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Im Atelier der Meister

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Eine neue Reihe zur Geschichte der modernen Kunst erscheint bei Diogenes in Zürich, dem Verlag des jungen und rührigen Daniel Keel. Die Reihe heißt „Atelier“ und bringt vor allem Monographien. Sie ist wertvoll als eine Materialsammlung; die zum Verständnis einzelner Malerpersönlichkeiten, ihrer individuellen Schicksale und Strebungen und damit indirekt aziMlständnff'r'odetfü . Dfe?RirnYe-Ä!te1ier“ stellt nicht“das fertigend. Tat' voiWrifeti fWhstwefk ,fif7der'MtetknWKdir'l' trachtung, sondern zeigt die Kunst im Augenblick des Entstehens (wie dies letzthin mit anderen Mitteln der Picasso-Film Clouzots meisterlich leistete). Sie führt in die Ateliers der großen Meister, ermöglicht einen Einblick in ihre Schaffensweise, zeigt das Werden der Maler und das Werden der Bilder, die Geschichte gemacht haben. Sie führt in das Heldenzeitalter der modernen Kunst, das Vierteljahrhundert von 1900 bis 1925, in dem alle berühmten „Ismen“ geboren wurden und von dem wir, im „Zeitalter der Retrospektiven“, noch heute zehren und noch lange zehren werden.

Freilich gibt das „Atelier“ nicht nur Werkstattatmosphäre, sondern auch Privates der einzelnen Künstlerleben preis, wie zum Beispiel die Erinnerungen einer Bekannten Picassos oder das seltsame Bild, das Henri Matisse mit Bart, Professorenbrille, Bierkrügel und Bauernpfeife im Münchner Löwenbräukeller 1910 zeigt. So dient diese Reihe nicht nur dem verstehenwollenden Kunstfreund und dem katalogisierenden

Kunstgeschichtler, sondern sie kommt auch dem Publizitätsbedürfnis des Publikums entgegen, das mehr an der Person des Künstlers als am Kunstwerk selbst interessiert ist und „alles“ von den hoch in Kurs stehenden Künstlern, seinen erkorenen Lieblingen, wissen möchte. Die reiche Bebilderung jedes Bandes (etwa 80 Bilder) bringt hauptsächlich Aufnahmen und ' Dokumes-jripten Beffurert. in iweLjnjWiietben von Kujsjken; mit 'Reproduktionen haben wir ja schon wahrlich genug, der illustrierten Biographie gehört die Stunde. Fast alle bisher erschienenen Bände sind Uebersetzun-gen aus dem Französischen. Alle sind lesenswert, einige unentbehrlich. Besonders sei die Ausstattung gelobt: gediegener Leinenband, sorgfältige typographische Gestaltung, sauberer Druck auch der Tafeln.

MAURICE UTRILLO. Legende und Wirklichkeit, von Francis C a r c o. Mit 79 Reproduktionen von Bildern, Zeichnungen. Photos und anderen Dokumenten, mit Zeittafel und Namensregister. 212 Seiten. Preis 19 sfr./DM.

Das Buch beginnt mit einem Huldigungsgedicht ah Utrillo, den heimgesuchten Außenseiter der Kunst des 20. Jahrhunderts. „Die öde Gasse mit den fahlen Mauern, Die Kneipen und das nasse Trottoir, Die Wcchselfälle, die hier ständig tauern, Das alles liebt er schon so manches Jahr...

... Und immer er, der trunkene Geselle, Streicht längs der Häuser in der trüben Helle, Du hörst ihn rufen, weißt nicht wen, wozu .. .“ Dies war die Welt Maurice Utrillos, geboren 18 83 in Paris, in Armut und Elend, als unehelicher Sohn der Malerin Suzanne Valadon, früh der Trunksucht verfallen und verdämmert, von Lucie Valore geheiratet, die sich mit ihm 'im Villenvorort Le Vesinet niederläßt, gestorben 1955 in Dax (Landes), unberührt von allem Reichtum. Carcos Darstellung ist das klassische Werk über diese tragische und großartige Erscheinung.

HENRI MATISSE. Sein Leben und Schaffen. Von Raymond E s c h 0 1 i er. Mit 87 Reproduktionen von Bildern, Zeichnungen, Photos und anderen Dokumenten, mit einer Zeittafel und einem Namenregister. Die deutsche Ausgabe wurde übersetzt, gekürzt und bearbeitet von Maurice B e s s e t. 312 Seiten. Preis 25 sfr./DM.

Matisse sagte 1946: „Ueber mich werden Sie alles im Buch von Raymond Escholier finden. Ich habe es selbst durchgesehen.“

Wir können zwölf lahre später nur feststellen, daß Matisse mit diesem Urteil recht hatte: Escholiers Werk bietet eine vollständige Information über den „malenden Professor“.

NEUN JAHRE MIT PICASSO. Erinnerungen aus den Jahren 1905 bis 1913. Von Fernande O 1 i v i e r. Vorwort .von Paul Leautaud. Mit Reproduktionen von 16 Zeichnungen im Text, von 5 8 Bildern, Plastiken, Dokumenten und Photos auf Tafeln. 164 Seiten. Preis 16.90 sfr./DM.

Das Buch heißt im Original „Picasso et ses amis“ — und das ist es auch: eine Darstellung des bewegten Lebens Picassos und seiner Freunde in Paris aus der Zeit, als der „analytische“ und „synthetische“ Kubismus geboren wurde. Man erfährt viel Anekdotisches und wenig Bedeutsames. Die Erinnerungen der alten Dame zeigen einiges Ressentiment gegen ihren Jugendfreund.

ERINNERUNGEN EINES KUNSTHÄNDLERS. Von

Ambroise V o 11 a r d. Mit der vollständigen Bibliographie der Editions Ambroise Vollard sowie Reproduktionen von 29 Bildern, 22 Zeichnungen, 10 Photos und 15 Dokumenten. 380 Seiten. Preis 26.80 sfr./DM. Die vollständige Neuausgabe des Erinnerungsbuches des berühmten Kunsthändlers unseres Jahrhunderts. Sein Büch ist nicht nur aufschlußreich, sondern auch amüsant zu lesen. Eine Probe mag davon überzeugen: Als Völlard einmal von zwei jungen Adepten des Kunsthandels gebeten wurde, ihnen das Geheimnis seines außergewöhnlichen Erfolges mitzuteilen, damit sie ihr „Glück machen könnten“, antwortete er: „Ich habe und kenne kein Geheimnis, um sein Glück zu machen. Meine Erfahrung, von der Sie gerne profitieren möchten, erinnert mich nur daran, was ich meiner unüberwindlichen Neigung zum Schlaf verdanke. Oft fand mich der Kunstsammler, wenn er meinen Laden betrat, eingeschlafen. Halb schlafend und mit dem Kopf wackelnd, hörte ich ihm zu und versuchte mühsam zu antworten. Da der Käufer mein unverständliches Schnarchen für eine Ablehnung hielt, steigerte er nach und nach sein Angebot. So hatte mein Bild, bis ich richtig aufgewacht war, eine ansehnliche Hausse erfahren. Den Seinen gibt's der Herr im Schlaf! Diese Gnade wünsche ich Ihnen.“

EIN MALER ERZÄHLT. Aufsätze, Reiseberichte, Briefe von Ernst Morgenthaler. Mit einem Vorwort von Hermann Hesse und Zeichnungen des Verfassers. 188 Seiten. Preis 15.90 sfr./DM.

Ernst Morgenthaler, der Freund Hermann Hesses, in der Schweiz hochgeachtet, ist bei uns gar nicht bekannt. In seinem Buch erzählt er von Begegnungen mit Menschen und Bildern, von Reisen und vom Malen. Sehr launig sind seine Briefe an Hermann Hesse.

VERRUFENE MALEREI. Von Malern, Kennern und Sammlern. Berichte aus Paris, Berlin, New York, Florenz. Von Walter Mehring. Mit 88 Reproduktionen von Bildern, Zeichnungen, Photos und anderen Dokumenten. 204 Seiten. Preis 18 sfr./DM.

Walter Mehring, geboren 1896 in Berlin, gehörte in seiner lugend dem „Sturm“-Kreis an und stieß, kaum zwanzigjährig, zum Kreis um Hugo Ball und das „Cabaret Voltaire“ in Zürich. Zwischen den Kriegen lebte er in Paris, 1940 mußte er nach

Amerika flüchten. Seine Erinnerungen an Jule Pascin, Marc Chagall, Lyonel Feininger, Paul Kle und Wilhelm Uhde zeugen von einer tiefen Ein fühlungsgabe in die moderne Kunst und echt menschlicher Anteilnahme.

DIE NAIVE MALEREI IN FRANKREICH. Vo

Anatole J a k o v s k y. Einleitung von Florent Fei Mit Reproduktionen von 41 Bildern und Zeichnur gen und 20 Photos. 172 Seiten. Preis 15.90 sfr./DN Das Buch berichtet von 25 „naiven Malern“: vo Henri Rousseau, dem Zöllner Andre Bauchant un Camille Bombois bis zu Louis Vivin und Fernan Weil. Die Einleitung zählt auch Maurice Utrill zu den naiven Malern. Ein erweitertes Verzeichn der naiven Maler gibt Daten und Bibliographie fi 47 Namen; eine Zeittafel nennt alle wichtigen Au! Stellungen und Publikationen der Sonntagsmalere Die Bilder führen in den häuslichen Lebenskreis dt Künstler, in die Fabrik und auf den Flohmarkt, i Metzger-, Bäcker- und Tabakgeschäfte. Leider sin die Texte zu feuilletonistisch gehalten, man kan ihnen zu wenig Informationen entnehmen. Und gi rade auf die wäre es — im Sinne der Reihe „Atelier — ja angekommen.

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