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„... im lauwarmen Optimismus gebadet”

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DIEFURCHE: Gibt es tatsächlich so etwas wie eine „Rückkehr des Bösen”? War das Böse jemals verschwunden?

ANDRZE Szczypiorski: Ich glaube, das Böse war immer anwesend, aber die Formen des Bösen waren anders. Wir können heute nicht über dasselbe Böse sprechen, welches ich während des Krieges erlebt habe. Das Böse heute verkörpert sich anders als vor 50 Jahren. Gott sei Dank haben wir die totalitäre Erfahrung schon hinter uns, das Dritte Beich, die Sowjetunion sind schon vorbei, die kommunistische Diktatur in Mittel- und Osteuropa ist vorbei, wir leben alle als freie Menschen in einer Demokratie. Aber trotzdem muß ich sagen, daß ich das Böse in einem ganz anderen Bereich spüre. Und erst heute können wir über die Banalität des Bösen sprechen: Denn wenn sie das Fernsehen anschauen - und das ist eine ganz banale, alltägliche Sache für uns alle -, dann sind sie in einer Welt des Bösen. Die Wirklichkeit der elektronischen Medien ist voll von Gespenstern, Grausamkeit, Blut, Gewalt. Das ist eine Welt der Gespenster, aber ohne Angst, das ist eine Welt des Sterbens, aber ohne wirklichen Tod, das ist auch eine Welt der verschiedenen Götter der Manipulation, aber ohne Gott. Eine ganz flache, ptolemäische Welt, die uns alle tiefer bewegt, als die wirkliche Welt. Unsere wirkliche Welt ist nicht so blutig, nicht so böse wie die Welt der elektronischen Medien, aber wir denken an die Welt der Medien, nicht an die wirkliche Welt. Diese wirkliche Welt bildet nur den Hintergrund fürs Leben, aber die geistige Erfahrung schöpfen wir aus den elektronischen Medien. Das ist eine ganz neue Form der Banalität des Bösen.

DIEFURCHE: In den sechziger und siebziger Jahren hat man nicht vom Bösen als moralischer Kategorie gesprochen, sondern die Wurzeln des Übels in den sozialen, ökonomischen und psychologischen Rahmenbedingungen finden wollen Jetzt hat sich das wieder gewandelt. Wieso?

Szczypiorski: Vor 20 oder 30 Jahren war die Soziologie sehr in Mode, jetzt ist es wieder eher die Philosophie. Das hat natürlich mit den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun. In vielen Ländern Europas blüht heute der Wohlstand, im großen und ganzen gibt es im Westen zur Zeit einen Zustand der Erfüllung der Sehnsüchte. Und in einer solchen Situation steht dann wieder die menschliche Person im Vordergrund - nicht nur als ein Teil des Kollektivs, als ein Mitglied der Gesellschaft, sondern die Person an sich im philosophischen Sinne. Aber die Philosophie allein löst nicht die Probleme der menschlichen Person.

DIEFURCHE: Sie haben einmal gesagt, es gibt nur drei wirklich große und interessante Themen: die Liebe, den Tod und den Teufel spielt der Teufel für eine Rolle?

Szczypiorski: Die Liebe ist die einzige kreative Kraft der menschlichen Person, denn durch die Liebe entsteht das lieben im biologischen und im geistigen Sinn. Der Teufel, das Böse, das ist die Gegenmacht zur Liebe. Liebe ist das Gute, der Teufel symbolisiert, das Böse und auch die Schwäche der menschlichen Person, unsere Schwäche ist teuflisch.

DIEFURCHE: Das Böse und das Gute imstrengen Sinn sind moralische Kategorien, die der jüdisch-christlichen Tradition entstammen Kann man ohne diesen Hintergrund überhaupt vom Bösen oder vom Guten reden? szczypiorski: Natürlich, das Gute und das Böse sind die Begriffe des Christentums oder der jüdisch-christlichen Weltanschauung. Wir wissen, was das Gute oder was das Böse ist, weil wir alle Töchter und Söhne dieser beiden monotheistischen Religionen sind. Ich denke jüdisch und christlich, ob ich will oder nicht, ich bin verurteilt worden, so zu denken. Von daher kann man ohne Religion nicht über die Moral sprechen im Sinne der europäischen Tradition. Eine Moral, ganz von der religiösen Tradition entwurzelt, existiert nicht in Europa.

DIEFURCHE: Aber im Zuge der Aufklärung gab es natürlich genau diese Hoffnung auf eine solche säkulare Moral Und es gab die Hoffnung, mit der Verbesserung der äußeren Umstände würde sich auch das Böse sukzessive eliminieren lassen ... szczypiorski: Ja, das war die größte Illusion der Aufklärung, daß wir dank der unbegrenzten menschlichen Vernunft alles machen könnten. Das bestimmte das ganze 19. Jahrhundert, und das entwickelte sich im 20. Jahrhundert dann bis hin zum mörderischen Dritten Reich oder zur mörderischen Sowjetunion. Das waren auch Ergebnisse der aufklärerischen Illusion. Später wußten wir zwar, unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Aber natürlich sind wir Optimisten, und wir haben im lauwarmen Wasser des europäischen Optimismus gebadet. Doch dann kam Jugoslawien ...

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