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Im Reidie des Taifuns

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In guter Laune segelten wir durch die Inseln und fuhren in den sogenannten Stillen Ozean ein. Da schlug plötzlich zwischen Camarinas und Samar der Nordostpassat in den Monsun unserer Wogen!

Der Taifun! Es war der prophezeite Zyklon, der von Nagasaki über die ostchinesische See zu den Philippinen sprang.

Wir saßen in den Kabinen tief im Wasser, und die Koffer schwammen von einem Eck zum andern. Durch die Gänge lief ein Mühlbach, vom Heck zum Bug, vom Bug zum Heck. Aber auch von der Seite und überall her, wenn das Schiff nach allen vier Polen aussdilug und gänzlich aus dem Takte kam. Es rollte, stampfte und schlingerte, und die Wogen gingen Schlag auf Schlag über Deck. Das Fahrzeug stieß und stöhnte mit Volldampf, aber brachte es im Tag statt auf 360 Meilen auf kaum zehn. Am 18. Juni 1914 war auf der Distanztafel überhaupt nichts angeschlagen. Das Datum weiß ich aus meinem Tagebuch.

Der Kompaß zersplitterte, die Reling brach, das Fallreep barst, die Treppe lag in Trümmern, und ein Boot schwamm mit dem Kiel nach oben davon. Alles Zelt-und Tuchwerk zerriß, und die Taue klatsdi'en um Rah und Mast. Scheiben klirrten, Scherben flogen, Stühle und Polster schlugen an die Wand, und dort schleppte man einen Bootsmann herein. Er hatte sidi das Bein gebrochen.

Die Sirene brüllt, die Glocke rutt! Eine Tür sdilägt zu, eine andere auf. Ein Bootsmann flucht Seine Pfeife hat Wasser gesoffen und sein Sturmleder ist über Bord!

Hart neben uns eine Dschunke! Verzweifelt kämpfte sie mit dem Elemente. Der Anblick ist entsetzlich, doch die Mannschaft kühn! Die armen Teufel! Gnad' euch Gott!

Windstärke zwölf! Orkan! Kein Segel kann mehr standhalten. — Jesuit, du hast recht!

Und wir? — Alle seekrank, usque ad mortem! Auch der Chirurg, mein Freund, der wackere Schwabe. Ein Stöhnen und Verwünschen, ein Beten und Seufzen geht durch die überheißen, luftdicht verschlossenen Kabinen, und auf den Sturmruf der Klingel kommt kein Steward. Auch er ist krank. Nur fünf Passagiere hielten stand, eine Dame und vier Herren, darunter ich. Einer davon war Marinemaler und direkt aufreizend entzückt über den Hexenspuk. Ich könnte den Namen nennen, aber ich weiß nicht, ob ich es darf. Er war ein sympathischer Mann, hatte eine hübsche, angenehme Frau und malte gute Bilder.

Wir waren hn Taifunsalon, rauchten Taifunzigarren, und die Dame nahm Taifunschokolade aus der blauen Hülle. Alles war auf Tatfun eingestellt. Auch unsere Toilette. Unrasiert und im Pyjama. Ja, es wurde gar nicht einmal gekodit. Alles war krank und tot, wie in einem verzauberten Schlosse. Man dadite*':an sein Testament, nur nicht an lukullisdie Genüsse. Nur kalte Getränke, Früchte und belegte Brote trug, ein torkelnder Steward herein, bleich wie der Tod, ohne' Kragen und goldene Knöpfe, um nach kaum gehauchtem Gruß wieder, an den Wänden sich stützend, in die Koje zu pendein.

Draußen sprangen Aeolus weiße Rosse wie zum Weltgericht. Wir fünf aber fühlten uns auf der Schaukel wohl. Wix kamen uns auch, wie immer in großen Momenten, seelisch nahe, wurden zu Kindern und liebten uns wie Brüder Da gab es, wie vor dem Tode, kein Ansehen der Person,keinen Unterschied, keine Auszeichnung, keine Distinktion, keinen Titel, nichts! Und unter dem segensreichen Einfluß dieser Gleichheit hatten wir keine Scheu, die umgestürzten Sessel zwischen die Beine zu nehmen und darauf über die Teppiche zu fahren, bald hin und bald her, wie uns eben die arme „Koblenz“ die schiefen Ebenen bot.

Jetzt kommt der Schiffsingenieur. Wie oft erzählte er mir von seiner Frau, die er schon seit zwei Jahren nicht gesehen! Heute hat er nur die Masdiine im Kopf. Auch der Kapitän kommt auf eine Minute. Er schimpft, daß wir keine „Funkerei“ an Bord haben. Wir hätten auf Warnung einen besseren Kurs eingeschlagen! Ein Schluck Boonekamp! „Gott 6ei Dank, daß die Klippen hinter uns sind!“ und schon ist er wieder oben auf dem Posten seiner Pflicht. —

Der Ozean! Ha! Das ist Macht, das ist Ewigkeit, Schönheit und Leben! Wie die Wogen rasen, breit und mächtig, und voll Kraft an die Planken des Schiffes schlagen! Bald sind wir auf einem Berg und schauen ins Tal, dann wieder im Tal und schauen die Wasser in chaotischer Wucht zum Himmel steigen! Wie das Schiff sich bäumt, der Kiel sich hebt und keuchend niederstürzt! Die Woge ist fort, das Schiff vom Nacken geschüttelt, und der Kiel sticht ins Wasserl

Wie sie heult und tobt, die flutende Weltl Wie der Gischt in Fetzen durch die Lüfte jagt! — Wer ist's, der hier in den Wogen wühlt und mit seinen Fingern spielend an den Elementen rüttelt? Wer hebt hier die Eimer, treibt die Mühlen und wälzt die Meere? Wir wissen, wer Neptuns Dreizack führt und durch Tritons gigantische Muscheln ruft! Wir kennen den Geist, der über dem Wasser schwebt! Gott, der hier Meer und Ozean in die Kesseln des Weltalls schüttet und dort die Träne an des Kindes Aug, an der Rebe Schnitt und als Maitau an die Rose hängt! —

Das ist das wirkliche, wahre Meer!

Hier lebt eine Welt von Trillionen und Trillionen Individuen und Organismen, vom Wal bis zum kleinsten Infusör, und der Sturm, der uns Menschen erschreckt,ist für diese Welt nur Scherz und Spiel. Durch ihre Gründe rauschen die Wasser von Pol zu Pol und pulst in ungeheuren Kammern und Arterien der Herzschlag der Planeten. Auf ihren Bahnen und Straßen gehen die VVanderzüge der Seesäuger, Fisdie und Medusen. In ihren kristallenen Räumen bauen himalajahoch die Korallen ihre Burgen und dehnen sich die Musdielwüsten, an deren Rand der Mensch nach Perlen sucht'

Hier rauscht der Urstoff aller Dinge, '.atmet in Ebbe und Flut die Mutter aller Wesen, und in ihrem blauen Auge strahlt der Himmel wider. Ohne Wasser, das vom Meere kommt und zum Meere geht, kein Leben! Sanft und still liegt die Natur auf den blauen Kissen, reicht beglückt ihre Brust, und Friede und Anmut umstrahlt, wie bei Mutter und Kind, die heilige Pflicht!

Und der Seemann? — Man nennt ihn fromm. Sein Glaube ist kindlich ungehemmte Bewunderung von Gottes All-madit und Schönheit, seine Hoffnung der Blick auf den Sternenthron!

Wie oft hörte ich die Mannschaft singen:

Auf dem Meer bin ich geboren,

Aut dem Meere ward ich groß.

Zu dem Meer hab ich geschworen,

Es als Braut mit auserkoren.

Ja, das Meer, es ist mein Loos,

Bis ich ruh In seinem Schoß!

(Bridu der Mastbaum kühn zusammen,

Sag ich leis dem Schöpfer: Amen,

Bück hinunter in den Schlund, 'Hg„

Fahre mit dem Schiff zugrundl) “i

Man muß das Lied auf dem Meere hören, wenn die Mannschaft abends auf Tauen, Rahen und Ankerketten um den Schiffsbug sitzt und das Lied in die Sterne singt. Und die kraftvoll schöne Melodie! Wie packt sie die Seele und durchschauert den Körperl Ich weiß nicht, ist es Freud oder Leid, was in meinen innersten Kammern mich erbeben läßt! — Man muß aber auch die Leute sehen, die harten, verwitterten Gestalten mit dem Blick in die Ferne, die Männer, wie sie der Sturm formt, Opfer und Entbehrung zeichnet, rauh in Red' und Geste und doch wieder Kinder bis in den letzten Winkel der Seele, wenn man nur den Anschlag auf deren Tasten weiß!

Geh aufs Meer, aufs wahre Meer, wo die Taifune toben, und auch du wirst fromm und gläubig! Dort stört dich kein Brief,' keine Zeitung, kein Telegramm und Telephon, nichts von all deml Die Ufer sind himmelweit weg! Und Gott weiß, ob. du ankommst!

Der Taifun ist der beste Herold und Rufer zu Gott. Da geht der große Vorhang zu seiner“ Schöpfung und seinen Wahrheiten auf! Wir horchen auf das Spiel der Wogen, sehen sie über die Bühne des Weltalls rauschen und beugen unser Knie vor Gott! —

Nach drei Tagen war der Zyklon, den wir freilich nur an einem Rande gestreift, vorüber, und wir fahren in einen Morgen ein, wie in nur in seiner Pracht die Süv'.see kennt.

Aus: „Mein Wcj durch die Völker“, Inn-Verlag, Innsbruck

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