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In memoriam

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So ist es wirklich, daß er niemals nach

Wien zurückkehren wird? Daß Friedrich Muckermann, Wecker und Rufer, nimmer wieder unter uns sein wird? Es war also das letztemal, da er, wenige Tage vor der Überwältigung Österreichs, die noch Schlimmeres bedeutete als den Verlust unserer politischen Freiheit, von der Kanzel der Kirche Am Hof zu uns sprach und den dichtgedrängten Massen warnend die ganze Gestalt des sich nähernden Angreifers, die Dämonie seiner kultur- und gesellschaftzerstörenden christfeindlichen Kräfte mit erschütternder Beredsamkeit zeichnete. Die schmerzliche Kunde, daß Friedrich Muckermann, der noch nicht Dreiundsechzigjährige, am 2. April 1946 in einem Sanatorium zu Montreux gestorben ist, kam überraschend, sie bedeutet irdischen Abschied von einem Manne, der ein Dichter und ein Kämpfer war, ein Feuergeist, der in einer Zeit der schwersten geistigen Krisen Europas mit Wort und Schrift Verkündiger des christlichen Idealismus und der unüberwindlichen Kräfte der christlichen Kultur war. Wie-wenige hat er der zeitgenössischen Literatur und Publizität den Stempel seines Geistes aufgeprägt.

Sein Wesen ist nicht in eine einfache Formel zu fassen. Jedenfalls war dieser Jesuit mit seiner Weltaufgeschlossenheit, die ihn ebenso in den literarischen Zirkeln vieler Länder, in vornehmen Salons, wie in Kapellen und Kirchen daheim sein ließ, die lebendigste Widerlegung des Abbildes, daß die tendenziöse Fabel seinem Orden angeheftet' hatte. — Friedrich Muckermanns Natur spiegelt sich etwa schon in dem bewegten Wanderleben, das er bis zu seinem Tode führte und für ihn die Quelle seltener Kenntnisse der Dinge und der Menschen . war. Der junge Kaufmannssohn aus dem Städtchen Bückeburg in Lippe-Detmold be ginnt seine Studien in Kunstgeschichte und Germanistik an der Universität Kopenhagen, legt dort Prüfungen für Pädagogik ab, wählt aber nicht den Beruf des weltlichen Erziehers, tritt in den Jesuitenorden und empfängt zu Volkenburg in sechs strengen Arbeitsjahren seine wissenschaftliche philosophische und theologische Ausbildung. Zunächst schickt ihn sein Orden in die dänische Diaspora, aber dann verlangt es ihn, das* große Rätsel, das nach dem ersten Weltkrieg wie ein riesenhaftes Steinbild der Sphinx aus dem Osten herüberschattet, zu ergründen. Sein Aufenthalt in Rußland, wo er große Literatur- und soziale Studien betreibt, bringt ihn wiederholt ins Gefängnis. Nach Deutschland mit einem reichen Schatz seiner Erkenntnisse zurückgekehrt, vervielfacht er seine schriftstellerische Tätigkeit in den „Stimmen der Zeit“, „Gral“, im „Hoch- -land“, in der „Schöneren Zukunft“ und zahlreichen Blättern des In- und Auslandes. Eine fast unheimliche Dynamik ermöglicht ihm, der einen blendenden Stil, ine den modernen Menschen packende geistreiche Art meistert, gleichzeitig ein Büchschaffen, das weit über die Sprachgrenzen hinauswirkt; sein Goethebuch, eines der stolzesten Werke seiner Feder, „Das geistige Europa“, „Von den Rätseln der Zeit“ ond eine ganze

Reihe anderer, bis in die letzten Jähre

heraufreichender Werke gehören zu den interessantesten und vielgelesensten, aus religiöser Schau orientierter Schriften über die geistigen Probleme der Gegenwart. Mit seiner Katholischen Korrespondenz griff er weithin in das Zeitühgswesen ein, als Mitglied der Internationalen Organisation katholischer Publizisten, deren Mitbegründer er wurde, war er auf den Tagungen und Konferenzen zu Köln, Brüssel, zu Breda, Budapest, Luzern und Rom immer wieder für alle Fächgenossen ohne Unterschied der Nation eine gefeierte, populäre Erscheinung-Wo er war, fesselte sein leichtbeweglieher Geist seine Umgebung, machte ihn zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Dieser Mann der Feder war zugleich ein Rhetoriker der Kanzel und der großen Versammlungen, dem sich das gesprochene Wort zu geschliffener Schönheit formte. Es ist kaum eine Gegend des deutschen Sprachgebietes, in dem man die hochgewachsene Gestalt Muckermanns, seinen hochstirnigen Künstlerkopf nicht gekannt, seine Stimme nie gehört hätte. Sein Name war ein Begriff geworden.

Die Tragjk des Lebens Muckermanns begann mit dem Einbruch des Nationalsozialismus in die religiöse i und allgemeingeistige Sphäre Deutschlands. Mit der ganzen Wucht seiner niedersächsisch-westfälischen Art warf er sich der erkannten Gefahr entgegen. Mit der Hitler-Herrschaft verlor er seine Heimat, setzte von Holland aus in seinen Kampfschriften, „Der Deutsche Weg“, verfolgt von Bedrohungen, den Federkrieg gegen die Irrlehre Rosenbergs und die Propaganda Goebbels fort, mußte, in solcher Nähe zum

Hitler-Staate dem Gastlande unbequem geworden, Holland verlassen, fand in dem päpstlichen Institut „Collegium Russicum“ bei Santa. Maria Maggiore in Rom einen Arbeitsplatz , für seine russischen Studien, aber bald trieb es ihn als Redner und Schriftsteller wieder hinaus auf die Wahl-statt, gegen den grpßen Feind, (durch den er die christliche Kultur und den Frieden Europas bedroht sah. So kam er auch im Winter 1937/38 nach. Wien, wo er kurz vor dem Gewaltstreich Hitlers mit seiner flammenden Beredsamkeit die Katholiken für die bevorstehenden Zeiten des schwersten Ringens ermutigte. Wäre er je der Gestapo in die Hände gefallen, sein Ende wäre schrecklich gewesen. Nach keinem Opfer verlangte sie heißer als nach diesem. Die Verhöre von Österreichern in Dachau wurden dafür wiederholt Zeugnis. Friedrich Muckermanns getreuer holländischer Mitarbeiter, Dr. Hein Hoeben, Chefredakteur van Lierop und Franz van Degen, haben in den Konzentrationslagern den Tod gefunden. Kurz vor dem Einmarsch der Hitler-Truppen ging Muckermann in die Schweiz.

Die Bewegungsfreiheit, die der Ordensmann Muckermann genoß, ist charakteristisch für die traditionelle Großzügigkeit seiner Ordensgemeinschaft. Dennoch wäre es nicht verwunderlich, wenn Friedrich Muckermann, dieser nie rastende, in seinem kühnen Drange nie aufhaltsame kämpferische Publizist, dem Orden, der weltweite Interessen sorgsam zu hüten hat, zuweilen eine Verlegenheit gewesen wäre. Auch in der Gefahr war er nicht nur der Kämpfer, sondern auch der Poet, den eine seherische Gewalt vorwärts trieb, der begeisterte Verkünder der kommenden Siege der Wahrheit und Gerechtigkeit, der Siege Gottes zu sein. Er hat seine irdische Heimat nicht mehr sehen können, er suchte sein Leben lang und fand nach stürmischer Wanderschaft die ewige — die Stadt Gottes. Iii einem seiner letzten Bücher, „Revolution der Herzen“, schrieb Friedrich Muckermann Ostergedanken nieder, die jetzt wie ein zartes Osterlied die Schweizer Ruhestatt des einst Ruhelosen umklingen:

„Das, Grab aller Gräber ist für uns nicht da, wo weiße Gebisse in Totenschädeln uns angrinsen, das' Grab aller Gräber ist für uns das geöffnete Grab des Herrn, wo der Engel auf dem Stein sitzt und tröstend spricht: „Fürchtet euch nicht!“ Das ist die Charakteristik, die der Osterglaube der christlichen Kultur aufprägt. Sie gibt dem unsicheren Menschen die unerschütterliche Sicherheit. Sie stellt gegen den ständig drohenden Materialismus, einen unzerstörbaren Idealismus. Sie sammelt ein jedes Tröpfchen der entschwindenden Zeit in dem schon von ewigen Freuden überwallenden Becher der Ewigkeit. Unsterblich ist diese Kultur, Kultur der Persönlichkeit und Kultur der Gemeinschaft, Kultur der Erde und des Himmels, Kultur als ständige Verwirklichung der ewigen Humanitas Gottes, unseres Erlösers. Am Ostertag ist sie jedes Mal in ihrem siegreichen Triumph hervorgetreten und seitdem ist Ostern im Tal der Tränen. Und ist alle Klage des Daseins geklärt in einem auf Erden schon beginnenden und in aller Ewigkeit nicht mehr verklingenden Alleluja!“

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