In Badewanne, Hallenbad und Meer

Werbung
Werbung
Werbung

Die Protagonisten in Johannes Gelichs "Chlor" und Günter Eichbergers "Nein" gehen baden.

Vor 360 Millionen Jahre wagten erste Amphibien die Landnahme und leiteten damit die Entwicklung der Landwirbeltiere ein - und auch heute noch haben die meisten Menschen ein affines Verhältnis zum Wasser, aus dem alles Leben stammt. Das ist auch hierzulande nicht anders, auch wenn die sommerliche Hitzewelle überwunden scheint und Markus Rogans Formtief die Nation in Atem hält, jedenfalls mag es mehr als eine zufällige Koinzidenz sein, wenn in zwei österreichischen Neuerscheinungen die Protagonisten von ihren jeweiligen Autoren baden geschickt werden.

Nichts Besseres zu tun

Johannes Gelichs passiver Held geht baden, weil er eben nichts Besseres zu tun hat. Als studierter Philosoph und Heidegger-Experte verliert er gleich zu Beginn des Romans seinen ungeliebten Brotberuf als "Kommunikationsberater" in einer rätselhaften Firma, deren einziges Wirken in der Selbsterhaltung eines ineffizienten Systems zu bestehen scheint. (Nicht zufällig zitiert Gelich in diesem Zusammenhang Corinne Maiers "Entdeckung der Faulheit".) Als seine Stelle umstrukturierenden "Reengineeringmaßnahmen" zum Opfer fällt, verheimlicht Hans dies vor seiner Frau, was nicht allzu schwer ist, da Vivien schon längst im Hamsterrad ihrer vermeintlich großen Karriere als PR-Managerin läuft und ihre Beziehungskommunikation nur noch rudimentär existiert; da fällt es nicht weiter auf, dass Hans anstatt zur Arbeit jeden Morgen ins Stadthallenbad geht und sich - umhüllt von Wärme und gedämpften Geräuschen - hemmungslos seinem Eskapismus hingibt. Nur den verräterischen Chlorgeruch gilt es zu bekämpfen.

Hans pendelt nun zwischen Badewanne zuhause und Hallenbad tagsüber, säuft und reflektiert über seine wenig erfreulichen Erlebnisse als Scheidungskind, seine Liebe zum Meer und dessen Bewohnern und seine gescheiterte Beziehung. Auch Vivien, seine "Undine", hat er im Bad kennen gelernt, doch anders als ihr literarisches Vorbild scheint sie ihre Seele ihrer Karriere geopfert zu haben. Sehr viel mehr passiert in diesem Roman an äußerer Handlung auch nicht, Hans verweigert sich den Zwängen einer ökonomisierten Welt und lässt die Dinge treiben - als notwenige Folge häufen sich auch bald verschiedene Verhaltensauffälligkeiten und seine Lage wird zunehmend prekär.

Trotz sehr gelungener und auch wirklich komischer Passagen (etwa Hans' Initiativbewerbung als Bleistiftzähler) hat der Roman auch empfindliche Längen und wirkt nicht sehr stringent. Die Beklemmung aus der völligen sozialen Isolation des Ich-Erzählers einerseits und die satirische Überspitzung andrerseits verhindern eine Annäherung des Lesers an den Protagonisten, ähnlich gleichgültig, wie er seine Umwelt wahrnimmt, nehmen auch wir ihn wahr. So ist es etwa durchaus irritierend, dass Hans, der Fischefreund und Misanthrop, aus einem rätselhaften Impuls heraus und um Vivien eine böse Überraschung zu bereiten, Black Mollys kauft und diese in der Badewanne freisetzt. ("Vivien wird das Nudelsieb aus der Küche holen und versuchen, die kleinen Haie einzufangen, um sie wenigstens im Biomüll entsorgen zu können.") Das - überraschend versöhnliche - Ende kommt dann auch durchaus unerwartet. Einen Amoklauf oder wenigstens einen Sprung vom 10-Meter-Brett auf den Beckenrand hätte man Hans auch zugetraut.

Bis zum finalen Nein

"Ein Mann, nicht mehr jung, noch nicht alt, watet ins Wasser. Bald reicht ihm das Wasser bis zu den Knien. Als es seine Hüften erreicht, beginnt er zu schwimmen." Damit endet Günter Eichbergers Text - der bezeichnenderweise keine Gattungsbezeichnung trägt - und damit empfängt der Leser auch einen der wenigen konkreten Happen, welche die Figur greifbar werden lassen. "Nein" ist eine Verweigerung des Autors an die Fiktion und der Titel somit programmatisch. So ist es auch fast müßig, einen "Inhalt" angeben zu wollen, der sich jedenfalls nicht als Story erfassen lässt.

Das Buch setzt sich aus etlichen lose verbundenen Prosatexten und auch lyrischen Einsprengseln zusammen, in welchen der Autor immer wieder versucht, seinen Protagonisten zu fassen, verschiedene Erzählhaltungen durchspielt, doch bleibt alles im Konjunktiv und wird immer wieder in Frage gestellt und verworfen. Der geduldige Leser schaut dem Autor quasi über die Schulter und darf einem Schreibprozess beiwohnen, in dem die Frage, ob der Protagonist im Bahnhofsrestaurant nun "rot oder weiß" bestellen soll, zum fast unüberwindlichen narrativen Problem wird.

Der Mann, der im Zug ans Meer fährt, ist offensichtlich ebenfalls Autor und an einem Buchprojekt gescheitert. Eichberger hebt durch diese autobiografische (?) Spiegelung den Text gewissermaßen auf eine zweite fiktionale Ebene, die aber ebenso trügerisch bleibt wie Eichbergers "unautorisierten Autobiographie" "Gesicht aus Sand" (1999). Das Buch hätte die Lebensgeschichte eines Großonkels rekonstruieren sollen, der als Widerstandskämpfer in Mauthausen ums Leben gekommen ist. Sein Name: Johann Preiss - und ihm ist Eichbergers Text auch gewidmet. Doch "Erzähler und Figur kapitulieren schließlich vor der Aufgabe, eine ,wahrheitsgetreue' Version der mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Vorgänge zu erstellen. Es gibt verschiedene Wahrheiten und nur eine fragwürdige Form von Erkenntnis. Erzähler, Figur und Erzähltes verschmelzen zu einer langen Negationsreihe - bis zum finalen ,Nein', dem Kern jedes Widerstandes."

Konkret werden?

Wer Metafiktionalem nichts abgewinnen kann, dem wird diese harte Nuss mit Sicherheit nicht schmecken und er wird das Buch nach wenigen Seiten aus der Hand legen. Wer aber an dekonstruktiven Erzählverfahren und dem Aufspüren subtil versteckter intertextueller Verweise seine Freude hat, wird Stellen wie die folgende bestimmt goutieren: "Aber sollen wir nicht konkret werden? Wie Beton? Korrekte Beschreibung der Kleidung, Knopf für Knopf, vielleicht Nennung der Marken, der Schneider, Näherinnen, eine Anspielung klarerweise! [...]

Nein

Von Günter Eichberger

Ritter Verlag, Klagenfurt 2006

120 Seiten, geb., e 13,90

Chlor

Roman von Johannes Gelich

Literaturverlag Droschl, Graz 2006

214 Seiten, geb., e 19,\0x2014

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung