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Im Strom der Zeit

19451960198020002020

VERPFLICHTUNG UND LIEBE, Von Reinhold Schneider. Literarische Essays. Herder, Freiburg I. Br., 1964. Lw., 256 Selten. — IM STROM DER ZEIT. Hans Zbinden. Gedanken und Betrachtungen. Franoke, Bern., 1964. Lw., 312 Seiten, 19.50 sFr. — SCHWEIZER LITERATUR IN EUROPÄISCHER SICHT. Hans Zbinden. Artemis, Zürich, 1964. 34 Seiten, brosch., 3.20 sFr. — WIDERKLAN G. Richard Benz. Vom Geiste großer Dich- tung und Musik. Dlederlchs, Düsseldorf/K öln, 1964. Pappband, 200 Selten, 14.80 DM.

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VERPFLICHTUNG UND LIEBE, Von Reinhold Schneider. Literarische Essays. Herder, Freiburg I. Br., 1964. Lw., 256 Selten. — IM STROM DER ZEIT. Hans Zbinden. Gedanken und Betrachtungen. Franoke, Bern., 1964. Lw., 312 Seiten, 19.50 sFr. — SCHWEIZER LITERATUR IN EUROPÄISCHER SICHT. Hans Zbinden. Artemis, Zürich, 1964. 34 Seiten, brosch., 3.20 sFr. — WIDERKLAN G. Richard Benz. Vom Geiste großer Dich- tung und Musik. Dlederlchs, Düsseldorf/K öln, 1964. Pappband, 200 Selten, 14.80 DM.

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Nach dem Band „Begegnung und Bekenntnis“ wurde als weitere Sammlung der literarischen Essays, Aufsätze und Rezensionen Reinhold Schneiders der Sammelband „Verpflichtung und Liebe“ von Curt Winterhalter herausgegeben und damit das literarische Weltbild des so früh Verstorbenen abgerundet. Schon in den jeweils doppelpoligen Titeln der Werke „Gestalt und Seele“, „Macht und Gnade“, „Dämonie und Verklärung“ zeigt sich der elliptische Charakter im Denken Reinhold Schneiders. Neigt man dazu, diese geometrische Figur als symbolisch anzusehen, lassen sich die beiden Brennpunkte — ins allgemein Menschliche gehoben — bei Schneider mit erfassender Liebe und kritischem Geist bezeichnen, Einfühlung und Kraft des Nachspürens einerseits, Sinndeutung und Hinweis auf die verpflichtenden Werte anderseits. Das „und“ zeigt die positive Beziehung an, die Schneider aus allen Begegnungen mit Menschen und Werken gewinnt. Diesmal reicht der sichtende Blick Schneiders von der Antike bis ins 19. Jahrhundert. Von zentraler Bedeutung in der geistigen Welt des Autors sind Shakespeare, Pascal und Schopenhauer — ihnen gelten auch die größten Essays in diesem Buch, ihnen ist er verwandt und verbunden. Wenn die Beiträge dieser Sammlung jeweils einer großen Gestalt in der Geschichte des abendländischen Geistes gewidmet sind — sei es Augustinus oder Dante, Erasmus oder Calderon, Angelus Sile- sius, Hölderlin oder Eichendorff —, erreicht er gerade aus der Brüderlichkeit zu ihnen die tiefste Einsicht: sie alle öffnen ihm einen Blick ins eigene Wesen. Von Pascal sagt er, er könne nicht beim Zweifel stehen bleiben. Und Antwort kann nur ein Leben sein — „echtes Dasein zwischen Nichts und Unendlichkeit“. Wie lang reicht solch ein echtes Dasein? In dem abschließenden Beitrag des Buches, in dem 1957 gehaltenen Vortrag „Europa und die Seele Portugals“, der ausklingt in der Forderung „Europa über Europa hinaus“, formuliert Schneider ein Jahr vor seinem Tode klar ein erschütterndes Selbstbekenntnis: „Wir leben nur so lange, wie wir mehr wollen, als wir sind und erreichen." In dem bisher nicht veröffentlichten Vorwort zu einer Anthologie von Ohristus-Gedichten glaubt der Herausgeber der Sammlung einen überraschenden Hinweis auf Reinhold Schneiders Schicksal zu sehen: „Es gibt ein Gloria, das unseren irdischen Ohren wie eine rettungslos tragische Melodie, eine Klage ohne Hoffnung tönt, und es ist doch ein Gloria, weil seine Klänge beben von der Macht des Königs. So wird mancher Gesang, manches Leben, die untergingen in der Nacht, zum Jubel werden im Lichte der andern Welt.“

Der durch seine Betrachtungen zur sozialen und seelischen Situation unserer Gegenwart über die Grenzen der Schweiz hinaus bekannte Kultursoziologe und Humanist Hans Zbinden hat anläßlich seines 70. Geburtstages eine Reihe von Aufsätzen und Essays aus den beiden jüngsten Jahrzehnten vorgelegt, in denen er es wagt, gegen den Strom der Zeit zu schwimmen, „wenn Zeittendenzen der Entgeistung uns die Aussicht auf die gültigen Werte des Daseins und seiner Kräfte zu rauben drohen“. Und wie häufig ist das der Fall! Zbinden führt eine oft sarkastisch scharfe Sprache, etwa wenn er die epidemische Gepflogenheit der Festspiele in eine Relation zum steigenden Fremdenverkehr setzt. Vielfach sind seine Betrachtungen Glossen zu Mißständen und bedenklichen Erscheinungen, so wenn er von der „Musikschwemme des Radios“ spricht oder vor dem Massenaufmarsch der Künste warnt. Immer aber sucht auch er Positives zu gewinnen: im gegebenen Fall etwa, indem er auf die Möglichkeit hinweist, daß die betriebsamen Kunstfeste einem tiefen und echten Verlangen entsprechen, einem Sehnen nach einer Gemeinschaft des Geistes, nach einem Zusammenklang der Herzen. Neben zeitkritischen Betrachtungen wendet Zbinden sich den Kriegs- und Nachkriegsfragen zu. Seine besondere Liebe gehört der Literatur, dem Wissen und der Bildung, aber auch der Natur, dem Verhältnis des Menschen zu ihr. Ein Memoirenteil öffnet einen Blick über fünf Jahrzehnte geistigen Schaffens an den bestimmenden Eindrücken dieses lebens. Was alle Aufzeichnungen Zbindens besonders anziehend macht, ist ihre Diktion: die

Kunst, im Grunde recht komplizierte innere Vorgänge in einfacher Form auszudrücken. Die einzelnen Sätze sind kurz, in ihrer Prägnanz leicht faßlich, sie sind oft nur eine Zeile lang, kaum einmal mehr als über drei Zeilen ausgedehnt. Trotzdem entsteht kein verstandesmäßiger Stakkato-Stil, die weiten und breiten Legato-Bögen eines Denkens, an dem vor allem das Herz beteiligt ist, geben jedem einzelnen Essay spürbare Gefühlsführung und wohltuende Rundung. — Ein wesentliches Kapitel von Zbindens Buch, „Geistige Aufgaben unseres Landes“, leitet zur Betrachtung der Aspekte schweizerischer Literatur im Verhältnis zu Europa über; sie ist als Sonderdruck unter dem Titel „Schweizer Literatur in europäischer Sicht“ erschienen.

Gedenkreden und Aufsätze zu festlichen Anlässen stellt Richard Benz zu einem Buch „Widerklang“ zusammen. Sie gelten einer Reihe von erlauchten Meistern unserer Musik und großen Geistern unserer Dichtung: Bach, Gluck, Weber, Mozart, Schubert einerseits, Eichendorff, Jean Paul, Kleist, Hesse, Mombert anderseits. Die besondere Art der Leistung und die Eigenheit des Wesens werden in knapper Form — dazu zwingt die diesen Ausführungen jeweils gesetzte Zeit — gekennzeichnet. Die gesprochenen Essays sind dadurch profiliert, daß sie in ausgeglichener Form treffsicher Einsichten und Zusammenhänge popularisieren, die dem jüngsten Stand der Bewertung der gefeierten Persönlichkeiten entsprechen. Ein geistiger Himmel überwölbt sie alle. Aus der Gegenüberstellung und Zusammenschau der Weimarer Dichterklassik und des Wiener Musikschaffens gewinnt Benz eine erkenntnisreiche Position, von der aus sich leicht einsehen läßt, wie die geistigen Schöpfungen von Dichtung und Musik einander ergänzen. Besondere Freude macht es dem Autor, zu zeigen, wie nicht einzig das Zeitalter der Aufklärung und der klassischen Philosophie nachwirkt, sondern wie viel tiefer und reicher und weiter das Barock und die Musik die neuen Entwicklungen bestimmen.

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