Im Sog jüdischer Geschichte(n)

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"Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verurteilt, sie zu wiederholen." Dieses bekannte Zitat des spanisch-amerikanischen Philosophen George Santayana stellt Mirjam Pressler ihrem Jugendroman voran. Wer von der Vergangenheit für Jugendliche erzählt, verknüpft dabei oft die Zeitebenen von Vergangenheit und Gegenwart über konkrete Gegenstände: Jemand findet auf dem Dachboden ein altes Tagebuch, Briefe oder Ähnliches.

Erfrischenderweise wird hier auf dieses oft knapp am Klischee vorbei schrammende Moment verzichtet und eine ungewöhnliche Verbindung gewählt: Laura, die jugendliche Ich-Erzählerin, zeichnet gerne. Als sie sich zunehmend für den mittelalterlichen jüdischen Schatz von Erfurt interessiert, mit dem sich ihre Mutter beruflich beschäftigt, beschließt sie, darüber eine "Graphic Novel" zu zeichnen. Rachel, die Ich-Erzählerin aus der weit zurückliegenden Zeit, ist also jene Figur aus ihrem eigenen Werk, der Laura sich durch das Zeichnen zu nähern versucht - eine spannende Wechselbeziehung.

Um etwas über das Judentum zu erfahren, bittet sie den einzigen Menschen um Hilfe, von dem sie weiß, dass er Jude ist: Alexej Tschernowitzer, ein stiller Schulkollege. Je näher sich die beiden kommen, umso mehr stellt Laura fest, wie schwierig das Leben für jüdische Menschen in Deutschland ist -und wie unvermeidbar die Fettnäpfchen, die sich manchmal anfühlen wie Fallstricke. Umfassend recherchiert und mit vielen Details aus dem Alltagsleben der Menschen im Mittelalter stellt die Autorin zwei junge Mädchen ins Zentrum ihres Romans, die mit sehr unterschiedlichen Problemen ringen: Geht es für Laura vielfach um das schwierige Verhältnis zu ihrer alleinerziehenden Mutter und ihre eigene jugendliche Selbstfindung, steht für Rachel, nachdem "den Juden" die Schuld für die sich ausbreitende Pestepidemie zugeschrieben wird, von einem Moment auf den anderen nichts weniger als das nackte Überleben auf dem Spiel.

Während die konkreten gewalttätigen Auswirkungen des Antisemitismus durchaus drastisch geschildert werden, gönnt die Autorin ihrer historischen Figur zumindest ein versöhnliches Ende, um dann in einer Nachbemerkung einige weiterführende Informationen zu liefern. Das Leben als jüdisches Mädchen, die Beschäftigung mit der Geschichte, familiäre Verstrickungen -in ihrem letzten Roman, der nach ihrem Tod im Jänner nun posthum erscheint, hat Mirjam Pressler einige wesentliche Themen ihres Schreibens und Lesens noch einmal höchst lesenswert in einem Roman aufgegriffen.

Buchtipp von FURCHE, Stube und Institut für Jugendliteratur

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