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Im Morgenicit

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Von den vier heiligen Elementen ist es, wenn ich annehme, daß jedes menschliche Leben unter dem Zeichen eines derselben'steht, das Feuer nicht, das mir bestimmt ist, denn alle Erinnerungen daran sind nur mehr wie blasse Bilder hinter Glas, und es könnte, wenn meine Natur es mit dem Feuer hielte, zumindest eine von ihnen, jene an den grausigen Brand in meiner Heimat, dem damaligen Dorfe Ferlach nämlich, immer noch das furchtbare Schauspiel sein, das es auch war und für mich doch nicht gewesen zu sein scheint. Es gab damals, in den neunziger Jahren und früher, in Kärnten einige solche wilden Brände, die große Orte einäscherten, noch gehen sagenhafte Gerüchte von Brandstiftern um, die ein und dasselbe Dorf einige Male in Asche legten, so daß man Militär dorthin quartierte, und sogar der Volkswitz hat sich des traurigen Anlasses bemächtigt. Da hätte, erzählt er, ein Bauer mitleidig den andern gefragt: „Bei dir hat es gestern gebrannt?“, und trübsinnig hätte ihm der andere geantwortet: „Nein, erst morgen!“

An diesen Brand zu Ferlach, der an der Schwelle meines ersten Bewußtseins lohte, müßte ich mich eigentlich erinnern können und kann es doch nicht, ich sehe nichts von dem ziegelroten Flammenschein in meiner Erinnerung, kaum dämmert in mir etwas Entschwebendes von der ersten Flucht meines Lebens; denn während alle Glocken schauerlich läuteten und die Leute des Ortes zu den brennenden Häusern liefen, während aus vielen Dörfern der Umgebung die Feuerwehren kamen und auch sonst alles Leben zu dem Brande hinströmte — es soll am Morgen dann in sämtlichen Gasthäusern, deren es nicht wenige gab, zu wenig Platz für die übernächtigen Zaungäste gegeben haben —, entwich ich vierjähriges Kind dem elterlichen Hause, wo man zu dieser kopflosen Stunde auf mich weniger achthaben konnte als sonst, und entfloh auch der roten Brandstätte, die mit ihrem wilden, seltenen Durcheinander eigentlich eine kindliche Neugierde wohl hätte anziehen können; ich irrte in der stockdunklen Nacht, die freilich ein unheimliches Licht von dem Feuer empfangen haben mag, zu einem todeinsamen Gehöfte unter dem Berge hin, wo ich noch niemals, auch nicht gemeinsam mit erwachsenen Menschen, gewesen war. Irgend etwas, dem ich keinen Namen zu geben weiß, hat mich durch die Dunkelheit, die Kinder sonst ja zu fürchten pflegen, geführt und bei fremden Bauersleuten, die sich über den winzigen Gast zu Mitternacht nicht wenig gewundert, vielleicht auch entsetzt haben mögen, auf ein Lager gebettet, von dem eben einer der Familie aufgescheucht worden war, denn dort oben beim Scheiderbauer muß man viele Glocken des Rosentales hören, auch noch das Geläute von Maria-Rain; es war ein schöner Brauch, und vielleicht ist er es auch heute noch, daß man die Glocken zu läuten anhebt, wenn man in der Ferne eines Feuerscheins gewahr wird, es ist etwas von dem Mitgefühl der ländlichen Nachbarn in dem Geläute, die wohl wissen, was ein Feuer im Dachstuhl bedeutet, und die, wenn sie schon nicht helfen können, weil sie zu entfernt wohnen, sich doch mit ihren Glocken melden.

Meine eigene Erinnerung schweigt von jenem gewaltigen Brande und die Begebenheiten um ihn, ich weiß davon nur aus den Berichten anderer, doch es will mir scheinen, als könnte ich doch halbwegs eine Erklärung für jene meine Flucht zum dunklen Berge auf unbekanntem Wege geben. Ich bin später immer, wenn es von mir abhing, zu bleiben oder mich zu entfernen, jeder Feuerstatt, wo es gewaltsam herging, wo Mensch mit Feuer oder Mensch mit Menschen rang, entwichen, mich trieb nie die Begierde, eine Zerstörung mitanzusehen oder gar selbst in einen Brand zu blasen, ich bin eher ein Mensch des stillen Wassers, zu Gewässern hat es mich oft hingezogen, zu Feuern nur dann, wenn man seine stillen Gedanken daran haben konnte, nie um des Brandes willen. Es gibt eine gewisse Art von Feuer, das hat ein sanftes Gehaben von Wasser an sich, schließt man die Augen, dann rauschen seine Flammen leise, wie auch manche ungestümen Wellen über Steinen in einem Bache den Klang von leisem Flammengeprassel haben können.

Und da höre ich denn nun die vielen Hirtenfeuer meiner Jugend knistern, an denen ich hockte, obwohl mir das Hirtenglück nicht zustand, denn ich war nicht in einem Bauernhause daheim; doch ich erkaufte mir die Teilnahme an den kleinen Feuern, in denen die Nachlese von den Erdäpfelfeldern gebraten wurde, mit irgendeinem schönen Nichts, einem färbigen Glas, einem Abfall aus der Büchsenmacherwerkstatt, einem gefundenen Taschenfeitel, einer seltsamen Meermusdiel aus elterlichem Gerumpel, und mit solcher Opfergabe war ich aufgenommen in einen Bund, in dessen Riten der Aberglaube von ehemaligen erwachsenen Hirten nachgeisterte, die ihrem Feuerlein ein wenig Salz zu fressen gaben, wie es nun auch die Hirtenbuben immer noch taten, ohne den wahrscheinlichen Sinn dieser Handlung zu ahnen. Manche unter ihnen ließen, als gehorchten sie einem geheimnisvollen Befehl in ihrem Blute, von einer alten Brandstatt nicht ab, an irgendeinem Waldrand gelegen, und Haselstrauch oder Eichbaum mochten ihre ehrwürdigen Patrone sein; manche legten zu einer gewissen Stunde ein bestimmtes Holz in die Glut, Wacholder oder Sauerdorn, Pfaffenkappel oder Haselnuß, sie kratzten auch ein paar Bröcklein Harz zusammen und warfen sie in die Flammen; ach, ich spüre, während ich mich dieser merkwürdigen Dinge erinnern will, wieviel davon ich vergessen habe und wie mir nur eine gewisse Ahnung von unerhörten Begebnissen verblieb, doch gewiß , ist mir trotzdem, daß diese kleinen, beiläufigen Hirten, denen ich mich als ein früher Liebhaber des ländlichen Lebens zugesellte, die späten Nachfahren von antiken Hirten waren und , ohne es zu wissen, noch immer ein allerletztes Erbe von ihnen bewahrten, verwandelt und verschandelt natürlich, aber doch als unbewußte Hüter des Geheimnisses von Hirten. Ich spähe heute noch, komme ich an so einem Spätherbstfeuer vorüber, nach den verfrorenen Kindern, zu sehen, ob sie noch etwas von jenen verschollenen Bräuchen vollbringen; doch sie sind scheu und würden mir, gäbe es da wirklich noch irgendeinen vermummten Ritus am Hirtenfeuer, wahrscheinlich nichts verraten.

Gewärmt habe ich mich als Kind auch an anderen Feuern und Gluten, ich mußte früh an allen möglichen Werkstätten vorüber, in denen die Büchsenmacher ihre Essen hatten, die Holzkohle kam aus dem Loibltal oder aus Gräben hinter Waidisch, hochgewachsene Köhler brachten sie selber auf ihren schwarzen Fuhrwerken, und sie brachten das stille hintere Gebirge mit sich; sie redeten wenig, sie hatten die schnelle und laute Sprache des Tales bei ihren Meilern verlernt. Einer von ihnen zeigte einem unzufriedenen Meister, wie er seine Holzkohle heizen müßte, und bei dieser Unterweisung war ich zufällig zugegen. Er schichtete die mattglänzenden, schwarzen Brocken übereinander; er tat es so sorgsam, wie Kinder ihre Häuser aus den Stücken ihres Baukastens zusammenstellen, und er trat bald heftig, bald behutsam auf das schmale Brett des Blasbalges, wie ein Orgelspieler auf seine Pedale. Wir sind es gewohnt, m allgemeinen von einem roten Feuer zu reden, diese eine Farbe ist ihm von den Dichtern zugesprochen, sein Wesen ist rot, wie das Wesen der Wiese grün und jenes des Himmels blau ist. Dort an der Esse des Büchsenmachers, dem der Köhler die geheimen Mächte des Kohlenfeuers vorführen wollte und damit gewissermaßen die Talente seiner Holzkohle, sah ich verschiedene Arten von Feuer, nur rot war keines von ihnen. Sie waren blau und lila, grün und violett, es war einmal ein ganz helles, fast silbernes Feuer und dann eines, das man etwa Irrlichtern zuschreiben könnte, und so gewaltig war jene Lehre des dunklen Köhlers an dem Gegenstande selbst, eine Lehre ohne Worte übrigens, daß ich heute noch, nach den vielen, vielen Jahren, das kunstvoll erzeugte Feuer in der Büchsenmacheresse zu sehen meine und den Köhler aus dem Loiblgraben daneben, der mit dem Blasbalg wie auf einem lautlosen Instrumente spielte und, damit in ein kleines Feuer blasend, es durch eine Skala aller möglichen Farben hindurch verwandelte, Farbtöne übrigens, die es, so will mir auch nachträglich scheinen, auf keiner Malerpalette gibt und die auch nicht gemischt werden können, so unirdisch waren sie allesamt.

Wie ich in jenen Essen Holz und Kohle verglühen sah, so sah ich auch glühendes Eisen darin, die Büchsenmacher härteten ihre Läufe und die Bestandteile der Gewehre dann in Wasser oder Ol, ich sah noch das Feuermaul des Hochofens in Waidisch, der ein letzter Überständer von seinesgleichen )n den Gräben der Karawanken war. Es waren drei gemütliche, schnauzbärtige Männer, die man zu seinen Dienern bestellt hatte, sie mochten ihre Gedanken mehr bei ihren Hausgärten, ihren Hühnern und Hasen und den Forellen im Waidischbach gehabt haben, während sie das träge Ungetüm fütterten oder es einigemal am Tage anstachen, sie haben mir Buben an ihrem Hochofen, der dort drinnen in dem waldigen, weltfernen Graben nicht etwa der verrußte Bestandteil einer Industrie war, sondern ein pflanzenumstandenes Stück der panischen Natur, eine Feuerlehre vorgetragen, von der ich leider nichts behalten habe außer der ungewissen Erinnerung, daß sie seltsam und vermutlich unsäglich abergläubisch gewesen ist.

Viel später dann habe ich einen der Hochofenwächter, als er ein kahl-schädeliger, gichtischer Pensionist geworden war, an seinen Zwiebel- und Knoblauchbeeten ein wenig ausgefragt, und da erzählte er mir denn, daß der Teufel einmal zum Hochofen nach Waidisch gekommen wäre und einen Landstreicher beim Genick gehabt hätte, und er hätte ihn unter Kohle und Erz hineingemischt. Er wartete beim Ofen, bis daraus Eisen geworden war, und erzählte dabei, daß so ein Eisen, in das ein lebendiges Wesen miteingeschlossen sei, vor jedem anderen eine große Stärke besäße. Seit damals hätten sie nun nach jedem Anstich irgendein lebendiges Wesen in den Hochofen geworfen, und da es nicht ein Mensch sein konnte, weil sie ja nicht die Macht des Teufels hatten —r genau so ernsthaft begründete es der alte Mann —, warfen sie einmal einen Heuschreck mit dem Erz in den Hochofen, ein andermal einen Käfer oder Schmetterling und im Winter eine Fliege.

Fest rühren darf ich an keine dieser Erinnerungen, sie weichen vor der Hand, die sie einfangen möchte, scheu wieder zurück, ich besitze sie nur in dem Maße, in dem man schöne Träume besitzt, von denen man weiß, daß man sie einmal geträumt hat, die man als ein ganzes Bild wohl fühlt, ohne daß man sie bis in ihre letzte greifbare Einzelheit nacherzählen könnte.

Völlig in jene gestaltlose Dämmerung entschwunden, aber nur noch als ein gehauchtes Echo vorhanden, ist der sommerliche Botengang zu dem Büchsenmacher Melchior unten an der Drau. Es war, da ich mich dort hatte verweilen müssen oder mich wohl auch mit fremden Kindern verspielt hatte, schon Abend, als ich heimkehrte, und da mußte ich auf freiem Felde an einer gemauerten Kapelle vorüber. An ihr bemerkte ich ein rätselhaftes, unwirkliches Licht, das aus dem Blechdach, aus den Spitzen des Eisengitters kam. Heute vermöchte ich es natürlich zu beschreiben, könnte sagen, daß die Strahlung in bläulich silbernen Büscheln geschah, wie sich eben das Sankt-Elms-Feuer äußert. Damals überfiel mich dort an der Kapelle, die überhaupt ein Anlaß zu manchem abergläubischen Berichte war, eine namenlose Angst, und ich erzählte daheim, mein seltenes Erlebnis eifrig übertreibend (wie so manche Lüge eben aus einer Angst entsteht, um derentwillen man nicht mit jeder von ihnen den Leumund eines Menschen belasten sollte), daß ich den lieben Gott selber gesehen hätte; er säße in dem Feldkreuz und hätte es wunderbar beleuchtet — und noch einige solche ausschmückende Lügen mehr, die eigentlich keine Lügen waren. Man hörte mich schweigend an, man schickte mich schweigend ins Bett, man strafte mich mit diesem Schweigen. Und vielleicht hatte damals, weil es ein Kind so haben wollte, wirklich der liebe Gott in der Feldkapelle übernachtet.

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