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Immer wieder Österreich

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Republik-Jubiläum, Österreich-Schwerpunkt auf der Frankfurter Buchmesse, Gründe genug für Österreichs Verlage, eine Anthologie nach der anderen auf den Markt zu schicken, ob es sich um eine Gedichtsammlung handelt, „Beden über Österreich" oder Gespräche mit Autoren. Umso erstaunlicher ist, daß trotz dem problematischen Genre beachtenswerte Bände dabei sind.

An erster Stelle - nicht nur zahlenmäßig - steht der Residenz-Verlag mit drei Anthologien. „Reden über Österreich" ist eine Sammlung von Aufsätzen österreichischer Intellektueller über ihr Land, die bereits im Radio zu hören war. Der Rechts- und Politikwissenschaftler Anton Pelinka, der Kärntner Slowene Janko Messner, die oberösterreichische Autorin Elisabeth Reichart, die Prinzipalin des Wiener Volkstheaters Emmy Werner kommen ebenso zu Wort wie Günther Nenning oder Robert Men-asse, der aufgrund seiner Essays fast schon auf einen Stammplatz in Österreich-Anthologien abonniert scheint. Wenn auch viel Bekanntes dabei ist, führt doch das Nebeneinander der Bedner zuweilen zu interessanten Interaktionen.

Pelinka geht von neuem dem Opfer- und Tätermythos auf den Grand und entwickelt die These, daß die Anhänger des Opfer- und jene des L^äter-mythos in einer Symbiose nebeneinander existieren: „Die einen hätten nicht die Schubkraft politischer Unterstützung hinter sich, gäbe es nicht die anderen; und umgekehrt." Er kommt zum Schluß: „Aber weil eben Österreich immer wieder neu und im Widersprach erfunden wird, gibt es keinen Stillstand... Die WirJersprüch-lichkeit der verschiedenen Österreiche garantiert die Zukunft Österreichs."

Elisabeth Beichart, Historikerin und Schriftstellerin, erinnert sich an ihre Kindheit im Nachkriegs-Oberösterreich. Sie zeigt, daß es eines wachen Bewußtseins bedurfte, sich dem latenten Nationalsozialismus zu entziehen, und wie tief dieser besonders im Sprachgebrauch seine Spuren hinterlassen hat bis hin zu Bedensarten wie „bis zur Vergasung". Hitler hatte einst von der „Mißgeburt Österreich" gesprochen, Jörg Haider bezeichnete die österreichische Nation als eine Mißgeburt.

Wer einen Überblick über gegenwärtige und künftige Literatur sucht, für den kommt „querlandein" gerade recht. Hier wird auf kurze, überschaubare Weise deutlich, daß sich die österreichische Literatur gegenüber künstlich aufgelegten Folien wie „Wirklichkeitsferne" oder „soziale Handlungshemmung" (Ulrich Greiner) resistent erweist. Benommierte Schriftsteller setzen sich mit der Literatur junger Kollegen auseinander, was dabei herauskommt, sind zuweilen poetische Texte wie jener von Robert Menasse über Margret Kreidl oder jener von Alfred" Kolleritsch, der auch einen Einblick in seine Arbeit als Herausgeber der „manuskripte" gibt.

150 Autoren und Autorinnen versammelt Ulrich Weinzierl in seiner Lyrik-Anthologie „Noch ist das Lied nicht aus". Nicht nur die Auswahl soll lobend erwähnt werden, sie reicht von Heinrich von Melk (12. Jahrhundert) bis Ferdinand Schmatz und Franz Josef Czernin (meiner Ansicht wohl die besten österreichischen Lyriker der Gegenwart). Informativ und kurzweilig ist auchWeinzierls Vorwort, er bietet auf fünf Seiten einen Überblick über die österreichische Lyrik und fördert manches selbst für eingefleischte Lyrikkonsumenten Neue zutage.

Eine oft vernachlässigte, lohnende Art, sich Literatur zu nähern, ist das Gespräch. Ernst Grohotolsky, Kulturredakteur im Landesstudio Steiermark des ORF, bat für seinen Band „Provinz sozusagen" 26 Schreibende von H. C. Artmann bis Peter Water-house ans Mikrophon. Sein „Bild des Betriebs aus den Berichten und Geschichten Beteiligter" gewährt ohne wissenschaftlichen Ansprach erhellende Einblicke. Dazu gehören auch jede Menge Anekdoten, darunter eine, die Kolleritsch auf die Frage nach dem Österreichischen preisgibt: „Wir waren einmal vom Residenz-Verlag aus in Moskau und haben dort mit Germanisten an der Universität diskutiert. Da hat man uns gefragt: ,Was ist das Österreichische an eurer Literatur?' Und die Reaktion war prompt die, daß jeder gesagt hat: ,Ich bin doch kein österreichischer Autor. Wir schreiben deutsch, wir wollen damit überhaupt nichts zu tun haben'... Und dann hat sich einer noch den Spaß gemacht und nachgefragt: ,Wofür haben wir euch dann den Staatsvertrag gegeben, wenn ihr eh keine Österreicher sein wollt?'."

Bekanntes und Unbekanntes versammelt Helmut Eisendle in seiner Anthologie „Österreich lesen". Die sehr subjektive Auswahl läßt Wichtiges vermissen. Daß in einer Sammlung von „unser Land, unsere Wirklichkeitsauffassung, unsere Mentalität" Betreffendem auf einen Schriftsteller wie Werner Kofier verzichtet wird, spricht nicht unbedingt für den Herausgeber. Aber Auswahlen sind eben subjektiv und auch diese wird sicher Anhänger finden.

Ein Band, der zwar auf den Frankfurter Österreich-Schwerpunkt zurückgeht, aber darüber hinaus gültig bleibt, sei unbedingt empfohlen. „Literatur über Literatur. Eine österreichische Anthologie" läßt Autorinnen und Autoren zu Wort kommen, welche die Nachkriegsliteratur nachhaltig geprägt haben. Ein Aufsatz von Gerhard Fritsch, der seine erste Veröffentlichung der furche verdankte, gibt einen guten Überblick über die fünfziger und beginnenden sechziger Jahre, daneben sind Aufsätze zur gegenwärtigen Situation sowie Autorenporträts von Autoren zu finden. Allem voran sei das Vorwort von Wendelin Schmidt-Dengler erwähnt, der auf seine pointierte Art dem Leser einen kurzweiligen, höchst informativen Überblick über die letzten 50 Jahre verschafft. Um ganze 150 Schilling sozusagen ein Pflichtbuch für jeden österreichischen Bücherschrank.

REDEN ÜBER ÖSTERREICH

Herausgeben Manfred Jochum HB Residenz Verlag, Salzburg 1995. 204 Seiten, geb. öS 298,-

QUERLANDEIN

Schriftsteller stellen Texte von Schriftstellern vor. Aus Österreich Herausgeber: Angelika Klammer und

Jochen Jung

Residenz Verlag, Salzburg 1995. 160 Seiten, geb., öS 278,-

NOCH IST DAS LIED NICHT AUS

Osterreichische Poesie aus neun Jahrhunderten. Herausgeben Ulrich Weinzierl Residenz Verlag, Salzburg 1995. 272 Seiten, geb., öS 278,-

PROVINZ, SOZUSAGEN

Österreichische Literaturgeschichten Herausgeben Ernst Grohotolsky üroschl Verlag, Graz 1995. 278 Seiten, geb., öS 380,-

ÖSTERREICH LESEN

Texte von Artmann bis Zeemann Herausgeber: Helmut Eisendle Deulkke Verlag, Wien 1995. 448 Seiten, geb., öS 348,-

UTERATUR ÜBER LITERATUR

Eine österreichische Anthologie. Herausgeber: Petra Nachbaut; Sigurd Paul Scheichl Vorwort Wendelin Schmidt-Dengler. Styria Verlag, Graz 1995. 320 Seiten, geb., öS 150,-

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