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Im Grenzwald

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Die Geschichte hat drei Fehler. (Derentwegen sie wohl auch kein Feuilletonredaktuer einer großen Zeitung — so er beflissen ist, nur der „modernen“ Literatur zu dienen — annehmen könnte:)

1. Sie geschieht im bayrisch-böhmischen Grenzwald. (Nicht „irgendwo“ — hinter uferlosen Flüs-•en oder im Niemandsland unter einem verdorrten Baum.) Was aus dieser verrufenen Ecke kommt, .jstiftert“ nachkommenschaftlich, wenn es sich hochgestochen gibt; „kalendergeschichtelt“ hagebuchen, will es nur unterhalten.

2. Es wird ein Erlebnils im Schneesturm geschildert. (In solch provinzhaftem Gebirgsidyll:) Hier blinkgeistert es schon penetrant nach Stifters „Bergkristall“. Wozu noch einmal nachgeleiert, was bereits als „klassisch“-ungelesen beiseite gelegt ist...

3. Und es wird darin von Heinrich Heine allerlei gesagt. Dabei — so heißt es — leben heute mehr als genug Heinrich Heines unter uns, junge, ungestüme, .zornige, stammelnde, die dieser Zeit in ihrer Sprache mehr zu sagen haben! Im übrigen: wer kennt eigentlich diesen Heinrich Heine noch von der jüngeren Generation?

Warum also so eine Geschichte drucken?

Nur, weil sie wahr sein könnte? — Was eigentlich der vierte Fehler wäre!

Die Geschichte ist aber fast so wahr, wie sie hier erzählt wird. Und sie ereignete sich in den Grenzwäldern unterm Arber am 17. Februar 1936.

... Obwohl iah mich damals kaum um ein Datum kümmerte (es lagen ein paar Wochen Ferien vor mir und es war ein richtiger Skdwinter, daß man den 17. Februar schrieb, fiel mir an jenem Morgen besonders auf: Der Grenzpolizist ließ die Tür zu seinem Büro offen stehen: über seinem Schreibtisch leuchtete mir eine riesenrote Siebzehn vom Kalender entgegen.

Die Ziffern tanzten noch vor mir in violetten Sonnenkringeln, als ich zum Wald hochstieg. Es lag Pulverschnee. Der Himmel hing unwahrscheinlich blau um den Arbergipfel. An solchen Tagen bekommt man vor Glück Herzklopfen. Man kann dann die Bretter kaum bändigen, oben am Kamm, wenn die glänzende Stille dieses Gebirges zwischen Bayern und Böhmen in endlosem Auf und Ab silberrauchend verblaut. Als ich späte Rast hielt, fiel in das Mittagsschweigen der Luft plötzlich jenes Zittern, das einem sprühend über die Haut rieselt. Ehe ich aufgeschreckt die Bretter angeschnallt hatte, stand die Sonne schon rotgolden hinter grünen Wolkenschleiern. Von den Gipfeln im Böhmischen riß der Wind Schneefahnen steil in den Himmel. Nun galt es einen Wettlauf mit dem Sturm, der sich fern am Ge-birgsrand sammelte. Ich zählte mir die Strecke vor: zwölf Minuten Langlauf am Kamm bis zur Schneise — drei Minuten Schußfahrt zur oberen Hütte. Ich lief und zählte; die rote Sonne wurde bleiern hinter schimmeligem Wolkendunst.

Ich lief und zählte; die Kammfich-ten hüllten sich abendgrau ein. leb zählte und lief: noch ein paar hundert Meter bis zur Abfahrtsschneise Die Baumrudel ringsum duckten sich dunkel und sprangen mich brüllen an. Heulend riß der Sturm Sehne und Nacht vom Himmel. Ich lag im Fichtendickichit und holt mühsam Atem, ehe ich in der schützenden Hochwald tauchte. Au: gut Glück suchte ich die Richtunf einzuhalten. Hintaumelnd zwischei Stämmen und Unterwuchs und dei Stößen des Sturms, die aus dei Wipfeln brachen. Äste übersühnober mich mit Wolken von Schnee.Iah fuhr — stürzte — fuhr — stürzte. Mein Herz läutete: Auf! Weiterl Auf! Und stürzte wieder, ward im Hochtaumeln von einer weichen Schneewelle gehoben, getragen, und aus der Waldfinsternis in eine fahle, fauchende Kälte geschleudert. Dunkel spürte ich, daß ich auf eine Blöße geraten war, daß ich zurück in den Hochwald mußte, wenn ich nicht überweht erstarren wollte. Aber wie ich mich wieder gegen den Eissturm stemmte, tanzte ein Licht vor mir. Es schien zum Greifen nahe.

Ich schob mich darauf zu.Ais iah die eisverkirusiteten Augen freibekam, war es wieder in endlose Ferne gerückt. Wie ein Stern. Ich ruderte verzweifelt durch den Schnee.

Nach ein paar Atemzügen, wie ausgelöscht niedersinkend, stieß ich an einen Zaun. Noch einmal riß ich mich hoch, tastete an den Pflöcken entlang. Da war das Licht wieder ganz nah, ein kleines Fenster, ich wollte mit dem Skistock daran pochen, konnte die Hände kaum heben, hörte es klirren, und sank in schwarzes Nichts.

Aber es muß nur ein Augenblick gewesen sein.

Denn nun verstand ich, was die Stimme über mir sagte: „Mein Gott, haben Sie uns erschreckt!“ Der Mann schnallte mir die Skier ab und trug mich wie einen Sack i ein finsteres Vonhaus. Doch aus er die Tür zur Stube aufstieß, konnte ich schon wieder selber zum Tisch gehen, über dem eine kleine Petroleumlampe brannte. „Es ist nur eine Frau! Sie hat sich im Schneesturm verfahren!“ sagte der Mann in den Spalt der Kammertür; und ich war wohl noch zu verwirrt, daß es mir aufgefallen wäre, wie er sich mühte, Schriftdeutsch zu reden. Auf dem Tisch lag ein Buch. Ich griff danach und plötzlich lachte etwas aus mir. Haltlos, sinnlos, das ganze irrsinnig-eisige Grauen der letzten halben Stunde taute auf in diesem Gelächter. Es schmerzte und brannte, bis es mir den Atem verschlug und mein Kopf auf die Tischplatte sank.

Als ich aufschaute — mir war, als sei ich aus einem unendlich tiefen Schacht hochgestiegen —, sah ich den Mann vor mir, der mich mit hängenden Armen anstierte, wie ein fremdes Tier.

„Entschuldigen Sie!“ redete es automatisch aus mir. „Es hat mich so überfallen: — Der Sturm — die Todesangst — Ihr Fenster und jetzt da die jähe Wärme an Ihrem Tisch!“

— Nun sah ich auch das Buch wieder

— „Und dann noch ,Die Bäder von Lucca'!“ sagte ich, meine alberne Verlegenheit zu überdecken — „Ach, sowas lesen Sie?“

„Warum sollte ein Holzbauer inj Bayrischen Wald nicht Heinrich Heine lesen?“

Im schwarzen Viereck der knarrenden Kammertüre stand eir schlankes Mädchen, das weiße Gesicht hochmütig an den Pfosten gelehnt.

Nun starrte ich das heia Wesen an, wie vorhin der Mann mich, und fand kein Wort aus meiner überraschten Betretenheit. Wie sich jetzt die Gestalt aus dem Halbdunkel löste und in den Schein der Lampe trat, hatte sie plötzlich ein kühles, reifes Frauengesicht. Sie nahm mir das Buch aus der Hand: „Ich glaube ja auch nicht, daß er Heinrich Heine lesen würde!“ sagte sie sachlich, während der Mann schlurfend aus der Stube ginig. „Übrigens, heute liest wohl fast kein Mensch mehr Heine in Deutschland!“

„Ach, weil er verboten ist, glauben Sie? Wer würde sich schon drum kümmern, wenn er ihn mochte oder

seiner bedürfe?“

„Bedürfe“ — sagte sie — „ist das rechte Wort! In dieser Zeit der zerrissenen Herzen!“

Sie zog fröstelnd die Schultern hoch. Ihre Augen begannen plötzlich zu brennen: „Ich bin auf der Flucht aus Deutschland! Der Mann, der Sie hereintrug, soll mich heute nacht über die Grenze bringen!“ Es war eine Weile still. „Die Lampe!“ sagte ich, um das Schweigen zu lösen — „Die Lampe hat mich gerettet. Ich sah ihr Licht im letzten Augenblick!“ „Wir zündeten sie an, weil ich, zermürbt vom Warten, Heine lesen wollte!“ „Ich danke Ihnen und Heine!“ lächelte ich und sah nach den Schatten, die um den Wandkalender huschten. „Dieser 17. Februar wäre fast mein Todestag geworden!“ „Seiner war es!“

Die Worte schwangen wie der Lampenschein über uns. „Genau vor achtzig Jahren sogar!“ ... Der Wind warf Eiskörner ans Fenster. „ . . . aber das . . . das ist . . .“ Ich murmelte es, hilflos in mich hinein. Die Frau drehte mir jetzt ihr Gesicht ganz zu, ihre tiefen, dunklen Augen schienen grundlos: „...Das ist? — Übrigens habe ich das Buch nur mitgenommen, Weil es der letzte Anstoß war, daß ich jetzt aus Deutschland gehe!“ Der Mann kam wieder in die Stube und stäubte seine Schneehaube gegen den Kachelofen: „Es reißt sich schon auf! Draußen wird's bald wieder hell!“ Die Stille bedrückte mich: „Wie kann aber ein Buch Anlaß sein, daß man so plötzlich alles zurückläßt?“ Ich fühlte, wie dumm meine Frage war; doch die fremde Frau mochte die Hilflosigkeit darin spüren: „Es war ein Abend, wie immer: man sprach von Freunden, die von uns plötzlich, oft ohne Grüße gegangen waren, und ich meinte, es sei nun auch für die letzten Zauderer an der Zeit, Deutschland zu verlassen. Ein sonst recht kluger Mann warf ein, daß solch freiwillige Verbannung meist nur Koketterie der Intellektuellen sei; der Tatsachenmensch bleibe und harre seiner Stunde. — Die käme wohl, diese Stunde; aber sie brächte dann nur noch die Wahl zwischen feigem Schweigen und dem Konzentrationslager“, widerredete ich laut. Einige suchten das Gespräch zu entschärfen; man wurde historisch. Plötzlich wurde unter den vielen Emigranten von ehemals auch Heinrich Heine genannt. Auch ihn hätte doch niemand vertrieben, erklärte jemand; ihn, der sich, rasch geitaufit, vor seiner Emigration oft genug den Großen seines Vaterlandes angebiedert hätte.

Da wurde ich heftig. Nicht einmal so sehr aus Liebe zu Heine, sondern aus Zorn über diese Vogel-Strauß-Politik der Männer da, von denen einige noch geduldet in höheren Ämtern saßen: ,Ja, Heine vertrieb sich selbst. Weil er sonst erstickt wäre an der großen Lüge! Er hätte keine Zeile schreiben können, gewürgt vom stummen Haß gegen all dummdreiste Unwahrhaftigkeit. Das Blühende, Sprühende, Federnde seines Stils wäre stumpf und glan/los geworden in dieser Polizeistubenluft. Er hatte nur die Wahl zwischen Verstummen und Flucht! — Wir hätten sie nun auch!

Man war verblüfft. Schwieg betreten. Ich wußte, daß ich mich endgültig aus dem schützenden Kreis meiner Bekannten gelöst hatte. Und wollte mit einem versöhnenden Wort scheiden. „Er war eben ein Dichter und die Zeit spaltete sein Herz. Ihr wißt doch, daß er selbst in den Bädern von Lucca sagt, wenn man über seine Zerrissenheit klagen wolle, solle man lieber klagen, daß die Welt selbst mitten entzwei gerissen sei; denn da das Herz des Dichters im Mittelpunkt der Welt schlage, müsse es in dieser Zeit jämmerlich zerrissen werden. Durch das seimige, so endete ich, ging der große Weltriß.“

Es kam kein gutes Wort zurück. Sie schützten plötzlich vergessene Verabredungen und Geschäfte vor. Man brach überhastet auf. Da stie noch einmal die Bitterkeit der letzten Jahre in mir empor. Unter der Türe rief ich ihnen zum Abschied zu: „Wenn wir uns nicht mehr sehen sollten, denkt daran, daß Heine auch gesagt hat: Pflanzt die schwarzrotgoldne Fahne auf die Höhe des deutschen Gedankens, macht sie zur Standarte des freien Menschentums mm und ich will mein Herzblut für sie hingeben! — Ich würde es auch — für eure Fahne ... !“

„Wenn Sie noch den Zug erreichen wollen, war es Zeit! Es hat aufgehört zu wehen!“ Der Holzbauer stand unter der Türe: „Sie werden eine gute Abfahrt haben auf dem Zieherweg; in zehn Minuten sind Sie im Tal.“ Ich hielt lange die Hand der schmalen Frau, aus deren gefrorenem Gesicht dunkel die Augen brannten.

Ich wußte damals noch nicht, was es bedeuten kann: ein zerrissenes Herz.

Draußen hatte sich der Himmel entwölkt.

Am abendsilbernen Rand über dem schwarzen Wald glomm der erste Stern.

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