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Ick gekorte niemals zu den Rukelosen

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Die folgenden Auszüge sind Briefen von Georges Bernanos an den brasilianischen Schriftsteller Alceu Amoroso Lima entnommen. Von 1938 bis Kriegsende war Bernanos in Brasilien, wo er eine Farm bewirtschaftete. Die bisher unveröffentlichten Briefe erschienen kürzlich in der Zeitschrift „Esprit“.

Ich weiß, daß Sie ein wertvollerer Mensch sind als ich. Ich sage das nicht, weil ich mich vor Ihnen erniedrigen will — o nein —, sondern weil ich jedes Mißverständnis vermeiden möchte. Ich kann Ihnen nichts geben, was Sie nicht schon besäßen. Mir scheint, ich komme zu Ihnen im Namen derer, die Ihrer Hilfe bedürfen; Sie selbst brauchen niemand. All dies wird sich klären, in der Zeit oder auch außerhalb der Zeit, oder es wird sich gar nicht klären. Was bedeutet das schon! Es ist eine große Vermessenheit, sich Gott anders als tastend in Finsternis nähern zu wollen.

Sie dürfen nicht glauben, ich sei imstande, von anderen das zu fordern oder auch nur zu wünschen, was Sie meine Unbedingtheit nannten. Wenn ich heftig und bedingungslos bin, dann deshalb, weil ich den anderen ersparen will, es zu sein. Hingegen glaube ich, daß sie mir brüderliches Mitgefühl schulden. Sobald man alles preisgegeben hat, was man denkt, erfährt man die innere Vereinsamung in ihrer bittersten Form. Jene, die eifersüchtig einen Teil ihrer Wahrheit für sich behalten, können insgeheim davon zehren; die anderen aber, die alles gegeben haben, fühlen sich leer.

Zwischen uns gibt es keine Brücken, mein Freund, wir sind einander fremd, wie zwei Christen sich fremd sein können: wir vereinen uns nur in Gott. Wie Mauriac, wie viele andere, gehören Sie zu jenen Ruhelosen, welche die Geborgenheit in einer bestimmten (ich fürchte: verstandesbetonten) Form des Gehorsams und der Disziplin gefunden haben, eben weil diese Eigenschaften ihnen nicht von Natur aus gegeben sind. Ich gehörte niemals zu den Ruhelosen. Der Meinung der armen Priester zum Trotz fühle ich mich mit der ganzen Ursprünglichkeit meiner Natur wohl und zufrieden in Gehorsam und Disziplin. Niemals empfand ich dabei Glück oder Befriedigung wie nach einer überwundenen Schwierigkeit, nach einer freiwilligen Unterwerfung.

Ich leide viel, unter vielem. Ich erlebe die Sünden körperlich, sie zerreißen mich. Ich bemühe mich, sie zu vergessen. Dieser glühende Wünsch, ihnen um jeden Preis zu entrinnen, hat mich schon oft an den Rand des Verderbens gebracht. Aber wenn ich an der äußersten Grenze stehe, ertrage ich es nicht mehr und schreie. Daß manch einem aus der Ohnmacht Kraft erwächst, das scheint mir ein liebenswürdiges Wunder der milden göttlichen Ironie. Das eben gibt mir Kraft, läßt mich zutiefst spüren, daß Gott mir nichts schuldet. Natürlich weiß ich, daß Gott uns nichts schuldet. „Ich ließ Euch leiden“, könnte er zu mir sagen, „eben weil ich wußte, daß Ihr nicht klaglos leiden könnt. Ich werde Euch doch nicht für Eure Klagen belohnen!“ Und süß ist mir der Gedanke, wie hilflos ich bin in seinen Händen, so sehr, daß er lachen muß. (Hoffentlich erschreckt Sie das Wort nicht. Unser göttlicher Richter ist auch einer von uns, einer der unseren!)

Man spielt nicht mit den Menschen, für die Christus starb; und Christus starb für jeden einzelnen. Wer sich an den Menschen vergeht, den trifft nicht mindere Strafe als den, der Gott lästert.

Auch ich, mein Freund, setze meine Berufung und mein Leben aufs Spiel. Sie werden sagen, daß ich da sehr große Worte gebrauche, aber wahrhaftig große Worte gleichen wahrhaft großen Herren; sie sind nirgends fehl am Platze. Unsere Berufung ist eine Wahrheit; sie ist uns gegeben. Darin liegt alle?. Ich glaube nicht, daß wir uns leichter ihrer entäußern können, als sich ein Mensch seiner Gelübde entbinden kann. Meine Berufung, meine Arbeit und mein Leben müssen ein Ganzes werden, das ich in Demut Gott darbringe.

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