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Ihrer Majestät Auswärtiger Dienst

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Zum Buch von Lord Strang: The Foreign Office. London. George Allen & Unwin Ltd., New York. Oxford University Press Inc. 226 Seiten

Seit kurzem erscheint eine Serie von Darstellungen, die den Briten und um Aufschluß über den verwickelten Mechanismus der britischen Staatsmaschinerie bemühten Ausländern ein klares Bild der Londoner „großen“ Ministerien gewähren. Auf

einen Band über das Home Office folgt nun ein zweiter über die britische Diplomatie. Verfasser ist Lord Strang, der als (Sir) William Strang seit 1919 der Carriere angehörte, während des zweiten Weltkrieges stellvertretender Unterstaatssekretär im Außenamt, unmittelbar nach dem Waffenstillstand politischer Berater des britischen Oberbefehlshabers in Deutschland und schließlich, bis zu seinein Ausscheiden aus der Aktivität, ständiger Unterstaatssekretär im Foreign Office gewesen war. Der heute Zweiundsechzigjährige macht der Ueberlieferung der musisch begnadeten britischen Diplomatie alle Ehre. Sein Buch, das, von einem verknöcherten Bürokraten geschrieben, an und für sich durch sein Thema, die Schilderung eines Verwaltungsapparats, die breiten Lesermassen abschrecken müßte, ist mit Geist und Anmut, mit Witz und Tiefe gesegnet. Das Werk, Sir Anthony Eden und weiland Ernest Bevin gewidmet, ist, nach den Worten des Verfassers, „vom Foreign Service über den Foreign Service“ geschrieben. Dadurch ergeben sich inhaltlich eine Reihe von Vorzügen — intime Sachkenntnis, gedrängte Auswahl des Wichtigsten, Verzicht auf fromme und unfromme Legenden, die den diplomatischen Dienst in den Augen der Uneingeweihten umhegen — und die Neigung, Unzulänglichkeiten zu beschönigen, Postu-late als verwirklicht zu bezeichnen. Von derlei Schattenseiten bemerken wir in Lord Strangs Buch nur wenig; höchstens, daß er die Demokratisierung des Auswärtigen Dienstes in allzu satten Farben malt. So arg oder so gut ist es mit den britischen Diplomaten denn doch nicht bestellt. Es genügt, einen Blick in irgendeine Vertretung Gtoßbritanniens zu werfen, um die Fortdauer eines vornehmen Stils zu beobachten, den nur noch wenig Botschaften und Gesandtschaften pflegen; es genügt, mit den Angehörigen eben dieser Vertretungen, sei es auch nur oberflächlich, Kontakt zu nehmen, um zu sehen, daß sie, wenn nicht mehr durchweg oder in der Majorität, den Peersfamilien, dem Baronetage und der Landed Gentry, so zumindest dem höheren Bürgertum, sei es industriellen Kreisen, sei es der Beamtenschicht, sei es, häufig, den freien Berufen, entstammen.

Im übrigen lassen die Nachrichten über Organisation, Zweck und Methoden des Foreign Office und seiner ihm untergeordneten auswärtigen Dienststellen an Genauigkeit nichts zu wünschen übrig. Das

heißt — im Einklang mit dem auf immer gültigen Grundsatz Talleyrands, daß die Sprache dazu bestimmt ist, die Gedanken zu verbergen —, der Leser empfängt den Eindruck, nun alles zu wissen, wenn er vor sich die Gliederung des Auswärtigen Amtes in die Abteilungen der drei Vize-Unterstaatssekretäre, der zehn stellvertretenden Unterstaatssekretäre und Direktoren, in die vierzig Departements erfährt, wenn er darnach den Aufgabenkreis jedes dieser Departements vernimmt; wenn er aufs Pfund das Budget des Foreign Office vor sich ausgebreitet hat; wenn man ihm Ergänzung und Schulung des diplomatischen Personals. Leben und Arbeit der Zentrale und der auswärtigen Vertretungen schildert und ihm auf geistreiche, aufgelockerte Weise Freuden und Leiden der Carriere ebenso erzählt werden, wenn er mit Hilfe, um ein weiter östlich vielgebrauchtes Wort zu zitieren, der Kritik und Selbstkritik Strongs und seiner ungenannten Mitautoren den Diplomaten auf dessen zwar mit Rosen bestreuten, doch an versteckten Dornen reichen, über allerorts versteckte Steine des Anstoßes führenden Weg begleitet. Und doch bleibt uns der Autor — selbstverständlich —-die eigentlichen Geheimnisse der diplomatischen Kunst schuldig; sie sind eben unsagbar wie jedes Mysterium. Ein Handbüchlein wie dieses kann nichts anderes, als eben den äußeren Rahmen beschreiben. Und das tut es aufs beste. Wir verfolgen also zunächst den diplomatischen Bericht, wie er, an Ort und Stelle gesammelt, der Zentrale zugesandt und in ihr bearbeitet wird, um dort entweder im eigenen Wirkungskreis erledigt oder in gemeinschaftlicher Tätigkeit mit anderen Ministerien verwertet zu werden.

Nun enthüllt sich vor unseren Augen die Vielfalt der britischen Auslandsvertretungen. Eine Statistik berichtet uns. daß an ihnen 49 Botschafter, 42 Minister, darunter 22 bevollmächtigte, 67 Legationsräte, 168 erste, 181 zweite und dritte Sekretäre, 67 Generalkonsuln, 128 Konsuln, III Virekonsuln amten. Die Reform von 1043, die immerhin eine tiefgehende Veränderung im fortan erweiterten Rekrutierungsgebiet der britischen Diplomatie bewirkte, sodann die Grundsätze, nach denen Ernennung, Beschäftigung und Aufstieg der Beamten des Auswärtigen Dienstes erfolgen, sind Gegenstand zweier Kapitel, in denen, wie schon betont, die nicht faßbaren und doch so bedeutsamen Gesichtspunkte, wie zum Beispiel die Rolle der sogenannten „Cöte d'amour“ bei allen Prüfungen oder die Verwandtschaft mit hohen Würdenträgern bzw. mit einflußreichen Parlamentariern, außer Betracht bleiben müssen.

Sehr ansprechend und mit gefälliger Ironie korrigiert Lord Strong hierauf die Vorstellungen, die sich der Profane vom glänzenden Nichtstun oder von den teuflischen Kabalen, den amourösen Abenteuern und dem sardanapalischen Luxus der Diplomaten macht. Keine Grafen Danilos aus der ..Lustigen Witwe“, keine Helden aus Schundromanen sind die Botschafter und Räte, die Sekretäre und Konsuln von heute. Immerhin, wieviel ihnen noch

an Ueberbleibseln au den Zeiten der Abel-Her-mantschen „Carriere“ anhaftet, darüber schwebt Lord Strong mit Grazie hinweg. Doch wie gerne und wie vergnügt versenken wir un in seine sichtbar von echten Erinnerungen getränkte Schilderung der mannigfachen Methoden, nach denen britische Diplomaten nicht minder mannigfache Aufgaben gelöst oder auch nicht gelöst haben. Nun hinüber in die Konsularsektion mit ihren prosaischen Wirkenskreisen, die nicht in die hohe Staatskunst hinaufreichen, zu den internationalen Organisationen, die den Diplomaten vor neue, ans Parlamentarische streifende Probleme stellen, und jetzt dorthin, wo Herz und Hirn des Auswärtigen Dienstes sich befinden, in die Zentrale. Sieben Persönlichkeiten an der Spitze des Foreign Office halten die Verbindung mit dem Parlament aufrecht: der „Hauptstaatssekretär Ihrer Majestät für Auswärtige Angelegenheiten“ — derzeit MacMillan —, zwei Staatsminister, zwei parlamentarische Unterstaatssekretäre und die beiden parlamentarischen Privatsekretäre (Kabinettschefs) des Staatssekretärs und des einen der beiden Staatsministei. Die einflußreichste Gestalt nächst dem Ressortchef, und zuweilen noch vor ihm, ist jedoch der nichtparlamentarische „ständige Unterstaatssekretär“, welches Amt von Lord Strong — und früher zum Beispiel vom berühmten Lord Van-sittart — bekleidet wurde. Dieser, stets ein Berufsdiplomat, vereinigt in sich die Routine des Beamten mit dem Weitblick des auf internationalem Gebiet erfahrenen Staatsmanns. Durch ihn. und nur durch ihn. kommen die Referate der ihm untergebenen Sektionschefs und die Berichte der auswärtigen Vertretungen an den Minister; wenigstens ist das der normale Fall. Einem umsichtigen und selbständigen Ressortleiter ist es unbenommen, jeden Akt anzufordern und für gewisse Fragen direkten Bericht zu begehren.

Lord Strongs fesselndes Panorama endet mit einer vorsichtigen Apologie der überkommenen, dem Straßenlärm abholden diplomatischen Methoden, doch auch mit der Forderung einer allseitigen Anpassung des hochqualifizierten diplomatischen Nachwuchses an die Gegenwart. Er tritt insbesondere für eine gründliche Vertrautheit seiner Berufsgenossen mit Geschichte, Kultur, Politik und Sprache der Länder ein, in denen sie ihre Tätigkeit ausüben sollen. Er trachtet, schon in der Zentrale die Gefahr abzuwehren, daß die Diplomaten unter einer Flut von Akten ersticken. Doch er fühlt sehr wohl, daß die wahrhaft überragenden Mitglieder des Auswärtigen Dienstes nur dann zu Höchstleistungen erzogen werden können, wenn sie ... zu ihnen geboren sind. Womit wir dann zugleich Antwort auf die vom Autor wiederholt gestellte und scheinbar beantwortete Frage erhalten, inwieweit die Schlagworte der vollen Oeffentlichkeit und der uneingeschränkten Demokratisierung auf ein Wirkensfcld anzuwenden sind. das. seiner Eigenart gemäß, diesen beiden Regriffcn widerstrebt.

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