im taumel flug vermählt

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Semier Insayif folgt in seinem dritten Lyrikband den Cellosuiten Johann Sebastian Bachs.

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Semier Insayif folgt in seinem dritten Lyrikband den Cellosuiten Johann Sebastian Bachs.

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Wer meint, dass es zwischen einer Libelle und Bachs Cellosuiten keine Berührungspunkte geben kann, irrt. Denn ein ungewöhnliches und ambitioniertes Projekt des Autors Semier Insayif und des Cellisten Martin Hornstein hat Flatterwesen und Suite in einer wahren Wort-Ton-Symbiose zusammengeführt.

Insayif, bekannt als experimenteller Sprachkünstler, überlässt in diesem Lyrikband nichts dem Zufall, seine libellen-tänze sind fein säuberlich durchkomponiert. Jede Silbe hat ihre Bedeutung und jede Hebung ihre Funktion. Zugrunde liegen diesem ausgefeilten lyrischen Libellenwörterteppich Bachs Cellosuiten, die Insayifs Texten den formalen und, wie er selber meint, "atmosphärischen" Rahmen gegeben haben. Hier folgt die Poesie den Regeln der Musik. Gerade weil beides hier untrennbar zusammengehört, ist diesem Buch auch eine cd beigelegt: Bachs Cellosuiten, einfühlsam interpretiert von Martin Hornstein, und die Gedichte, gelesen vom Autor selbst.

Nach den Regeln der Musik

Ausgangspunkt für die lyrische Komposition ist ein Stammgedicht, dessen Verszeilen die Suitegedichte eröffnen: "so hebt ein körper sich hinauf ins blau / worauf verwebt ein tropfen schwarz als band / im flügel teich erhitzt lebt licht verwandt / ein prachtsmaragd erbebt durchblitzt vom tau / ganz auf zu tauchen still in harz gebannt / libellen tanz im taumel flug vermählt" Als inhaltliches Herzstück bildet es die Makrostruktur des Bandes und verweist nicht nur formal auf Bachs Cellosuiten. All diese Tanzgedichte werden außerdem noch von zwei Textbändern gesäumt. Als Rahmen fungieren ein durchlöcherter "Materialblock", der sich den Suitegedichten torsohaft entgegenstellt, und ein "Störvers", der die semantischen Bildsequenzen bricht. Etwa so: "ellen lang den atem schroff ins schorf geflügelt / dicht am ton was not am wort gespuckt / nah vor ort in allen farben wie zerstäubt ..."

Neue Einsichten in Text und Musik lassen sich jedoch auch abseits des Kompositionsprinzips, das in einem klugen Nachwort erhellt wird, gewinnen. Der Band lädt dazu ein, in den Wortfluss einzutauchen und sich mit der poetisch tanzenden Libelle treiben zu lassen. Man folgt ihr in ihren irritierenden glashellen Bewegungen und Schwingungen, lauscht der Musik und staunt über diese kunstvolle und wunderbare poetische Arbeit.

Ins Zoologische eingeloggt

Insayif loggt sich hier in Zoologisches ein und verweist mit dem Untertitel seines Bandes "blau pfeil / platt bauch / vier fleck" auf bekannte Bezeichnungen der Libelle. Auch sonst hat er das Wesen dieses Tieres genau studiert. Da häutet sich ein Larvenkörper, fliegt steil in die Höhe und schnellt in einer Schraubbewegung "zum bogen saum des himmels" empor. Metallern schimmert der Körper, mosaikartig strahlt das Kleid. Ein wahrer Smaragd eben. Erhaben, "gebändert und "licht gereift". Insayif hat diesen Tanzbewegungen einen fast sprachmagischen Anstrich gegeben. Wenn ein "facettenauge seinen mond" teilt und sich "mit tausendfachem Blick die innenbühne seines himmels" öffnet, so tut sich eine Ahnung auf von der Einsamkeit und Weite der Flugzonen. Denn präzise verbalisiert er den Tanz in poetischer Zeitlupe, während er die Wörter aus herkömmlichen semantischen Vernetzungen schält und sie mit neuen Bildinhalten anreichert. Taumelnd, zappelnd, sich nähernd, um ringend kippend - Insayif hat eine Vorliebe für das Partizip - geht hier vieles vor sich, bis sich am Schluss der Kreis wieder zur Musik hin schließt: "ein blaupfeil klar als urton aller quellen / im bauch vereint zum mosaik die schar / der klänge selbst im augenblick der libellen". Das Sich-Häutende und Gehäutete schwingt sich auf - und klingt.

libellen tänze

blau pfeil. platt bauch. vier fleck

Gedichte nach den sechs Suiten für

Violoncello solo von Johann Sebastian Bach. Von Semier Insayif.

Mit einem Nachwort von Roland Leeb. Eine beigelegte CD mit Bachs Cellosuiten gespielt von Martin Hornstein

Innsbruck, Wien: Haymon 2004

74 Seiten, geb. e 30,80

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