6592981-1952_38_10.jpg
Digital In Arbeit

IM STREIFLICHT

Werbung
Werbung
Werbung

DEN zahlreichen Kritiken, Rühmungen und Referaten über die von einem Negerensemble in der Volksoper gesungene Gershwin-Oper „Porgy und Bess" sind noch einige Bemerkungen anzuschließen: erstens sollen die Teilnehmer im nachhinein für die Pünktlichkeit bedankt sein, mit der sie die Oper und ihre Akte beginnen und enden ließen. Zweitens sei freundlich des umfangreichen und — billigen Programms gedacht und drittens der liebenswürdig-unbeholfenen Reverenz, die der Hauptdarsteller am Schluß der Aufführungen dem enthusiastisch applaudie- rendenden Publikum zu erweisen pflegte. Derlei Kleinigkeiten entspringen einer Höflichkeit dem Zuschauer gegenüber, die bei Nichtgastspielen in Wien nicht immer zu finden ist.

Is! Klein-Wetzdorf, etwa eine Autobusstunde von Wien entfernt, steht ein sehr hübsches Barockschlößchen — etwa aus der Mitte des 18. Jahrhundert — das dem, nun man kann schon sagen: Ruin sehr nahe ist. Außerdem erhebt sich in Klein-Wetzdorf jener monströse „Heldenberg", auf dem Radetzky und Wimpffen begraben sind, umgeben von einer Unzahl gußeisener Büsten verdienter Offiziere aus den Feldzügen 1848 49. Dieser „Heldenberg" wird derzeit samt seiner Anlage gründlich restauriert. Dagegen ist nichts einzuwenden, gewiß nicht — in all seiner grandiosen Geschmacklosigkeit ist doch dieses überdimensionierte Denkmal auch eine Art von Kulturgut, auch so etwas wie ein Zeugnis für das 19. Jahrhundert uhd seine Geistigkeit. Aber könnte man nicht auf diese oder jene Weise nicht eine Kleinigkeit der

für den „Heldenberg" ausgeworfenen Restau- rat'ionsgelder „abzwejgen", um das nicht aus' Gußeisen bestehende und daher gefähr- dertere Schlößchen in Klein-Wetzdorf vor dem Verfall zu retten?

SCHLICHT und einfach, wie es stets seine

Art war, hat Günther Ramin seine Ämter als Leiter des Leipziger Gewandhauschores und als Dirigent des kirchenmusikalischen Instituts der Hochschule für Musik niedergelegt, als man ihn aufforderte, die Kantate „Das Lied der Wälder“ von Schosta- kowitsch zu dirigieren. Er will sich künftig auf das Amt des Thomaskantors beschränken — falls es ihm vergönnt bleibt, den weltberühmten Knabenchor der Thomanerschule weiter in jenem humanistisch - christlichen Geist zu leiten, der ein Vermächtnis des großen Thomaskantors Johann Sebastian Bach ist. Es war keine politische Demonstration, daß Günther Ramin es ablehnte, die Stalin- Hymne zu dirigieren; es wäre eine politische Demonstration gewesen, wenn er sich nicht geweigert hätte, dies zu tun.

CIN Streiflicht warf kürzlich einen Strahl auf das wenig festliche Grau der saloppen Kleidung eines Teiles der Salzburger Festspielbesucher. Gerechtigkeit gebietet, wenigstens post festum festzustellen, daß die Festspielleitung daran unschuldig ist; sie hatte höflich, aber bestimmt auf Programm und Eintrittskarten die Gäste auf das Festliche des Spieles ausdrücklich aufmerksam gemacht, aber dafür leider nicht ausnahmslos Verständnis gefunden.

kommen, geschweige denn, unter die Schüler zu treten. Wenn in etwa drei höheren Klassen Wiens sich wirklich eine zwischen 16 und 20 liegende Schülerzahl vorfindet, so hat diese ihren Grund in der Verschiedenheit der Schultypen (G, Rg, MRg, Fos usw.) oder ist durch räumliche Schwierigkeiten erzwungen. Bildet die räumliche Unzulänglichkeit vieler Anstalten schon einen wesentlichen Nachteil für Disziplin und Gesundheit, so darf auch nicht vergessen werden, daß ein gedeihlicher Unterricht unter solchen Umständen stark in Frage gestellt wird. Wenn ein namhafter Pädagoge in den letzten Tagen in einer Aussprache erklärte, daß, ähnlich wie beim Spitalsarzt, dessen medizinischer und klinischer Erfolg wesentlich von der Anzahl der zu betreuenden Betten in einem Krankensaal abhängt, der erziehliche und unterrichtliche Ertrag der Arbeit des Lehrers im wesentlichen bedingt sei auch durch die Stärke der Schülerzahl einer Klasse, so mag dies hier mit besonderer Betonung festgestellt werden. Wie soll ein Lehrer jene fruchtbare Atmosphäre hervorzaubern, die die Schüler für das Große, Schöne und Nützliche seines Gegenstandes empfänglich macht, wenn zunächst überhaupt die äußeren Bedingungen fehlen? Und hat nicht jeder Lehrer in jeder Klasse der Mittelschule die Aufgabe, nicht nur zu lehren, sondern in engster Zusammenarbeit mit den Schülern den Dingen auf den Grund zu gehen, wirkliche Schularbeit im vernünftigen Arbeitsunterricht zu leisten und sich so wie der Arzt mit jedem einzelnen Schüler auseinanderzusetzen? Vergessen wir doch nicht, daß derzeit infolge der sozialen Umwälzung ein großer Teil der Lern- und Erziehungsarbeit in die Schule verlegt werden müßte; daß die Kinder, als Waisen oder aus zerstörten Ehen kommend oder infolge der Doppelbeschäftigung ihrer Eltern nicht mehr wie früher Vater und Mutter als Helfer und besorgte Betreuer zu Hause haben, ja nicht einmal in durch die Wohnungsnot beengtem Raum Gelegenheit zu häuslicher Arbeit finden. Der Lehrer von heute soll und muß aber mehr denn je erzieherisch auf seine Schüler wirken können, und dies gelingt ihm nur dann, wenn er bei einer kleineren Klassenschülerzahl stärker mit dem einzelnen Schüler sich zu befassen die Möglichkeit hat.

Man vergleiche ja nicht die Aufgabe eines Lehrers von ehedem mit der eines Lehrers von heute gerade hinsichtlich der Erziehung. Hier ist eine ganz bedeutende und ja nicht übersehbare Änderung eingetreten. Hatten früher die funktionalen Erziehungsfaktoren wie Elternhaus und

Schule ihre unbestrittene Geltung, so sind nunmehr neben die ungemein erschütterten funktionalen Erzieher übermächtige intentionale Erziehungsfaktoren wie Straße, Radio, Film, Presse und nicht zuletzt die durch die Besatzung hervorgerufenen Erschütterungen getreten, die die Tätigkeit des Lehrers wesentlich erschweren, ja eine totale Umstellung in der Erziehung überhaupt zur Folge haben mußten. Wie weit nun die Bemühungen des Lehrers als Erzieher Erfolg haben können, hängt insbesondere in der Oberstufe von der Größe und Struktur einer Klasse ab, für deren Zusammensetzung man die Verantwortung aber wieder nur den Lehrern überlassen sollte. Hier ist „Sparen" durch Zusammenlegungen von Klassen falsch am Platze, weil es um unser kostbarstes Gut, um die Jugend, geht, deren Anspruch auf die gerade in den letzten Tagen so stark betonte Würde von den Verantwortlichen nicht übersehen werden sollte.

Andererseits geht gerade aus dem Vorhergehenden auch die starke Inanspruchnahme der Lehrer hervor. Ein großer Teil von diesen ist nicht ohne Schaden durch die Zeit von 1938 bis 1945 hindurchgegangen. Ungezählte haben durch Entlassung und Haft dauernden Schaden an der Gesundheit genommen, ein großer Teil ist aus dem Krieg und langer Gefangenschaft mit Invalidität zurückgekehrt, ein Teil hat erst nach einer durchl die Folgen des NS-Gesetzes bedingten Warte- und Bewährungszeit auf

dem Umweg über einen anderen Beruf wieder zum Lehrerstand zurückfinden können: Sie alle tragen die Merkmale ihrer Leiden an sich, und nur ganz, ganz wenige sind es, die .sich getrauen, auf Grund eines amtsärztlichen Zeugnisses um eine mit Rücksicht auf die Besonderheit des Berufes in der Lehrerdienst-: Pragmatik vorgesehene sogenannte „Lehrpflichtermäßigung" anzusuchen. In einer ganzen Reihe nachweisbarer Fälle ist dies knapp vor dem bald darauf erfolgten Ableben geschehen, in einigen Fällen mußten Lehrer im Hinblick auf die Erhaltung der Gesundheit und aus pädagogischen Gründen von ihren Vorgesetzten direkt darauf verwiesen werden. Schon daraus geht hervor, wie strenge von Seiten der Unterrichtsverwaltung bei der Genehmigung Von Lehrpflichtermäßigungen vorgegangen wird.

Der Erwägung, die notwendige Zahl der für die Führung des Unterrichts erforderlichen, jederzeit kündbaren und dadurch den Staat dienstrechtlich in keiner Weise belastenden Vertragslehrer durch Mehrstundenleistungen zu ersetzen, entspricht weder ein finanzieller noch ein pädagogischer Gewinn. Rein rechnungsmäßig stellt sich die Bezahlung der Mehrdienstleistungen an pragmati- sierte Lehrer wesentlich höher als die Bezahlung von Vertragslehrern; dabei muß bedacht werden, daß der Steuerertrag bei Mehrstundenleistungen über- haupt in Frage gestellt ist, da bis zu einer Höhe von 260 Schilling die Mehrleistungen vom Steuerabzug befreit sind, während jeder Vertragslehrer bei annähernd voller Beschäftigung sofort lohnsteuerpflichtig wird; nicht zu vergessen ist, daß ein Teil dieser seit Jahren auf die nunmehr zur Verfügung stehenden Posten wartet, dem erwählten Beruf zugeführt, aus der Masse der Unzufriedenen herausgehoben und vielfach auch eine unproduktive Arbeitslosenunterstützung eingestellt wird. Ohne die opfervolle Hingabe pragmatisierter Lehrer bei Mehrstundenleistungen, die bei Vollbeschäftigung doch auch eine namhafte Belastung darstellen, auch nur in Zweifel zu ziehen, darf nicht übersehen werden, mit welch ungeheurem Eifer und Ehrgeiz gerade ein junger Lehrer im Hinblick auf die ihm gestellte Bewährungsmöglichkeit das geringere Ausmaß an Erfahrung wettzumachen bemüht ist.

Die Beanspruchung eines Lehrers, in welcher Schulsparte er immer tätig ist, ist aber eine solche besonderer Art und kann ohne Überheblichkeit am besten mit der eines ernsten Schauspielers verglichen werden. Der Lehrer steht vom ersten Augenblick seiner Tätigkeit auf der Bühne — Gott sei Dank — vor sehr

kritischen Zuhörern, denen er aber nicht Unterhaltung, sondern Lehre, Wissen Und Erziehung zu bieten hat; vor jungen Menschen, die aber nicht immer entzückt nur Beifall klatschen, sondern — wie kann es bei der Jugend anders sein — ein oder das andere Mal darauf ausgehen, Fehler und Schwächen am Lehrer zu entdecken, wo sie doch von ihm lernen sollten. Und wenn es nun diesem leider nur zu oft gelästerten und angeblich so wenig beschäftigten Lehrer gelingt, die jungen Menschen mit Wissen zu erfüllen und darüber hinaus noch zu ganzen Menschen zu machen, dann nur deshalb, weil eben — von wenigen Ausnahmen abgesehen — jeder vqn diesen Lehrern vom ersten Augenblick, da er für eine Unterrichtsstunde die Klasse betritt, mit jeder Faser seines Herzens seiner Lehr- und Erziehungsaufgabe nachkommt und dann nach „nur" drei bis vier Stunden erschöpft ins Konferenzzimmer zurückkehrt, wo noch Eltern auf Auskunft warten und Schüler oft noch Rat erbitten. Steht dieser Lehrer nicht mit all seinem Nervenaufwand vor seinen Schülern auf der Bühne, dann spielen diese — ob es nur 14- bis 15jährige oder 16- bis 19jährige sind — „Theater". Und wenn von solchen Fällen einmal gesprochen wird, dann eben nur deshalb, weil sie als Einzelfälle auffallen.

Jedem Vernünftigen und jedem Menschen guten Willens wird, besonders wenn er selbst eine größere Kinderzahl sein eigen nennt oder wenn er jemals

mit Jugendlichen zu tun hatte, klar sein, wieso nun der Mittelschullehrer beziehungsweise die Lehrer überhaupt mit ihrer „Lehrverpflichtung" anders bemessen werden müssen als andere Beamte. Kommt noch die vielbesprochene Freizeit! Hat man sich beim Schauspieler, der eventuell an jedem zweiten Abend auftritt, schon einmal gefragt, was er mit seiner Freizeit anfängt, beziehungsweise wie er zu seiner hohen Kunst kommt? Muß nicht auch der Lehrer neben den vielen Korrekturen, neben Ordinariat, Kustodiat, Sprechstunden, Elternverein, Schulgemeinde, Arbeitsgemeinschaften sich täglich seine vollgemessene Zeit gewissenhaft vorbereiten? Vorbereiten auch auf die möglichen Einwände, Fragen und Zweifel der Schüler? Muß er sich bei der Vorbereitung nicht immer wieder auf den sich stetig ändernden jeweiligen wissenschaftlichen Fortschritt besinnen?

In einer Wiener Schule, deren Lehrerinnen infolge eines durch Überfüllung der Schule bedingten Vor- und Nachmittagsunterrichts seit sieben Jahren noch niemals einen freien Nachmittag hatten, steht auf einer Wand der schöne

Spruch: „Erziehung ist die tiefste aller Wissenschaften und die schwierigste aller Künste." Ein wahres Wort! Man begehe ja nicht das Unrecht, diesen wahrhaftig stillen und wenig umjubelten Künstlern des Alltags zu ihrem kargen und an anderen Künstlern gewiß nicht zu messenden Lohn auch noch eine Erhöhung ihrer sogenannten Lehrverpflichtung zuzumuten. Österreichs Kultur steht und fällt mit der Qualität seiner Schule, die auf den Schultern einer jederzeit opferfreudigen, oftmals aber leider zu wenig bedankten Lehrerschaft ruht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung