Im Käs liegt die Wahrheit

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Über Lebensmittel gibt es bekanntlich tausend und mehr Geschmacks-Wahrheiten, so viele eben, als es Geschmäcker gibt. Wenn sich aber die äußeren Umstände verändern, zum Schlechteren, also zum Hunger hin, dann wird die Zahl der Wahrheiten sofort sehr viel kleiner. Das hat gar nichts Überraschendes: Je karger die Zeit, desto wertvoller das Essbare. Vorarlberg hat gerade in letzter Hinsicht viel an seinem Käse gehabt, vermutlich war er in schwierigen Zeiten viel wertvoller als heute, wo er kulinarischen Ruhm erlangt hat. Dieser alte Wert mag lang vergessen sein. In alten Sagen freilich, die man den Kindern auf der Alpe Laguz und in Stuben des Walsertales erzählt, wird er noch hochgehalten.

Das Gold aus dem die Sagen sind

Es gibt da etwa die Geschichte vom "Gold im Käsekessel". Sie steht am Beginn einer kleinen Reise durch das Wesen Vorarlbergs und seiner Symbiose mit seinem Urprodukt: Dem "Käs", den der Vorarlberger umgangssprachlich auf keinen Fall so verwenden würde wie der von Grant und Missvergnügen geplagte Wiener. Der Vorarlberger würde also nie sagen, "so a Kaas". Dafür weiß er zu gut was in ihm steckt, im Käs: Sagenhaftes.

"Auf der Alpe Laguz bei Ludesch kam beim Almauftrieb ein Männlein wie aus dem Nichts daher. Das stellten die Alpenleute zum Hüten an - es war ein seltsamer Hirt. () Niemals stürzte ihm auch nur ein Stück Vieh ab. In die Alphütten wollte der kleine Mann lange Zeit nicht eintreten, aber einmal tat er es doch, um mit einer Sennerin ein wenig zu plaudern. Diese hatte gerade Topfen gemacht und noch das Käsewasser im Kessel. Das Männlein setzte sich auf die Steinplatte des Herdes, schaute in den Kessel und sagte verwundert: "Da hast ja das Beste im Kessel gelassen." Die Sennerin lachte: "Ich hab ja nur mehr Molke drin, die haben wir immer nur den Schweinen gegeben." Das wollte das Männlein nicht auf sich sitzen lassen und es begann, der Sennerin zu erzählen, dass man aus der Molke Gold sieden könne. Aber wie es der Sennerin alles genau erklären wollte, rief ein anderes Wildes Männlein in die Hütte herein: "Feuer Gottfried, der Bach brennt!" Da war das Männlein mit einem Satz aus der Hütte und sprang davon."

Man könnte die Geschichte nun klassisch sagenhaft beenden mit, "und noch immer suchen die Vorarlberger nach dem Gold im Käse". Aber das ist viel zu pessimistisch. Hingegen ist möglich, dass die Vorarlberger das Gold längst gefunden haben -und das hängt nicht nur in einer Hinsicht mit dem Käs zusammen. Doch der Reihe nach.

Vorarlberg ist neben Wien das dichtestbesiedelte Bundesland Österreichs -und das trotz der ungeheueren, unwirtlichen Alpenmasse, die mehr als die Hälfte des Landes ausmacht. Im Rheintal hingegen wächst das Land gleichsam in die Städte hinein und die Städte scheinen sich umgekehrt ins Land hinein auszudehnen. Die Städte bestehen deshalb zu einem Teil aus Land-und Bauernhäusern, während das Land durchsetzt ist mit moderner städtischer Architektur. So bringt das Land die Ruhe in die Stadt und die Stadt die Geschäftigkeit auf das Land. Und tatsächlich, heißt es, in Vorarlberg sei der Bauer gern ein Kaufmann und der Kaufmann gerne Bauer. Was dabei herauskommt, ist eine Melange, die die scheinbaren Gegensätze vereint. Hier gibt es keine Betonklötze sondern Häuser, die wie Holzwürfel im satten Wiesengrün liegen. Der Mensch erobert die Natur durch Natur. Mit einem ähnlichen Prozess hat man es beim Käsmachen zu tun. Das Grundkapital sind Wiese und Kuh, dazu ein wenig Enzym aus dem Kalbsmagen. Beim Käsen erobert also Natur auch Natur -sie veredelt sich quasi selbst von der instabilen frischen Rohmilch zum überaus haltbaren 18 Monate gereiften Käs. Dieser Käs spendet Reichtum und offenbar Seelenruhe, dazu -auf den ersten Blick paradoxerweise -sehr viel Arbeit und Freiheit. Welches Produkt kann das wohl sonst von sich behaupten?

Vom Glück des Senners

Weil kleine Geschichten zur Beschreibung dieser Sachlage mehr beizutragen haben als wissenschaftliche Erklärungen -soll hier aus den Erinnerungen des Sozialreformers Franz Michael Felder zitiert werden, der einen Sommer auf einer Bregenzerwälder Alm verbrachte: "Wenn ich so einen Sennen bei seinem eingemauerten Kessel stehen sehe, auf nichts in der Welt achtend als auf das Feuer und die Wärme der Milch, dann muss ich oft an geheimnisvolle Gestalten in wunderlichen Erzählungen denken, die allerlei Zaubertrank zu bereiten wussten. Kein Mensch sieht es diesem Burschen mit der weißen Schürze an, wie viel er sinnt und rechnet, während er ein lustiges Liedlein pfeift. Dabei hat er dann auch dort, wo gestern die Kühe weideten das Gras untersucht um zu wissen, welche Eigenschaften er der heute zu verarbeitenden Milch zuzuschreiben habe. Ist er einmal darüber mit sich im Reinen, so blickt er hinaus über die von der Morgensonne übergossenen Berge, die sich wie ein goldener Kranz ringsum durchs Grüne, Blaue und Rötliche hinziehen. Leise verrichtet er ein Wunder der Verwandlung nach dem anderen, bis er den Käs in der Lade, den zurückgebliebenen Fettstoff, der morgen mit dem Rahm verbuttert werden kann, im Vorbruchkübel und den Zieger im Trog hat. Dann hat er bis gegen Abend mit Salzen und Reinhalten der bereits entstandenen Käse zu tun, die am Schlusse des Sommers in langer Reihe übereinander im kühlen Felsenkeller auf sauberen, salzbestreuten Brettern lagern. So geht dem Unermüdlichen der Tag und der Sommer herum. Gemäß dieser Tradition scheinen Vorarlberger die Arbeit nicht als Fluch erkennen zu wollen. Auf der Alm etwa arbeiten die Senner im Schnitt 86 Wochenarbeitsstunden, während der Rest-Österreicher über 41 Arbeitsstunden pro Woche stöhnt.

Die Alpennomaden

Während der Rest der Republik darüber hinaus seit Generationen danach strebt, möglichst seine Heimstatt nicht verändern zu müssen, freut sich ein Teil der Vorarlberger, ihren Hausstand pro Jahr dreimal zu wechseln, vom Tal auf die Unteralm -die Mayensässe -und von dort auf die Hochalm. Der Landesschreiber Josef Rohrer beschreibt, wie sich der Vorarlberger auf die Zeit des Auftriebs "beinahe so sehr freut wie einer Gefangener auf den Tag der Erlösung":"Ungeachtet der Unannehmlichkeiten, die das Alpleben begleiten findet er sich nie zufriedener, als wenn er unter dem kleinen Dache schlafen und von der Alphütte herab die ganze Gegend umher besehen kann. Seine Unabhängigkeit, mit welcher er hier thront und nur über sich selbst zu gebieten hat, versüßt ihm den Tag."

Der Käs ist nicht nur mit persönlicher und romantisierter Freiheit verbunden. Die Kuhbauern des Bregenzerwaldes waren als eine der ersten vom Grundjoch befreit und konnten die Almen als eine Allmende bewirtschaften, als ein Gemeingut. Der Käse brachte dem Land auch noch die Unabhängigkeit vom Grundherren und vom Markt. Waren die Alpen in der ersten Zeit bloß dafür da, die Grundherren mit Butter zu versorgen, so änderte sich das schlagartig mit dem Aufkommen der Fettkäseherstellung, die freie Appenzeller Bauern im 17. Jahrhundert mit auf die Vorarlberger Alm brachten. Das Verbot des Käsmachens durch die Habsburger bewirkte nicht viel. Der Vorarlberger nahm die Vorschriften aus Wien zur Kenntnis und machte einfach weiter. Wer wollte schon die 105.000 Hektar Alpfläche Vorarlbergs mit Beamten kontrollieren? Heute sommern hier 40.000 Stück Vieh, die rund 80 Millionen Liter Heumilch abliefern, aus denen wiederum 450 Tonnen Käse erzeugt werden.

Reichtum und Käsgrafen

Ein Teil des heutigen Wohlstandes des drittproduktivsten Bundeslandes Österreichs geht auf den Reichtum durch "Käs" zurück. "Kasgrafen", wie die Moosbruggers konnten im frühen 19. Jahrhundert soviel Geld anhäufen, dass sie sich unter anderem ein Palais in Mailand leisten konnten.

Die Alm, darauf verweist man stolz in Vorarlberg, hat allen Monopolisierungs-und Industrialisierungsversuchen widerstanden. So auch dem wahnwitzigen Projekt der Nationalsozialisten, eine Milchpipeline errichten zu wollen, um Industriekäse für das deutsche Volk herzustellen. Die harsche Witterung hat den Plan gleich wieder zunichte gemacht, wie überhaupt die Alm gegen menschliche Extreme immun zu sein scheint.

Eine ähnlich beharrlich konservierende Strömung scheint auch das politische Leben des Landes zu prägen, in dem die Landes-ÖVP seit Jahrzehnten regiert. Wer nun meint, die Verbundenheit mit jedem Althergebrachten habe mit dem Käs nichts zu tun, irrt. Landeshauptmann Wallner bekam zu seinem Wahlkampfauftakt von jeder Ortschaft des Bregenzerwaldes einen Käs präsentiert, geradeso als wärs der Zehent für den Grundherrn.

Reinhard Haller hat über den Vorarlberger Diminutiv, die grammatikalische Verkleinerungsform gesprochen (siehe S. 5). Aus Käsperspektive könnte man hinzufügen, dass sich der Diminutiv auch zur psychischen Reduktion von Kalorienlawinen eignet. Er "bizzlet" quasi die Ungeheure Nahrhaftigkeit gewisser Speisen in verdauliche Dimensionen zurück: "Käspätzle" oder "Käsknöpfle".

Mittels des Diminutiv löst sich aber auch das Rätsel um das eingangs erwähnte "Gold", des Sagen-Männleins von der Laguz-Alpe. Es ist vielleicht gar kein Edelmetall, das da gemeint ist. Wenn man die Molke im Kessel über dem Feuer reduziert, siedet man das Milchwasser zu einer goldbraunen Masse - mit himmlischem Geschmack. Das "Gold" des Männleins ist besser noch als Gold: Es handelt sich um feinstes Milchkaramell.

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