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In den Mühlen der Traditionsgesellschqft

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Abbas Maroufi erzählt in seinem Roman „Symphonie der Toten” die Geschichte von Aidin und Urhan, zwei Brüdern wie Kain und Abel, und deren Familie, die der Konflikt zwischen Fundamentalismus und Weltoffenheit ins Unglück stürzt.

Urhan erfährt die volle Zuwendung des strengen Vaters, da sein älterer Bruder, durch sein mangelndes Interesse an der Arbeit in der Trocken-früchtehandlung des Familienoberhauptes, dessen Gunst, die ihm als Erstgeborenem traditionsgemäß zustünde, verspielt hat. Aidins Begeisterung für die vom Vater verpönte Weltliteratur und Poesie bringen diesen zweimal sogar so weit, das Zimmer des abtrünnigen Sohnes samt Büchern und seinen Schriften und Gedichten anzuzünden. Der begabte, in oppositionellen Literaturkreisen als großes Talent gehandelte Sohn verliert darüber die Erinnerung an seine geliebten Gedichte. Er verläßt das Elternhaus, um sich den Traum vom Studium zu verwirklichen.

Die Familie wird überhaupt vom Unglück verfolgt. Sohn Yussof hat in seiner Kindheit einen Unfall erlitten und ist seither ein dahinvegetierender Krüppel. Aida, die Zwillingsschwester Aidins, verkümmert seit ihrer Jugend in der Küche und verbrennt sich schließlich selbst, und Urhan geht in seiner Gier nach Besitz so weit, dem Bruder mittels ihm verabreichten Schwalben hirns den Verstand zu trüben.

Mit seiner Suche nach dem nunmehr verrückten, umherstreunenden Bruder beginnt die in der nordpersischen Stadt Ardebil angesiedelte Geschichte: „Anfänglich glaubte ich, er müsse noch ein anderes Ich haben, das ihn so quälte, mir kam sogar der Gedanke, daß er von Geistern besessen sei. Aber nichts dergleichen! Ich merkte, daß er sich nur selber quälte und immer tiefer sank. Bei ihm war alles anders. Sogar seine Verliebtheit war nicht die eines normalen Menschenkinds. Er war in Liebe zu einer blondhaarigen Armenierin namens Ssur-meh entbrannt. Jahrelang hatte er in einer Holzsägerei gearbeitet, hatte alles, was er verdiente, für Bücher ausgegeben und sich eingebildet, ein Dichter zu sein”

Der Beiz des in vier Sätze gegliederten Bomans besteht einerseits im Wechsel der Perspektiven - die ersten drei Sätze schildern, in einer Kombination von erster und dritter Person, die Geschehnisse aus der Sicht Urhans, Aidins und dessen Freundin Surmeli-na - andererseits im abrupten Wechsel von FLrinnerung und Gegenwart. „Symphonie der Toten” ist der sehr erfolgreiche erste Boman des 1957 in Teheran geborenen, in seiner Heimat berühmten und verfolgten Autors. Maroufi hat eine Reihe weiterer Romane und Erzählungen veröffentlicht und ist Herausgeber einer oppositionellen Kulturzeitschrift.

Der vierte Satz gehört wieder dem inzwischen verrückt gewordenen, nur noch „Soudji” (Narr) genannten Aidin. Maroufi krönt den Roman mit dessen phantasievollen, metaphernreichen Wahnvorstellungen und Bildern.

Die Handlung gelangt wieder an den Punkt, wo die Geschichte begonnen hat. Noch einmal zieht Urhan los, um den Bruder zu finden und zu erdrosseln. Es ist Winter, ein Schneesturm tobt und er kann Aidin nicht finden.

In seine Gedanken und Zukunftspläne vertieft, wandert er umher und verliert den Bezug zur Bealität: „Jetzt hatten ihn alle Kräfte verlassen. Nicht einmal die Hände konnte er mehr bewegen. Er sackte zusammen wie die Fahnen. Er schaute um sich. Alles war friedlich gestorben und wurde nun vom Schnee begraben. Er sah, daß er selber friedlich gestorben war und nun vom Schnee begraben wurde, sah, daß auch die Fahnen friedlich gestorben waren und nun vom Schnee begraben wurden. Dann erblickte er die Mutter, die vom Himmel herabschwebte und mit beiden Händen Urhan an den Daumen packte.”

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