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... in die Wüste gehen

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Hannes Benedetto Pircher, in Wien lebender Südtiroler Jesuit und Studentenseelsorger, begleitet Fastengruppen und vermittelt ganzheitliches Fasten.

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Hannes Benedetto Pircher, in Wien lebender Südtiroler Jesuit und Studentenseelsorger, begleitet Fastengruppen und vermittelt ganzheitliches Fasten.

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DIEFURCHE: Warum fasten Sie? Hannes Benedetto Pircher: „Ich faste seit fünf Jahren mindestens einmal jährlich sieben Tage lang. Fasten heißt für mich „Beten mit Leib und Seele”. Ich setze mich den Wirkungen des Fastens ganz bewußt aus und denke nicht viel darüber nach, ob ich das jetzt für Gott, für die Menschen oder für mich selbst tue. Das ist ganz sekundär. Wichtig ist vor allem, in eine Fastenpraxis mit der Bereitschaft hineinzugehen, daß sich alles, was mir da widerfährt, schon zeigen wird. Fasten bedeutet für mich jedes Mal, einen Neuanfang in meinem religiösen Leben zu setzen. Der religiöse Hintergrund spielt dabei für mich als Ordensmann natürlich eine große Rolle.

DIEFURCHE: Wie erleben Sie diese Zeit körperlich?

PlRCHER: Am Tag vor Reginn einer Fastenkur lege ich einen Schontag ein, das heißt, ich esse nur Obst oder Gemüse. Dann wird mit Hilfe von Glaubersalz der Darm leer gemacht. So signalisiere ich meinem Körper: „Jetzt stelle dich um, es geschieht etwas Neues.” Ab dann nehme ich nur noch Flüssigkeit zu mir. Der dritte lag ist erfahrungsgemäß der kritischste, da kommen Kopfweh, Unruhe, aggressive Gefühle. Es ist der Zeitpunkt, an dem sich der Körper darauf umstellt, aus seinen Depots zu leben. Nach diesem Zeitpunkt finde ich gänzliche Ruhe.

Ich kann während des Fastens normal leben, ich meide aber größere körperliche Anstengungen wie Joggen, das ich sonst betreibe. Rewegung ist aber auch während des Fastens notwendig und tut gut. Ich stelle auch fest, daß die Intervalle von Arbeit und Ausrasten während ejner Fastenperi-ode kürzer werden. Ich brauche auch weniger Schlaf.

Ich faste meist gemeinsam mit anderen. Der soziale Aspekt und eine richtige Regleitung sind wichtige Faktoren.

DIEFURCHE: Was bedeutet das Fasten in spiritueller Hinsichtfilr Sie? PlRCHER: Zu Reginn jedes Fastens sollte das „Leer-Werden” auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Die

Mönchsväter nannten das: „Vacare Deo”, „Leer-Werden für Gott”. Man erlebt sich im Fasten dann ohnmächtiger, nackter und auch direkter. Fasten ist immer ein „In-die-Wüste-ge-hen”, ein „Sich-der-Einsamkeitser-fahrung-Aussetzen”. Das Erlebnis des scheinbaren „Nichts” läßt Punkte erkennen, zu denen ich meine: Hier bin ich als Mensch gefragt. Das ist der Grund, warum Fasten für mich eine große religiöse und spirituelle Bedeu tung hat.

Auch die Wahrnehmung der eigenen körperlichen Schwäche am dritten Tag des Fastens bedeutet für mich eine Herausforderung in spiritueller Hinsicht, denn es ermöglicht mir einen erlebnismäßigen Zugang zu Gott und auch zu mir selbst. Die Er-fahrbarkeit letzter Dinge, die Erfahrbarkeit Gottes - all das suchen wir Menschen von heute ja so sehr.

DIEFURCHE: Wird man durch Fasten ein „besserer” Mensch? PlRCHER: Man spürt, cjaß man im Fasten ein anderer wird, schon deshalb, weil es ja gleichzeitig die anderen nicht tun. Ich sehe aber auch eine Gefahr darin, daß der Fastende narzistisch nach sich selbst sucht. Ich habe das an mir selbst so erlebt. Das entscheidende Kriterium sollte aber sein, durch Fasten in der Bruderliebe zu wachsen. Die Auseinandersetzung mit den eigenen dunklen Seiten, die Konfrontation mit den eigenen Wunden spielen hier sicher eine große und wichtige Rolle.

DIEFURCHE: Welche Motive fahren Menschen zum Fasten? PlRCHER: Das Wichtigste sollte die Bereitschaft sein, sich auf einen Prozeß einzulassen, der ganz offen ist, und ganz neue Erfahrungen auch zuzulassen. Diese sollten dann auch reflektiert werden. Gefährlich kann Fasten dann werden, wenn es sich sozusagen „verselbständigt.” Ein Reispiel dafür ist die Magersucht. Gewicht zu verlieren allein ist sicher kein geeignetes Motiv zum Fasten, denn es heißt nicht umsonst, daß jede Fastenkur langfristig dick macht.

Menschen die danach suchen, die eigene Mitte und das eigene Maß zu finden, sind gut motiviert. Sie gehen vom Redürfnis aus, das „Ganze” doch noch zu verstehen, bei all der neuen Unübersichtlichkeit, der wir heute ausgesetzt sind. Ich empfehle Fasten unter guter Leitung auch denen, die schauen wollen, was sie in ihrem Leben ändern wollen.

Hüten sollte man sich während des Fastens vor dem sogenannten „Hochmutsdämon” nach dem Motto: „Ich brauche das alles nicht mehr, was die anderen da essen”. Mir hilft das Reten des Jesus-Gebets nach der Zen-Methode während des Fastens sehr.

Ideologische Vorgaben sollte es meiner Meinung nach bei Fastenkuren nicht geben. Die spirituelle Dimension stellt sich bei mir auch so ein, daß ich die menschlichen Probleme einfach direkter und unmittelbarer erlebe. „Leerwerden” heißt ja auch: Dinge hergeben, die vorher wichtig waren, sowohl in religiöser als auch in menschlicher Hinsicht.

Fasten setzt immer einen Prozeß und eine Dynamik in Gang, wo man sich selbst viel direkter ausgesetzt ist. Das kann dazu führen, daß vieles im Leben ehrlicher angenommen wird und man die Möglichkeit bekommt, zu wachsen. Die Erkenntnis, daß aber manches auch ruhig so bleiben darf, wie es ist, und daß vieles nicht geändert werden muß, kann in vielen Fällen auch ein Ergebnis von Fastentagen sein. Man wird „ein Stück einfacher” und lernt, Menschen und Dinge in Liebe anzuschauen. Ich erlebe auch, daß man sich selbst und den Mitmenschen gegenüber barmherziger. Jede Motivation sollte aber immer ganzheitlich sein, daß heißt, sie sollte von der Rereitschaft getragen sein, sich mit sich selbst, mit Gott und mit den anderen wirklich einzulassen.”

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