger Stix mildere, wenn auch ähnliche Töne angeschlagen. Das war bei einer Veranstaltung zum Thema „politische Teilnahme der Einwanderer” gewesen. Anläßlich der Wiener Gtemeinderatswahl diskutierten da, zusammengerufen vom Veranstalter der Wiener Nächte, Mustafa Akgun, und gefördert vom Innenministerium und Integrationsfonds, Gemeinderäte und Kandidaten der fünf Parteien. Kommunalwahlrecht für Nicht-Österreicher mit unbefristeter Aufenthaltsgenehmigung stand zur Debatte, Wohnbürgertum auch für Nicht-EU-Angehörige und Entbürokrati-sierung des Spießrutenlaufes für Aufenthaltsgenehmigungen. „Der politischen Teilnahme von NichtÖsterreichern”, meinte die Grüne Klubobfrau Madleine Petrovic, „müßte aber auch eine soziale vorausgehen”.

Auch Nicht-Eingebürgerte sollten, im Fall von Bedürftigkeit, nach Ansicht der Grünen und der Liberalen eine geförderte Wohnung beziehen können, meinte der Leoder Gemeinde „Vom Herzen her poldstädter Gemeinderat Gerhard Kubik, „bin auch ich für eine Öffnung der Gemeindebauten”. Allerdings brächte das eine Warteliste, die nicht mehr abzubauen sei. Die ÖVP-Vertreterin Maria Hampel-Fuchs hingegen, ganz auf Parteilinie, wäre dafür, daß der kommunale Wohnbau sukzessive auch für Ausländer offen stünde. „Auch das”, schränkte die VP-Stadträtin ein, „ist aber nicht morgen möglich, weil dafür noch keine Mehrheit zu finden ist”.

In Favoriten, wo die SP - noch -die Mehrheit hat, ist Bürgermeister Häupl schon von seiner Bühne verschwunden. „Die Öffnung der Gemeindebauten”, meint er in der nahen Polizeistube, wo ihn die FlJRCHK aufstöbert, „ist eine Verschärfung des Problems”. Anstelle von 15.000 Wohnungssuchenden gebe es dann 50.000. Die Fremdenangst steigt in den Stadtvierteln, wo es bis zu 50 Prozent Nicht-Österreicher gibt. In jenen Stadtteilen mit den billigen Quartieren der Gründerzeitviertel zum Beispiel. „Eine gute Durchmischung durch gezielten Ankauf von Liegenschaften und Wohnhäusern”, meint Häupl, „entspricht dem Assanierungsgedanken, den es in Wien schon seit langem gibt”.

Der Spitzenkandidat der ÖVP, Bernhard Görg, spricht davon, fünf

Prozent an frei werdenden Gemeindewohnungen an Ausländer zu vermieten. Ghettos könnten dadurch vermieden werden.

„Schauen Sie”, meint der SP-Ge-meinderat Johann Driemer, der noch im Nieselregen neben der Bühne ein „G'fühl für Wien” ausharrt, „in Favoriten haben wir einen Ausländeranteil von 18 Prozent”. Das liegt unter dem Wiener Durchschnitt. In ein paar Grätzeln gebe es natürlich Pro- w_mmmmmmmmmm^_mm bleme. „Weil man wenig gemacht hat, im Bezirk, um die Integration zuzulassen.”

Der Studie „Sozialdynamik in Wien” ' und AVohnmilieu (Institut für Stadt- und Begionalforschung, 1996) ist zu entnehmen, daß es soziale und ethnische Trennlinien in Wien gibt. Türken und Ex-Jugoslawen haben im allgemeinen nicht nur die schlechteren Wohnungen, sie bezahlen auch - durchschnittlich - um sieben Schilling pro Quadratmeter mehr dafür als österreichische Staatsbürger. Auch der Mann mit der grauen Kappe steht noch im Regen. Er habe einen Herzinfarkt gehabt, sagt er, vor kurzem, weil er „wegrationalisiert” werden sollte. Was das mit den Ausländern zu tun habe? Na ja, in seiner Firma, welche Branche sei egal, gebe es 80 Prozent davon. Durch den Wechsel von der ÖVP zur SPÖ, meint er, obwohl er auch mit

„den Schwarzen” nichts am Hut habe. Und obwohl er gegen Ausländer persönlich nichts habe, er zahle ihnen sogar ab und zu einen Kaffee in seiner Abteilung. „Aber I find' halt, die Politiker müßten den Leuten bei ihnen daheim zeigen, wie man arbeitet.” Bei Saisoniers, also Arbeitern, die für befristete Zeit kommen, meint FP-Abgeordneter Peter Westenthaler, gebe es überhaupt kein Problem. Denn für die, die ohne Sozialabgaben auch um rund 30 Prozent „billiger” sind, „ist es auch nicht nötig, das gesamte soziale Umfeld in arrangieren”. Nahe mit der weißen

Österreich zu der blauen Bühne Wolke streift, einsam und nur mit bunten Faltprospekten ausgestattet, der junge Ewald König, Dissident des Ringes Freiheitlicher Jugend und nun Mitglied der neugegründe ten Freien Demokraten Wien. Man habe die Nicht-Österreicher ins

Land gelassen und ihnen das Blaue vom Himmel versprochen, meint er. Nur eines dürfe man jetzt nicht machen, wie es die FPÖ betreibe: Aktionen wie in den Gemeindebauten, wo „sie Schilder ausgehängt haben, welche fremde Bewohner da jetzt eingebürgert sind. Das ist menschenverachtend” .

Die neuen Freien haben auch schon ein Modell erstellt. Ein „Integrationsschilling”, den „jeder Gastarbeiter abzuführen hat”, soll angespart werden und gegen das soziale Abrutschen sichern helfen.

Der Prospektfalter Peter Keck steckt immer noch Kugelschreiber auf „Sicherheit und Wohlgefühl ”-Falter. „Die Wirtschaft”, meint er im breitesten AVienerisch, „lebt ja großteils von den Ausländern”. Steuern müßten sie ja auch zahlen. „Man kann doch nicht auf einer Seite ein Feindbild machen”, meint er, „und dann, wenn irgendein Ausländer was singt oder spielt, hingehen und klatschen”.

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