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Im Salon und im Kloster

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Die Wiener Volksoper hat mit Beginn dieser Spielzeit einen neuen Direktor erhalten. Zu seinen Gunsten wollen wir annehmen, daß der letzte Premierenabend noch nicht auf seine Initiative zurückgeht, sondern — gewissermaßen — noch ein alter Schuß im Rohr ist. Denn beide Einakter, die da ausgegraben wurden, lohnen kaum die investierte Arbeit und schon gar nicht die Unkosten. An beide knüpfen sich lokale Reminiszenzen, und da sie wohl das Beste an dem Ganzen sind, wollen wir uns an sie halten.

Erich Wplfgang Korngold, Sohn des bekannten Kritikers der „Presse“, schrieb die heitere Oper „Der Ring des Polykra-tes“ anno 1913 mit 16 Jahren. Ein Ballett, „Der Schneemann“, war als op. 1 vorausgegangen und von Felix von Wein-gartner 1910 an der Wiener Hofoper aufgeführt worden — und Hanslick, der Unfehlbare, begrüßte einen „neuen Mozart“. Das primitive Libretto zum „Ring des Polykrates“ stammt von einem gewissen Teweles, hinter dem man den Vater des Komponisten vermutet hat. pie Parabel der banalen, natürlich gut ausgehenden Eifersuchtsgeschichte ist der bekannten Schlllerschen Ballade entnommen. (Wir haben sie anläßlich einer konzertanten Aufführung durch den Österreichischen Rundfunk hu Frühjahr des vergangenen Jahres wiedergegeben.)

— Die beiden Paare, um die es geht, sind der Herr Hofkapellmeister und seine Frau Laura sowie der Paukist und Notenkopist Döblinger mit seinem Lieschen. Handlung und Niveau erinnern an Richard Strauens autobiographisches „Intermezzo“. Nach Strauss — vor allem — klingt auch die Musik: das klangschwelgerische Orchester und die kantablen Solopartien. Das alles war damals neu, hat für uns aber nur noch das Interesse einer erstaunlichen i Frühbegabung, und wüßte man nicht, daß diese Partitur von einem Sechzehnjährigen geschrieben wurde, so möchte man von „routiniert“ sprechen.

Welcher Protektion sich freilicli dieses Werkchen, das heißt sein Autor, erfreute, geht daraus hervor, daß so prominente Sänger der damaligen Hofoper, wie Selma Kurz, Alfred Piccaver und Georg Maikl, später Lotte Lehmann, Elisabeth Schumann und Berta Kiurina, dafür bemüht wurden. — Die Darsteller der fünf Solopartien in. der Volksoper waren Mimi Coertse, Anny Felbermayer, Kurt Ruesche und Ferry Gruber sowie Günther Adam als Peter Vogel, der als Versucher das Liebesglück der beiden jungen Paare zu stören versucht. — Die Verlegung des 1797 in einer kleinen sächsischen Residenz spielenden Originals in die Mitte des 19. Jahrhunderts war zwar ein wenig anachronistisch, aber durchaus zu rechtfertigen. Doch wäre das Ganze wohl nur durch eine stark parodierende Inszenierung zü retten gewesen. Das versuchten — andeutungsweise — Otto Stich als Bühnenbildner und Alice Maria Schlesinger als Kostümzeichnerin, aber Hermann Lanske, der Regisseur, konnte sich dazu nicht entschließen. Das Orchester unter Franz Bauer-Theußl blieb der kunstvollen und gutklingenden Partitur nichts schuldig. *

Aus dem Salon des sächsischen Hofkapellmeisters in ein italienisches Kloster im 17. Jahrhundert... In dieses hat man eine junge Adelige verwiesen, um eine Jugendsünde zu büßen. Der von harmlosen Vergnügungen der Nonnen belebte Frieden wird durch den Besuch der bösen Muhme von Schwester Angelica gestört, der strengen Fürstin, die von Angelica den Verzicht auf ihr Erbteil verlangt und der Bedauernswerten den Tod ihres geliebten Kindes mitteilt. Worauf sich Schwester Angelica mit einem aus giftigen Kräutern bereiteten Trank tötet — von der Madonna aber Vergebung und ihr Kind erhält. So jedehfalls glaubt es die Sterbende zu sehen.

Giovacchino Forzano hat's gedichtet und Puccini es vertont. Ohne Arg, gefühlvoll und pietätvoll, sicher im festen Glauben, die Musik und die Bühne um ein neues religiöses Kunstwerk bereichert zu haben. — Bedenkt man die hochfliegenden Pläne des Komponisten nach 1910, als er mit Maurice Maeterlinck, d'Annunzio und Tristan Bernard in Verbindung trat, um zu einem neuen Libretto zu kommen, daß er den Plan zu einem Triptychon nach Dante (Hölle, Paradies, Fegefeuer) erwog, so erscheint das Resultat bescheiden. Von den drei Einaktern, die Puccini vor „Turandot'*' schrieb, ist „Schwester Angelica“ der schwächste, obwohl er durch die Eigenart der Besetzung (nur Frauenstimmen und Knabenchor), die Verwendung von Orgel und Klavier sowie die kirchen-tonalen Wendungen eine von seinen früheren Partituren nicht unwesentlich abweichende geschrieben hat. Dazu kommen persönliche Reminiszenzen, die an der guten Absicht des Komponisten keinen Zweifel gestatten: Erinnerungen an seine Jugendtage als Kirchenorganist von Lucca sowie der Bezug auf seine Schwester Ramilda, die als Nonne im Kloster Vicopelago bei Lucca lebte (der er übrigens seine neue Oper, am Klavier begleitend, vorsingen durfte...).

Puccini, der immer wieder gern nach Wien kam, da hier seine Lieblingssängerin Maria Jeritza residierte, hatte die deutschsprachige Erstaufführung seines Triptychons der Wiener Staatsoper anvertraut, wo Lotte Lehmann 1920 die Titelpartie sang. Eine ungewöhnlich schwere Rolle übrigens, deren Anforderungen Christiane Sorell als Darstellerin und Sängerin durchaus gerecht wurde. In der Rolle ihrer Gegenspielerin, der unerbittlich-strengen Fürstin, konnte man wieder einmal die Persönlichkeit, Gestaltungskraft und ' Stimmkultur Elisabeth Höngens bewundern. — Der Regisseur hatte keine leichte Aufgabe. Und der Klosterhof... An die schönen italienischen und südfranzösischen Kreuzgänge durfte man jedenfalls nicht den-l ken. Das Schlußbild aber, mit der Madonna und dem Kind der Schwester Angelica, war naturalistischer Kitsch. Argeo Quadri am Pult hat die Besonderheit dieser Partitur seines Landsmannes fein erfaßt und gut wiedergegeben.

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