Im Nebel der Zitate: Umberto Ecos "Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana"

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In seinem neuesten Roman liest sich Umberto Eco in die Vergangenheit - nicht ins Mittelalter, sondern ins faschistische Italien.

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In seinem neuesten Roman liest sich Umberto Eco in die Vergangenheit - nicht ins Mittelalter, sondern ins faschistische Italien.

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Das kann man wohl behaupten, ohne es statistisch belegen zu können: es wird nur wenige Zeitgenossen geben, die ähnlich belesen sind wie Umberto Eco. Und dabei noch ähnlich viel schreiben. Der Semiotikprofessor und Bestsellerautor trat in diesem Herbst am deutschen Buchmarkt nicht nur mit zwei Büchern gleichzeitig in Erscheinung, nein, in seinem neuen Roman "Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana" baut er Büchertürme und Zitatlabyrinthe auf, die ihresgleichen suchen können.

Man wird ihn kaufen, den Roman, weil ja Eco draufsteht. Und außerdem ist das Buch ja wirklich schön. Wird man es aber auch lesen? Das ist die Frage. Denn soviel traut sich die Rezensentin hier auch noch behaupten, ohne es je beweisen zu können: Der jüngste Roman wird nun allerspätestens jene enttäuschen, die schon beim Foucaultschen Pendel am Ende der Lektüre Gefühle wie Enttäuschung oder gar Wut nicht mehr unterdrücken konnten oder die bei Baudolinos Weltreise auf der Strecke geblieben sind. Wird sie dieser Roman heimholen in die Lesefaszination, die "Der Name der Rose" ausgelöst hat? Zumindest in den europäischen Raum, nach Italien, und in das 20. Jahrhundert. Vor allem aber in ein neues Dickicht, das der Weltliteratur ebenso wie des Comics.

Und wie heißen Sie?

Der Leser, der sich gemütlich zurücklehnt, dieses wirklich schöne Buch in Händen, das zu halten sich auch wunderbar anfühlt und das sehr gewichtig wirkt und nett bebildert ist, wird zunächst mit dem Ausgangspunkt einer spannenden Situation konfrontiert. Da ist ein Erzähler, der nicht weiß, wer er ist. "Und wie heißen Sie?" "Warten Sie, ich hab's auf der Zunge." So fangen Romane an! Pythagoras und Euklid, die kennt der Ich-Erzähler, nicht aber seinen Namen. Auch nicht seine Frau. Überhaupt hat er kein autobiografisches Gedächtnis mehr - das ist, warum auch immer, verloren gegangen. Die Bildung allerdings, das Angelesene, an das erinnert er sich. Sein Gedächtnis ist ein papierenes. Anhand von Büchern, Zeitschriften, Covers, Comics kehrt er zu seinem eigenen Leben zurück. Im Haus seines Großvaters, mit dem ihn Kindheitserinnerungen verbinden sollten, wühlt der Ich-Erzähler in Kisten, blättert in Zeitungen und Schulheften, schaut und liest sich seiner eigenen Lebensgeschichte näher und näher. Hunderte Seiten lang.

Lesend auf der Suche

Giambattista Bodoni - wie der berühmte Typograf - heißt der Ich-Erzähler, genannt Yambo, und er ist natürlich Antiquar, versteht etwas von Büchern, weiß, welche wertvoll sind, und kann aus den diversen Papierprodukten Verweise auf Zeitgeschichte lesen. Andere Autoren würden vielleicht ihre Protagonisten in Familienalben blättern lassen, um ihnen so zu helfen, die eigene Geschichte zu rekonstruieren. Nicht so ein Ecoscher Held. Der hat die Bücher. Seine Suche scheint tatsächlich zu gelingen, so findet er in eigenen literarischen Texten seiner Jugend auch einen Bruch. Denn: er selbst hat, seinerzeit perfekt faschistisch indoktriniert, wie er nun entsetzt lesen muss, entsprechende Schulaufsätze geschrieben. Bis sich auf einmal andere Töne finden...

Wer sich eine spannende Kriminalgeschichte à la "Der Name der Rose" erwartet, der wird enttäuscht sein. Und möglicherweise nicht den Atem aufbringen, den es braucht, um durch die vielen archäologischen Schichten des Buches im dritten Drittel auf noch zu entdeckende Geschichten zu stoßen. Nach Hunderten von Seiten Lektüre und vielen Bildern fällt nämlich der Ich-Erzähler ins Koma - und da tut sich dem Leser jene Geschichte auf, die Licht in die Nebeljahre des Krieges bringt.

"Oi Nostoi", so ist dieser dritte Teil benannt, Eco fordert in diesem Kapitel also die altphilologisch Geschulten heraus, die natürlich auf der Stelle an Odysseus denken. Nostoi sind ja Heimfahrten, Rückkehren. Eigentlich verabschiedet sich hier einer vom Leben und sieht in diesem Moment seine Vergangenheit so klar wie noch nie zuvor, kehrt zu ihr zurück. So bruchstückhaft die langwierige Spurensuche anhand von Textbausteinen und Bildmaterial die Seiten zuvor war, so eigenartig chronologisch und spannend erzählt werden nun die Erinnerungen, die angeblich ohne Zutun des Ich-Erzählers, der ja gar nicht mehr bei sich ist, auf diesen einstürzen. Plötzlich wird Ordnung möglich, hat er die Erinnerungen wieder, diese allerdings nicht mehr im Griff. In diesem Abschnitt erweist sich Eco wieder als großartiger Romancier.

Der bunt und aufwändig illustrierte Roman Ecos präsentiert dem Leser die Materialien, von denen gesprochen wird. Sie sind alle aus dem Archiv des Autors, der dem Leser, das ist nicht zu vermeiden, immer irgendwie präsent ist. Hinter dem Text nämlich sieht man Eco sitzen, wie er in seinen Sammelstücken wühlt, sie begutachtet, kommentiert, zur Schau stellt. Sie zu einer italienischen Kulturgeschichte formt, die in den papierenen Zeugen der Vergangenheit nach kollektiver Geschichte, vor allem der dreißiger Jahre, ebenso fragt wie nach dem persönlichen Gedächtnis, nach Gefühlen aus Fleisch und Blut.

Begeistern wird diese kulturell hochwertige Detektivgeschichte einer Suche nach der eigenen Autobiografie jene, die es selbst lieben, in Archiven, Antiquariaten, Bibliotheken, Speichern und Kellern auf Spurensuche zu gehen - nach den Zeitgeistern, die sich in diesen Kulturprodukten offenbaren. Die ein Verständnis haben dafür, wie Alltagsgegenstände zu Zeugen der Geschichte werden.

Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana
Illustrierter Roman von Umberto Eco
Aus d. Italien. v. Burkhart Kroeber
Hanser Verlag, München 2004
504 Seiten, m. Illustr., geb., e 26,70

Ebenfalls vom Autor bei Hanser erschienen ist das schöne "Bilderbuch":
Die Geschichte der Schönheit
Von Umberto Eco. Aus dem Ital. von Friederike Hausmann und Martin Pfeiffer
438 Seiten, mit zahlr. Abb., geb., e 41,10

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