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Im Angesicht des Himmels und der Hölle

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„Die großen Probleme seit 1792 sind der Krieg und der Schrecken.“ Das sind die Worte eines angesehenen Schweizer Historikers angesichts eines neuen deutschen Buches über die „Große Revolution", die Französische Revolution.

Im Angesicht des Koreakrieges, der Pestbombenideologie und der Attentatswelle in Deutschland scheinen sich diese Worte von selbst zu verstehen. So natürlich ist uns das Unnatürliche geworden: einst hieß es, .das Moralische versteht sich von selbst , heute scheint es, ohne viel Widerspruch, zu gelten: der

Krieg und der Schrecken verstehen sich von selbst; sie gehören zu unserem Leben, wie ehedem die freundliche IJlme im Garten am Frauenplan, wie der munter bellende Hofhund, wie die zeternde Mamsell...

Das aber ist die große Gefahr, die größte vielleicht von allen: daß wir das Unnatürliche und das Widernatürliche als natürlich nehmen, es gar zu rechtfertigen suchen, als zur „Ordnung der Dinge“ gehörig. — Wen regt es noch auf, wenn in der Wochenschau die Bomben fallen (mögen es bisweilen auch nur übungsbomben sein)? Wen erregt, es, wenn die Gazetten der Welt das Gift der Verleumdung in die Menschheit schleudern, einer tödlichen Verunglimpfung de Gegners, die diesem zuerst das Menschsein abspricht, in oft monatelangen Presse- und Propagandakampagnen, um es ihm dann in kurzen oder langen Prozessen zu nehmen?

„So ist es eben; dagegen kann man gar nichts machen; am besten ist es, den Mund halten! Geben Sie acht, daß Sie rächt selbst verwickelt, nicht selbst kompromittiert werden. Sie werden die Dinge nicht ändern ..." — Hinter diesen Schlagworten steht als Wirklichkeit der Verzicht des Bürgers, des Staatsbürgers auf seine Verantwortung, auf seine Freiheit. Steht, nicht selten in salbungsfrommen Worten, der Verzicht des Christen auf seine Pflicht in der Welt, in der Schöpfung.

Es liegt nahe, diese bekannte Erscheinung des inneren Selbstmordes mit offen zutage liegenden Gegebenheiten zu erklären: mit der Angst also des kleinen und großen Mannes, seine „Stellung“ zu verlieren, mit der Erfahrung oftmaliger Täuschung und Enttäuschung im Kreislauf politischer Umstürze, mit dem Wissen um den Sieg von Niedertracht, von dem also, was Goethe als das .Gemeine erkannt hat. Mit der bestürzen- den Wahrnehmung, die alles das zusammenfaßt: daß der Mensch ein unendlich schwaches Wesen ist, eine geringe Nummer, die sich nicht behaupten kann gegen die großen Nummern der Massen und Mächte.

Stimmt diese Wahrnehmung? Ist sie das getreue Widerbild der Wirklichkeit?

Bildet sie also jenen Realismus, jenen echten Wirklichkeitssinn, den wir alle suchen, um unseres Lebens Herr zu werden? Besteht unsere ganze Kunst also darin, uns möglichst schnell selbst aufgeben zu dürfen? Mitnichten; ein näheres erstes Zusehen bereits ergibt: hier liegt eine schiefe Weitsicht zugrunde, die, wenn angenommen, mit innerer Konsequenz schiefe Verhältnisse schafft.

Es ist also von der Geburt des modernen Krieges und des modernen Schrek- kens zu sprechen. Diese beiden Phänomene sind nämlich durchaus eigene Dinge, haben mit ihren Vorformen oft su wenig zu tun wie der vielberufene Dschungelkampf des Tigers mit der modernen Materialschlacht, wie die furchtweckende Göttermaske der „Primitiven“ mit dem ausgeklügelten Apparat des Schreckens im modernen Totalstaat. — Diese neuen Dinge setzen einen Menschen voraus, der sich selbst als Maschine begreift, als ein Objekt für Versuche, Experimente, als eine Nummer, als ein Material, als ein hochinteressantes Spannungs- und Kraftfeld. Aufgerufen zu seiner Bearbeitung sind der Staat, die Gesellschaft, die Wissenschaft und die Kunst. Alle zusammen werfen diese Mächte der Religion vor, daß sie, trotz jahrtausendelanger Experimente, nichts Rechtes mit dem Menschen anzufangen wußte, daß sie ihn nicht recht zu benützen, auszuwerten und einzusetzen wußte, ihn also etwa ebenso unklug, unwissenschaftlich und unökonomisch verwendete, wie „Primitive“ ihre Felder, Haustiere, Naturprodukte und Werkzeuge. Demgegenüber versprechen Wissenschaft und Kunst eine Zerlegung, Zergliederung und Neukomponierung des Menschen, indem sie durch technische, biologische, psychologische und magische Mittel (letztere in der modernen Poesie und der deutschen Philosophie) dieses hochempfindliche Kraftfeld bearbeiten, um es höchster Genüsse fähig zu machen; man nennt das auch: Erhöhung der Arbeitsfähigkeit, der Spannkraft — der Nerven, des Körpers, natürlich. Dasselbe aber verspricht die Gesellschaft und wirkt der absolute Staat. Ziel aller ist die Schaffung, die Züchtung von besonders einsatzfähigen Menschen durch „Steuerung", durch Lenkung ihres inneren Lust-Unlust-Apparats. Bestes, erprobtestes Mittel zu dieser inneren „Steuerung“ (wo also der Mensch aufgefaßt wird wie eine moderne Elektrodenröhre, durch deren Gitter verschieden starke Ströme gesandt werden, zur Regelung der Lautstärke usw.) ist der moderne Schrecken, bestes Mittel der Verwertung des dergestalt geprüften Mensdikems ist der Krieg. Durch wohldosierte, zeitlich und an Lautstärke wohlgemessene Dosen von Angst, Furcht, Schrecken will man heute den Menschen zu jener Masse ausschmelzen, deren Innenleben nur mehr eine Nervenklavi“-

feur ist, auf der die Lenker und Henker nach Bedarf spielen.

Das ist der Sinn etwa auch der Bomben und Höllenmaschinen, die heute in Deutschland in Umlauf gesetzt wurden gegen Männer der Regierung; das ist der Sinn aber auch jener Diffamierungs- kampagnen gegen Männer des Geistes und der Kultur, die über Nacht zu Staatsund Menschheitsfeinden erklärt werden, nachdem sie ein langes Menschenleben ihrem Volk und Glauben gedient haben, weil sie es wagen, sich dieser totalen Entwertung und Entwürdigung des Menschen entgegenzustellen.

Wie hängt das alles mit uns zusammen? Werfen wir Bomben? Fabrizieren wir Höllenmaschinen? Planen wir Kriege? Erzeugen wir Terromachrichten?

Nein, nein, gewiß nicht — mag unsere Antwort lauten. Dennoch trifft sie nicht ins Schwarze, trifft nicht den Herzkern der Dinge, in deren Lauf wir, wie wir aus anderen Erfahrungen sehr wohl wissen, mit verstrickt sind. Wir wissen nämlich, aus vielen tausend täglichen Erfahrungen, im Beruf, im Betrieb, im Büro, in der Fabrik, im Genuß unserer „Freizeit", in der „Unterhaltung“, daß wir alle, in diesem oder jenem Bereich, und oft in sehr vielen Bereichen uns selbst als Nummern, Maschinen, Reaktionsgläser akzeptieren. Daß wir es nicht verstehen, uns zur Wehr zu setzen gegen jene tausend Attentate auf die Menschheit, weil wir immer wieder auswelchen und meinen wollen: wir sind noch nicht gemeint, mich persönlich geht es ja nicht an, was kann ich schließlich dagegen machen? Wohl fürchten wir uns vor dem säkularisierten, verweltlichten Jüngsten Gericht, als das uns ein kommender Krieg erscheint — wir stehen ihm aber gegenüber wie die Halbchristen vergangener Jahrhunderte, mit einer Mischung also von Sorge, Bangen, Grauen und guter Hoffnung, daß es so etwas in einer aufgeklärten Welt und Überwelt doch nicht geben kann und darf... Wir fürchten uns aber nicht, und das ist das wahrhaft Furchtbare, vor den täglichen .jcleinen“ und großen Verletzungen, Versehrungen, Beleidigungen und Schändungendes Menschen, die Tür an Tür, Straße an Straße, Betrieb an Betrieb, Ort an Ort, Stadt an Land geschehen — die wir für einen Wimpernschlag vernehmen, nicht aber zur Kenntnis nehmen, wenn wir in der Zeitung von ihnen lesen, die wir aber kaum sehen, wenn sie vor uns, im Leben unseres Nächsten geschehen. Die Nichtachtung dieser Attentate gegen das Menschsein verhärtet und verblendet den Sinn, schwächt auf die Dauer jede innere Widerstandskraft in uns gegen das Entsetzliche des großen Schreckens und des großen Krieges.

Womit wir wieder am Anfang unserer Osterbetrachtung angelangt sind: bei unserem falschen Selbstverständnis als Nummern, als Maschinen, als .kleine Leute , die eben nichts machen können, wenn die Großen rüsten, streiten, verleumden, lügen und töten.

Seit der Auferstehung Christi gibt es keine „kleinen Leute mehr. Seit seiner Einladung an uns, an seiner Passion, an seinem Abstieg in die Hölle und seiner Auferstehung und Himmelfahrt teilzunehmen, gibt es nur mehr Menschen, die Tag und Nacht im Angesicht des Himmels und der Hölle stehen; Men schen, die bewußt oder unbewußt teilnehmen an seinem Kampf. Die also unser Leben erkennen als das, was e wirklich ist: eine immerwährende Versuchung, eine stündliche Erprobung, verbunden mit zahllosem Fall und Abfall, verbunden mit ewig neuem Aufstieg und Erhebung. Militia est vita hominum. Das Leben der Menschen ist ein Kriegsdienst: das wußten die Mönche im einsamsten Waldkloster, in idyllischer Landschaft des Friedens — müssen wir, zwischen den Plakatwänden der Hetzer, unter dem Himmel der Bomber, auf der Erde der entzweiten industriellen Gesellschaft uns diese Tatsache erst aufzeigen lassen? Verstehen wir doch, wenigstens an diesem Ostertag, daß in ihr die Erkenntnis der wahren Weltlage und die Möglichkeit, sich in ihr zu behaupten, mitgegeben ist. Die Attentate der „Welt“ häufen sich von Stunde zu Stunde, jede Morgen-, jede Abendzeitung, jede Funksendung bringt neue Nachricht von ihr —

wer eine alte Chronik zur Hand nimmt, sieht auf den ersten Blick, daß es ehedem ebenso war —, die Macht dieser Attentate ist aber durch das Attentat Christi gebrochen.

Die alte Christenheit der Väter, die christliche Existenz großer Heiliger hatte nicht das Wort, besaß aber ein sehr sicheres Wissen und lebte dieses Wissen als Lebenserfahrung: Tod und Auferstehung Christi sind nur als Attentat zu begreifen, als unerwarteter, ungeheuerlicher, unglaublich anmutender todeskühner Angriff wider den „Herrn der Welt“, seine Klugheit, seine Rechnungen, sein kleinen und großen Realitäten. Als „Überfall", als „Raub am Teufel erscheint diese Tat — an der Spitze einer Rotte Gewaffneter bricht Christus auf mittelalterlichen Bildern in die Hölle ein. Sein Tod am Kreuz ist die Annahme der Kriegserklärung des Teufels an den Menschen: seither stellt sich, in Christus, auf dieser ganzen w eiten Welt der Mensch zum Kampf. Alle Niederlagen des Menschen, alle Schändungen seines Wesens und Wertes können ihn nicht vernichten

— das haben die atheistischen und nihilistischen westlichen Verteidiger des Menschen vom Schlage eines Orwell und Huxley übersehen — weil hinter dem Menschen Der Mensch s t e h tj der Gottmensch, der voranging, durch die Versuchungen, durch die täglichen Attentate und Niederlagen (wie oft dürstete ihn nach reiner Menschlichkeit. Wer von den hartherzigen, fanatisch engen Jüngern bot sie ihm?). — Der Mensch ist also: Nummer, Erdenwurm, Maschine, Lust - Unlust - Komplex, Sand auf der Schippe der Machtherren, wenn er sich preisgibt an die täglichen Attentate des Bösen. Wir aber sollen sein: Mitkämpfer, erlesen in der Nacht der Karwoche unseres Lebens. Menschen, die die Herausforderung annehmen, weil der Herausforderer bereits überwunden ist,

in den tiefsten Tiefen der Hölle. Nicht Vorsieg wird ja von uns Christen verlangt, wie von den kommunistischen Partisanen, die auf allen Kontinenten bluten, opfern, sterben um eines künftigen Sieges, eines im Glauben erhofften Reiches willen, sondern Nachfolge im Schutze dessen, der das Reich den Seinen bereits erobert hat und es in jedem Augenblick gibt, in dem sie wahrhaft bereit sind, es anzunehmen.

Es gibt keine kleinen Leute mehr; nur Menschen, die Entscheidungen fällen. Für die Attentate der Welt oder für das Attentat Christi. Für die Reiche des Kreislaufs der Macht, und Angst, der Kriege und des Schreckens. Für das Reich des Menschen, der zur Wiedergeburt gerufen ist: mitten durch die Höllen unserer Zeittage hindurch.

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