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In memoriam: Ferdinand Ebner

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Über Ferdinand Ebners Buch, „Das Wort und die geistigen Realitäten“, schrieb ein Kritiker im Hochland vom April 1925: „Es gilt vor allem, diesem Buche das Schicksal zu ersparen, nach 20 Jahren neu entdeckt werden zu müssen.“ Die Ungeistigkeit der Zeit hat dieses Schicksal aber nicht nur dem Buche, sondern der ganzen Persönlichkeit des Lehrer-Philosophen Ferdinand Ebner zugefügt. Es ist an der Zeit, seine Gedanken als Vermächtnis wieder zu entdecken und weiterzugeben.

Ferdinand Ebner, geboren zu Wiener Neustadt am 31. Jänner 1882, war der Sohn religiöser Eltern. Trotz zeitweiliger Verschüttung in den Studienjahren blieben die ersten Kindheitseindrücke bedeutend, aber mit 30 Jahren kommt ihm zum Bewußtsein, daß sein Leben haltlos sei. Er schreibt zur eigenen Klärung über „Ethik und Leben“. Im 35. Lebensjahr, mitten im Weltkrieg, kommt seine bewußte Wendung zum Christentum. 1921 erscheint das Werk „Das Wort und die geistigen Realitäten" im Brennerverlag, Innsbruck. Im „Brenner" folgen Aufsätze und 1931 gibt er kurz vor seinem Tode eine Aphorismensammlung heraus, unter dem Titel „Wort und Liebe". Bei Joh. 8, 25 fragen die Jünger den Herrn: „Wer bist du denn?" und er antwortet: „Erstlich der, der ich zu euch rede.“ Darin spricht sich die absolute Einheit der Person und des Wortes aus, der zu dienen Ebner als seine Lebensaufgabe ansieht. „Sich in Gottes Willen legen, welche Seligkeit“, war sein Motiv in langer Krankheit. Er starb am 17. Oktober 1931. Auf seinem Grabe im Wienerwald stehen die Worte: „Hier ruht der irdische Rest eines menschlichen Lebens, in dessen große Dunkelheit das Licht des Lebens geleuchtet und das in diesem Lichte es begriffen hat, daß Gott die Liebe ist."

Ferdinand Ebner hat als einer der ersten hineingespürt in die Wende von der idealistischen Philosophie zur Existenzphilosophie und hier mitgewirkt. Schon Leopold Ranke machte gegen Hegels Lehre vom absoluten

Geiste, der in einem unpersönlichen Prozeß der sich dialektisch entwickelnden Idee im Menschen zum Bewutßsein komme, wobei der einzelne nur noch eine Welle dieser Entwicklung sei, von der Geschichte her geltend, daß der Mensch freies und verantwortliches Individuum ist und nach Gottes Vorsehung auch jedes Volk unmittelbar sein Verhältnis zum persönlichen Gott habe. Die Betonung des individuellen und persönlichen, des konkreten Einzelmenschen in seiner Verantwortung im Gewissen, man sagt dafür heute die „Existenz“, ist so zur Krise und Ablehnung der idealistischen Philosophie geworden. Aus christlicher Tradition her überwand vor allem Kierkegaard den Hegelschen Einfluß, denn es gehe im Christentum um den einzelnen und sein Verhältnis zu Gott. In dieses Denken ist Ebner einzuordnen. So gehört er zu Kierkegaard, Pascal, Th. Haecker.

Ebner sieht die menschlicht Existenz und Persönlichkeit im Ich-Du-Verhältnis begründet. Das Ich vermag sich nach Ebner niemals in sich selbst zu finden und muß sich daher im Du suchen. Das wahre Du des Ich ist Gott. Den christlichen Denkern ging es immer schon um eine Einordnung der christlichen Glaubenshaltung in die Philosophie. Das existenzbegründende Ich- Du-Verhältnis des Menschen zu Gott, wie es im Glaubensak und in der Innigkeit des Gebets erlebt wird (glauben heißt ja: innerlich jeden Augenblick mit Gott rechnen), ist für Ebner der Ansatz seiner Existenzphilosophie. Der Mensch lebt geistig erst, das heißt er „existiert“ erst als wahrer Mensch, im Verhältnis des Ich zum Du. Dieses Verhältnis ist das „Urfaktum des Geistes", das Ich und das Du sind „die geistigen Realitäten". Begann die moderne Philosophie mit Descartes’ Wende zum einsamen Ich, so beginnt Ebners Existenz-

philosophic mit dem Erlebnis des konkreten immer schon auf ein Du hinbezogenen Ich. Das Ich wird hier nicht als ein Objekt der Psychologie gefaßt oder mit den Seins- kategorien des Aristoteles beschrieben, sondern in seinem lebendigen Existenzbezug auf Gott hin. Dem so Existierenden ist der Atheismus wie der Materialismus überlebt. Es handelt sich auch nicht mehr um den Gott der Denker, wie er bei Aristoteles als unbewegter Beweger steht, es ist vielmehr der Gott der Liebe, der sich als das große Du des Menschen geoffenbart hat, über den nicht einfach nur persönlich uninteressiert gedacht werden kann, für den sich vielmehr der Mensch jeden Augenblick persönlich entscheiden muß, wodurch er seine Persönlichkeit erst gewinnt. In dieser Duhaftigkeit liegt für Ebner die Transzendenz, das heißt das eigenartige Sein des Menschen, in dem er immer schon über sich selbst hinaus weist Und lebt. Erschlossen und erfühlt aber wird die Existenz durch das Wort und die Liebe. Das Wort birgt das Verhältnis des Ich zum Du. Sprache ist nicht ein Mittel im Existenzkampf des tierhaften Menschen, sondern die geistige Tat des du- setzenden Ich.

Für den Menschen ist aber Gott, das große und letzte Du, gegenwärtig im Mitmenschen, im Du des Nächsten. Ebner hält sich an das Wort im 1. lohannesbrief 4, 20: „Wer seinen Bruder nicht liebt, den er vor Augen hat, der kann auch den unsichtbaren Gott nicht lieben.“ So hatte Ebner auch selbst zu seinen Kindern in der Schule ein wahres Gottesverhältnis. Die Liebe ist die wahre Hinführung des Ich zum Du.

Aus dem Ich-Du-Verhältnis gewinnt auch die Welt erst ihre wahre Sachlichkeit und ihren Sinn als Kosmos, geschaffen vom Du Gottes; und Wahrheit ist dann erst vollendet in der Deckung der Aussage durch die Persönlichkeit: lebendige Wahrheit, wie Christus spricht: Ich bin die Wahrheit. Ebner teilt keineswegs den Hegelschen Optimismus über die humane Entwicklung, er sieht als Christ auch Tragik und Schuld in der Welt und die Absage des Ich an das Du. Alles Böse geschieht in der „Icheinsam- keit“! Ethisches Ideal ist für Ebner nicht die Marschorder eines kategorischen Imperativs und nicht eine angeblich mögliche Harmonie, sondern der aus Gnade Gottes Erlöste; nicht so sehr da« „Werde, der du bist“, als vielmehr das „Umdenken“ nach dem „Metanoeite“ des Evangeliums!

Es ist sogleich klar, daß sich durch diese Existenzphilosophie keineswegs die traditionelle Philosophia perennis erübrigt. Zwischen Ebners Existenzphilosophie und dieser ist kein Gegensatz, wie ja auch keiner bestand zwischen Scholastik und Mystik!

Kierkegaard sagt einmal: „Mein Haupt gedanke war, daß man zu unserer Zeit über das viele Wissen das Existieren vergessen habe und was Innerlichkeit zu bedeuten habe.“ Das ist auch das Vermächtnis des Lehrer-Philosophen Ebner: ein Appell zu religiöser Innerlichkeit, zum lebendigen Gottesverhältnis des Ich zum Du! Daß wir zu Gott Du sagen lernen, schlicht, echt und einfach, macht das ganze religiöse Streben aus! Solche Kultur der Seele wird wieder die Seele der Kultur sein. Es ist an der Zeit, daß wir Ebners Gedanken wieder entdecken, und freudig werden wir zu Ebners Tagebüchern greifen, die uns Herder herausbringt unter dem Titel: „Das Wort ist der Weg.“

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