Werbung
Werbung
Werbung

Noch hält Bruder Raul die Macht des erkrankten Fidel, der am 13. August achtzig wird. Norberto Fuentes bietet angebliche Einblicke in Fidels Gehirn.

Norberto Fuentes war im Gehirn von Fidel Castro und hat aus diesem die vertraulichsten Enthüllungen von Castros Geschichte geraubt. Nur so konnte der langjährige enge Vertraute und vor gut zehn Jahren in Ungnade gefallene und ins amerikanische Exil ausgewanderte Fuentes "Die Autobiographie des Fidel Castro" schreiben, denn "die wahre Geschichte des Fidel Castro verbirgt sich in einem Bereich, der vollkommen abgeschirmt ist und unter seiner absoluten Kontrolle steht, in seinem Gehirn". Fuentes Castro-Autobiografie umfasst in der spanischen Originalausgabe zwei Bände und annähernd 2000 Seiten und ist für die deutsche Übersetzung auf einen Band mit 757 Seiten gestutzt worden

Mehr Castro als von Castro

Norberto Fuentes erklärtes Ziel ist es, dass seine Castro-Autobiografie in ihrer umfassenden und zugleich höchst vertraulichen Sichtweise nicht einmal von Fidel Castro selbst zu übertreffen ist. Die wirkliche Autobiografie Castros, also die vom kubanischen Diktator selbst verfasste Lebensgeschichte, meint der von der Richtigkeit seiner Castro-Hirn-Exegese vollkommen überzeugte Fuentes, könnte "nur noch eine Art Folgeerscheinung der vorliegenden sein und besäße weder die Freiheit noch die Lebendigkeit, mit der auf diesen Seiten vorangeschritten und bis in die letzten verborgenen Winkel dieser beherrschenden Persönlichkeit alles schonungslos aufgedeckt wurde".

Jetzt ist der Gegenbeweis zu Fuentes Anspruch schwer zu erbringen - Castro hat die Arbeit an seiner Autobiografie schon vor Jahrzehnten nach tausenden Manuskriptseiten unterbrochen und sich auf seine Rolle als Gegenwartsikone konzentriert, die Geschichte, aber keine Geschichten schreibt. Und auch sonst könnte allein Castro selbst Fuentes widersprechen und erklären, dass er anders als der Fuentes-Castro tickt - aber warum sollte er das? Fuentes macht Castro nicht klein, Fuentes macht Castro nicht böse, nicht schlecht, Fuentes macht Castro begreifbar, seine Handlungen nachvollziehbar und durch seine schonungslose Offenheit letztlich sogar sympathisch.

Symphatischer Schlächter?

Sympathisch - ein Mörder, durch dessen eigene Hand und durch dessen Intrigen und durch desssen Hinrichtungsbefehle und durch dessen Politik hundertausende Menschen umgekommen sind? Das ist jedoch das Problem guter Autobiografien schlechter Menschen generell: Da wird aus persönlicher Sicht erklärt, warum diese objektive Schandtat subjektiv nötig und richtig war - mit diesen Erklärungen muss der Leser, die Leserin nicht konform gehen, letztlich kommt es aber doch sehr oft zu einem Verstehensprozess, der die Schandtaten nicht entschuldigt oder legitimiert, aber aus der persönlichen Sicht des Täters nachvollziehbar macht. So ist es halt, wenn man im Gehirn des anderen ist und das macht auch den Reiz dieser fremden Autobiographie aus, der es zudem nicht an beißendem Witz fehlt, den man dem Machtmenschen Castro zweifellos zutraut.

"Der Che" und "der Castro"

Fuentes ist sich der erklärenden Wirkung seiner Castro-Autobiografie bewusst, doch im Unterschied zum "normalen" Biografen, der sich distanzieren kann, tut sich der Castro-Autobiograf schwer, Mord und Hinrichtung nicht als das zu beschreiben, was sie aus Castro-Perspektive sind: notwendige Maßnahmen, um das eigene Leben zu retten und die Revolution voranzutreiben. Um Castros Todesspur aber nicht ganz außer Auge zu verlieren, fügt Fuentes im Anhang noch eine ausführliche Liste jener an, für deren Tod Castro verantwortlich ist.

"Niemand kennt seine Mörder", schreibt der Fuentes-Castro: "Ich kenne sie alle, bin mit allen gut befreundet. Diese kubanische Vertraulichkeit der Schergen, die Zigarre in der Hand, ihre lärmenden Gefühlsausbrüche. Sie umarmen einen, zerknittern einem die Hemdjacke. Doch die Umarmung ist wichtig, denn sie ermöglicht dir, unter der Hemdjacke oder dem Sakko zu ertasten, wo der andere seine Pistole trägt oder ob es ein Revolver ist und welchen Kalibers, denn sobald du dich umdrehst, kann er dir damit den Rücken durchlöchern."

"Der Che" war einer, den Castro immer besonders gern umarmt hat - weil er ihn nicht mochte, weil er ihm besonders misstraute: "Der Che war nicht elegant. Er war verwahrlost, weil er darin eine Form der radikalen Rebellion zu sehen glaubte. Ich hingegen wusste, dass es keine wirkungsvollere Rebellion gibt als die, die von der Macht ausgeht." Letztlich geht Castros Verachtung von Che Guevara soweit, dass er ihn in den Tod schickt - derartige Andeutungen macht zumindest der Fuentes-Castro.

Revolution, Sex, Zigarren

Du musst als Erster ziehen, du musst als Erster zuschlagen, du musst schlauer, schneller, kompromissloser sein - so denkt der Fuentes-Castro, so lebt, so überlebt er seit 80 Jahren. Und wenn er nicht gerade Revolution macht, dann beschreibt er in epischer Breite seinen ersten Sex mit sieben Jahren und auf noch viel mehr Seiten die Länge und Dicke und den Geschmack "meiner Zigarren" und "meines Schwanzes". Dann wieder viel Revolution, dann wieder viel Sex - dieses Mal mit einer Lehrerin -, schließlich ein wenig Relativitätstheorie: "Ein ausgekochter Bursche, dieser Albert Einstein" - dann wieder Revolution, Zigarren, Sex ... - das ist das Leben von Fidel Alejandro Castro Ruz und sein Vermächtnis: "Was kann ich Ihnen am Ende hinterlassen? Ganz einfach: Ich hinterlasse ihnen die Belanglosigkeit."

DIE AUTOBIOGRAPHIE DES FIDEL CASTRO

Von Norberto Fuentes, Verlag Ch. Beck, München 2006, 757 S. , geb., e 29,90

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung