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IM EXPRESS „DER STILLE DON"

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Michail Scholochow, Nobelpreisträger, ein Schriftsteller von Weltrang, hätte wohl das Recht, ein bißchen „eingebildet“ zu sein. Aber er ist das ganze Gegenteil: bescheiden, einfach, kann „Publicity“ überhaupt nicht ausstehen, gibt nicht gerne Interviews und Pressekonferenzen. Seine Abneigung gegen Publicity geht sogar so weit, daß er selbst seinen Freunden unter den Journalisten, denen sein Haus stets offen steht, nur selten erlaubt, die Gespräche in der Presse zu veröffentlichen.

Der aus einer alten Kosakenfamilie stammende Scholochow fühlt sich auf offiziellen Empfängen und Banketten, die ihm zu Ehren veranstaltet werden, nicht wohl. Er liebt nicht die „Paradeuniform“ — Frack und gestärktes Hemd mit Ma- scherl — sie stört und behindert ihn. In Paris und in London hat er Heimweh nach seinem Kosakendorf; schon nach ein oder zwei Tagen sehnt er sich nach Hause, wo er die lästige „Paradeuniform“ gegen Arbeitshemd, Drillichhose und bequeme Schuhe tauschen kann.

Scholochow lebt in der Kosakensiedlung Weschenskaja am Donufer. 160 Kilometer von der nächsten Eisenbahnhaltestelle entfernt. Warum?

„Um nicht weit nach meinen Helden suchen zu müssen“, erwiderte Scholochow scherzend. Der Schriftsteller verbringt die meiste Zeit seines Lebens bei den Donkosaken, den Hauptgestalten aller seiner Werke. Hier, aus seiner Heimat am Don, schöpft er die Themen für sein literarisches Schaffen. Er führt ein sehr gastfreundliches Haus, das für jedermann offen ist. Man holt sich bei ihm Rat und Hilfe, und jeder weiß, daß Scholochow „für jeden da ist“.

In die Hauptstadt kommt er nur, wenn er dort geschäftlich zu tun hat. Daher ist seine Zeit genau eingeteilt, und man Wird ihn nur schwer zu Hause antreffen.

Wir erfuhren, daß sich Scholochow auf der Rückfahrt aus Japan in Moskau befand und riefen ihn an. ,

„Michail Alexandrowitsch ist nicht zu Hause..., Michail Alexandrowitsch ist eben in den Schriftstellerverband gefahren ..., Michail Alexandrowitsch ist noch nicht zurückgekehrt ...“, so ging es den ganzen Tag. Zum Schluß erfuhren wir, daß Scholochow mit dem 6-Uhr-Zug vom Kasanerbahn- hof nach Weschenskaja fahren werde. Da keine andere Möglichkeit bestand, Scholochow zu sprechen, fuhren wir zum Bahnhof und lösten für denselben Zug eine Fahrkarte. Kaum setzte sich der Zug in Bewegung, suchten wir den nicht wenig erstaunten Scholochow in seinem Abteil auf. Wahrscheinlich dachte er sich: Diese verfluchten Journalisten, nicht einmal im Zuge lassen sie einen in Ruhe. Als wir ihm erklärten, daß wir schon in Kassan — ungefähr 200 Kilometer von Moskau

— aussteigen werden, wurde er zugänglicher.

„Na also“, meinte er. „Lassen Sie mich wenigstens Luft schöpfen, ich komme dann zu Ihnen.“ Fast eineinhalb Stunden dauerte das Gespräch. Die erste Frage lautete natürlich, ob er schon öfter im Zug ein Interview gegeben habe.

„Es ist das erstemal, obwohl ich oft reise.“

„Kaum sind Sie in Moskau angekommen, zieht es Sie schon •wieder nach Weschenskaja. Stimmt es, das Sie Moskau nicht lieben?“

„Ach, Unsinn. Ich verbringe doch den größten Teil meines Lebens in Moskau, bin bei jeder fachlichen Sitzung und bei den Plenartagungen des Zentralkomitees. In Wischenskaja lebe ich nur, weil es dort ruhiger ist und man besser arbeiten kann.“

„Hält Sie Ihre gesellschaftliche Tätigkeit nicht von der Schriftstellerei ab?“

„Nein, im Gegenteil. Sie gibt mir Gelegenheit, in engeren Kontakt mit den Menschen zu kommen, sie besser kennenzulernen. Natürlich geht dadurch auch viel Zeit verloren, aber wenn ich die ganze Zeit wie unter einem Glassturz leben würde, wären .meine Helden nicht lebensecht, sondern aus- getüftelt.“

„Stört Sie nicht Ihre Berühmtheit? Daß man Sie zum Beispiel auf der Straße erkennt?“

„Warum sollte mich meine Berühmtheit stören? Ich arbeite ja nicht auf der Straße „Was empfinden Sie als schöpferischen Impuls für die Arbeit?“

..Den Wunsch zu arbeiten und nicht umsonst gelebt zu haben?“

„Welchen Beruf übten Sie aus, bevor Sie mit der Schriftstellerei begannen?“

„Ich habe mich in mehreren Berufen versucht, war Lastträger und Hilfsarbeiter ...“

„Wovon leben Sie?“

„Nur von meinen Honoraren.“

„Ist es wahr, daß Sie Millionär sind?“

„Im gewissen Sinne, ja. Ich habe auf meinem Konto — 40 Millionen Exemplare meiner Bücher, die in den verschiedensten Ländern herausgegeben wurden.“ (Nebenbei bemerkt: Allein in der UdSSR erreichten seine Bücher eine Auflage von 23 Millionen. I.m Ausland wurden sie 459mal verlegt.)

„Bekommen Sie viele Leserbriefe?“

„Ungefähr 10.000 bis 15.000 im Jahr.“

„Was schreibt man Ihnen?“

„Es wäre leichter zu sagen, worüber man mir nicht schreibt.“

„Haben Sie viele Besucher und Gäste?“

„Statistik führe ich darüber keine, aber nicht selten muß ich ganze Exkursionen, bis zu 200 Leute im Tag, empfangen.“ „Was machen Sie zu Ihrem eigenen Vergnügen?“

„Ich gehe angeln oder auf die Jagd.“

„Reisen Sie gerne?“

„Manchmal. Besonders wenn es nicht nur einfache Erholung und Ausruhen ist, sondern neue Erkenntnisse vermittelt und geistig bereichert.“

„Vor kurzem sind Sie aus Japan zurückgekehrt. Was können Sie über diese Reise sagen?“

„Es ist ein sehr interessantes, ich möchte sagen, ungewöhnliches Land. Vor allem staunte ich über die Arbeitsliebe und Lebenskraft dieses Volkes. Ich hatte viele Begegnungen, nicht nur mit Intellektuellen, und jede war auf ihre Weise interessant. Überhaupt ist es immer spannend, wenn man ein Land das erstemal besucht.“

„Was werden Sie mit den 54.000 Dollar machen, die Sie rlari Mrihalnroic Vialrnmmon hahon?“

„Ich werde reisen: Ende dieses Jahres nach Indien, Anfang nächsten Jahres nach Lateinamerika, kann aber sein, daß ich auch nach Australien oder in die USA fahre.“

„Wie ist Ihr Tag eingeteilt?“

„Ich gehe früh schlafen, stehe früh auf’— meist um 4 Uhr. Ich arbeite am liebsten am Morgen. Aber eine strenge Tageseinteilung habe ich nicht; so etwas wäre auch gar nicht möglich.“

„Wollen Ihre Kinder auch Schriftsteller werden?“

„Ich habe vier Kinder. Mein Ältester, Alexander, ist Agronom und arbeitet in der Krim, der zweite, Michail, ist Ichthyologe und lebt in Rostow. Meine Tochter Swetlana ist Journalistin und arbeitet bei der Zeitschrift ,Die Bäuerin“. Meine, jüngste Tochter, Maria, studiert an der Moskauer Universität. Außerdem bin ich schon sechsfacher Großvater, und mein ältester Enkel hat gerade die Mittelschule beendet.“ „Welches Verdienst eines Menschen werten Sie am höchsten?“

„Das hängt von dem Menschen ab. Und abgesehen davon, ist jedes Verdienst gut, es kann nicht eines besser sein als das andere.“

„Welchen Mangel verabscheuen Sie am meisten?“

„Das ist schwer zu sagen. Was würden Sie selbst auf diese Frage antworten?“

„Kriecherei.“

„Dann schon eher Gemeinheit. Denn Kriecherei ist nur eine Art von Gemeinheit.“

„Was denken Sie über sich selbst?“

„A,m liebsten überhaupt nichts.“

„Was betrachten Sie als Hauptaufgabe eines Schriftstellers von heute?“

„Gute Bücher zu schreiben.“

„Stimmt es, daß Sie gegen das Schaffen von Schriftstellerinnen skeptisch eingestellt sind?“

„Ja. In dieser Beziehung bin ich altmodisch. Die Literatur ist eben Männersache.“

„Und was ist mit Anna Seghers, Simone de Beauvoir und Anna Achmatowa?“

„Es gibt keine Regel ohne Ausnahmen.“

„Wahrscheinlich lieben Sie die Frauen überhaupt nicht?“ „Nein, das möchte ich nicht sagen. Ich hätte mir sonst nicht eine so große Familie angeschafft.“

„Was ist Ihre Meinung über die jungen sowjetischen Dichter, die man im Ausland als ,aufständisch“ bezeichnet? Jewtuschenko, Wosnessenski und andere. Sind Sie mit der Kritik ihrer Werke einverstanden?“

„Es ist das Recht der Jugend zu rebellieren. Es ist nicht klug, von der Jugend nur Reife zu verlangen. Es ist ein Naturgesetz, daß die Reife erst mit den Jahren kommt.“ „Können Sie in einigen Worten das Wesentliche über den sozialistischen Realismus sagen?“

„Kurz gesagt: die Rechtschaffenheit.“

„Hat der sozialistische Realismus in den letzten Jahren eine Änderung erfahreh?“ ’

„Der sozialistische Realismus ist keine saisonbedingte Modeerscheinung.“

„Welches sind Ihre Lieblingsschriftsteller?“

„Leo Tolstoi, Tschechow und Gogol. Aber ich habe da keine besondere Vorliebe.“'

„Was denken Sie darüber, daß man Ihnen den Nobelpreis zugesprochen hat?“

„Man darf von mir nicht erwarten, daß ich sage, man hätte mir den Nobelpreis zu Unrecht gegeben. Natürlich bin ich stolz und erfreut darüber, daß man mich auserkoren hat.“ „Wann wird Ihr nächster Roman ,Sie kämpften für die Heimat“ erscheinen?“

, „Ich glaube, daß ich den ersten Band noch in diesem Jahr beenden werde.“

„Warum schrieben Sie so lange an Ihren Büchern? Es ist bekannt, daß Sie für den ,Stillen Don“ 12 Jahre brauchten und für ,Neuland unter dem Pflug“ 30 Jahre, und die ersten Kapitel des Romans ,Sie kämpften für die Heimat“ wurden vor mehr als 20 Jahren noch während des 2. Weltkrieges geschrieben.“

„In der Literatur nach Menge zu arbeiten, wäre schlecht. Hier sind Rekorde nicht angebracht.“

„Worüber wollen Sie noch schreiben?“

„Über die Liebe.“

„Wie stellen Sie sich zu den Verfilmungen ihrer Werke?“ „Ich gebe meine Zustimmung, also habe ich nichts dagegen. Aber reden wir besser nicht darüber, um nicht einige bekannte Persönlichkeiten zu beleidigen.“

„Regisseure möchten, wenn sie ihre Filme ansehen, immer noch einiges daran ändern. Haben Sie nicht ähnliche Wünsche, wenn Sie Ihre Bücher lesen?“

„Aber die Regisseure arbeiten meist mit fremdem Material, aber mir tut es um jedes Wort leid, weil ich es doch unter Schmerzen geboren habe.“

Er ist klein, schon ergraut, mit einem sorgfältig gestutzen Bärtchen, schwieligen Arbeitshänden. Er raucht viel, ist sehr bescheiden, liebt kräftige Ausdrücke. Das ist Michail Scholochow aus der Nähe betrachtet.

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