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In Spanien blüht die Dichtung wieder auf ...

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DIE WANDLUNG DER PAULINA GOYA. Roman. Von Carmen Laforet. Aus dem Spanischen von Doris Delnhard. Verlag J. P. Bachem, Köln. 303 Seiten

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DIE WANDLUNG DER PAULINA GOYA. Roman. Von Carmen Laforet. Aus dem Spanischen von Doris Delnhard. Verlag J. P. Bachem, Köln. 303 Seiten

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Paulina Goya, verheiratete Nives, Mitte der Dreißig, schon leicht verblühend, aber doch noch immer faszinierend, exaltiert und von der Gier nach Liebe umgetrieben, hält es in der Provinz von Leon nicht mehr aus. Ihr Mann ist ihr gleichgültig geworden, ihr Sohn scheint sie entbehren zu können, und so lebt sie dahin in der Indifferenz des Herzens, sehnt rieh nach weiß nicht was, will lieben und hat keinen Gegenstand der Liebe, will leben und verwelkt in einem unerfreulichen Zuhause, bis ein verheirateter Vetter ihres Mannes die freudlos Gewordene zur Glut erhitzt. Sie ergibt sich ihm, obwohl er sie quält und obwohl sie seiner nie ganz sicher sein kann. Aber was ist das für ein Dasein zwischen Zittern, Angst und halber Stillung, unter wachsamen Augen und in der Nähe der todkranken Frau des Geliebten, auf deren Ende sie nun warten muß. So kann sie nicht leben in diesem zerreißenden Zustand, zwischen Mann und Mann, in ihrem Stolz gebrochen und der schmalen Gnade eines jungen Ehebrechers aus- geliefert, dessen leisen Ueberdruß sie manchmal schon zu spüren glaubt. Um sich und ihn nicht völlig zu verlieren, reist sie nach Madrid, trennt sich von ihrem Mann und geht von einer Stunde auf die andere. Auf der Fahrt in den erwachenden Morgen hinein ergreift sie aber dann ein anderer, einer, den sie nicht erwartet hat; und wie Rilkes Abelonl wendet sie auf einmal „die Kalorien ihres großartigen Gefühls" dem Neuen zu. Ganz plötzlich steigt es in ihr auf, zugleich mit einer unsagbaren Freude. Und nun beginnt das Jahr der Wandlung der Paulina Goya. Es kommen die Tage und Nächte des Aufschwungs, der beseligenden Leichtigkeit. „Mein Gott, dachte Paulina und fühlte sich schweben.“ Aber darnach kommen auch die Wochen der Dürre und des Versagens, der inneren Leere und der Trostlosigkeit. Sie wohnt in Madrid in einer kleinen Wohnung, und einmal besucht sie der Geliebte und sie verfällt ihm wieder, aber darnach will sie nichts mehr von ihm wissen. Sie nimmt ihren Sohn zu rieh und lebt wie eine Nonne, aber das Feuer ihrer Frömmigkeit ist nicht beständig, und manchmal flackert es im Zugwind ihrer heißen Sinne und erlöscht fast. Sie weiß nicht, was sie will und was sie soll, und wo sie hingeht ist ein Irrweg. Schließlich aber weiß sie: alles ist nur Flucht in ihr, Flucht vor dem, was für sie das Nächste wäre, Flucht vor der Ehe, die sie nicht bestanden hat. Und dann geht sie zurück zu Mann und Kind. „Es kam nun nicht mehr darauf an, daß ihre selbstische Neigung zu ihrem Mann vorbei war, es kam nicht darauf an, daß ihr ärger davor graute, mit ihm auf dem Lande leben zu müssen, als sich auf Lebenszeit in einem Kloster einzuschließen. Es kam auch nicht mehr darauf an, daß sie von der irdischen Glückseligkeit mit einem anderen Mann geträumt hatte. Nichts hatte mehr Bedeutung.“ Nur eines war zu tun; das, was Gott von ihr verlangte: zurückzugehen. Darum hatte er nach ihr gegriffen, als sie nach Madrid fuhr. Darum ließ er sie nicht los. In einer langsam sich hinschleppenden Nacht entscheidet sie sich zur Rückkehr. „Sie würde wohl leiden müssen, aber die Gnade würde ihr helfen, und nach jedem Verzicht würde Gott da sein, um die Leere auszufüllen... Sie war sehr blaß, als sie rieh erhob, aber der Friede Gottes umgab sie wie ein schützender Mantel, als sie nach Hause zurückging.

Das ist das Ende des Romans. Man sieht, es ist die Geschichte einer Bekehrung, einer Umkehr, einer Wandlung. Aus Verwirrung, Abfall und Zweifel findet ein Mensch wieder zu Gott zurück und zum Frieden im Glauben. Das ist nicht zu übersehen. Aber im Innersten und Letzten ist dieser Roman doch mehr noch die Geschichte einer Frau, deren Liebe zum Man’n sich in der Liebe zu Gott verwandelt, und so ist es denn leider zu bedauern, daß sich im zweiten und dritten Teil des Romans das Neophytische zu breit macht. Denn es beginnt da ein mühsames Kate- chisieren, und es drängen sich die Konvertitenkomplikationen vor und überflüssige Szenen und Parenthesen schieben sich ein, zerstören fast die reine Kontur der Geschichte, und an diesen Stellen wird es sandig, trocken, und die fahle Flauheit der roma- nesken Konvention macht sich bemerkbar. Hier hat sich Carmen Laforet fast zuviel zugemutet, und sie hat einen großartig strömenden Liebesroman mit einer nicht immer erträglichen Bekehrungsgeschichte verkühlt. Man spürt es deutlich, daß Unadäquates sich verbunden hat. Schade. Was aber Dinge der Liebe betrifft, das Auf und Ab der Leidenschaft, das Wogen der Gefühle, der Schmerz, die Hoffnung und Verzweiflung, Aufschwung und Verzicht des Herzens, das ist von solcher Schönheit und Größe der Gestaltung, daß man dem Verlag dafür zu danken hat, daß er diese Spanierin für uns entdeckt hat. Während uns andere mit ihren „Liebesgeschichten“ ja meistens nur malträtieren, ist hier etwas zustande gekommen, das, soweit ich sehe, innerhalb der neuen katholischen Literatur nur mit etwas zu vergleichen ist, mit der faszinierendsten aller Liebesgeschichten, der in Joseph Malėgues „Augustin ou le maitre est lä“, mit der dunkelglühenden Liebe des Augustin zu Anne de Prėfaille.

loh muß gestehen, daß ich ohne Erwartungen zu lesen begonnen hatte. Ich glaubte, wieder eines jener Romänchen vor mir zu haben, die nach der fünfzigsten Seite in der moralinsauren Fadheit verlaufen; aber nun weiß ich, daß Carmen Laforet zu unseren großen Hoffnungen gehört und daß wir gut daran täten, uns mehr um die neue katholische Literatur in Spanien zu kümmern, statt das mittelmäßige Zeug von der Stange aus dem nördlichen Amerika zu importieren, diese M senware ohne Reiz und Faszination. In Spanien blüht die Dichtung wieder auf, und das wird man wohl zur Kenntnis nehmen müssen.

DAS MYSTERIUM DER UNSCHULDIGEN KINDER. Von Charles P ė g u y. Uebertragen von Oswalt von Nostiz. Herold-Verlag, Wien. 191 Seiten. Preis 74 S.

Charles Pėguy, in Orleans geboren, schrieb zu Ehren der heiligen Jeanne d’Arc drei poetische Werke: „Mysterium der Erbarmung“, „Mysterium der Hoffnung“ und „Mysterium der unschuldigen Kinder“. Der Zauber dieser Dichtungen besteht darin, daß sie „spiralförmige Meditationen" sind: in eigenartiger und wundervoller Sprache wiederholen sich Worte und Themen und lassen die Besinnung langsam in den Leser eindringen.

Im „Mysterium der unschuldigen Kinder" wird die Tugend der Hoffnung gefeiert; die Hoffnung garantiert das Geheimnis der Freiheit des Menschen. Hoffnung und Freiheit gehören zusammen — sie sind Gnaden, die Gott an den Menschen liebt. Dies zeigt Pėguy am Vaterunser und am Ave Maria, an der Geschichte des ägyptischen Josefs, die der Geschichte Josefs mit Maria und Jesus vqrausgeht wie das Alte Testament dem Neuen; an den Parabeln vom verlorenen Sohn und endlich an den unschuldigen, von Herodes hingeschlachteten Kindern, während Jesus in Aegypten weilte. Diese Unschuldigen sind für Pėguy jene in der Apokalypse genannten 144.000 Auserwählten, die dem Lamme folgen und den neuen Gesang kennen. Gott nennt bei Pėguy sieben Gründe, warum Er diese 144.000 Unschuldigen liebt: Der erste ist: „Ich habe sie lieb“, spricht Gott, „und der genügt. So will es die Herrlichkeit meiner Gnade“; der zweite: „sie gefallen Mir“; der dritte; „Mir gefällt es So“; der vierte: „der besteht darin, daß sie nicht an den Mundwinkeln jene Falte der Bitternis und des Undanks haben, jene Wunde des Alterns, jene warnende Falte, jene Gedächtnisfalte, die wir an allen Lippen erblicken"; der fünfte: „daß diese Unschuldigen durch eine Art Gleichwertigkeit, durch eine Art Ausgleich für Meinen Sohn gezahlt haben“; der sechste: „sie waren Zeitgenossen Meines Sohnes, gleichaltrig und in der nämlichen Zeit geboren, gerade in diesem Augenblick der Zeit“; der siebente: „daß sie Meinem Sohn ähnlich waren und Er ihnen ähnlich war“.

Hoffnung und Freiheit sind die Auszeichnung der Kinder Gottes. Alle Seiten dieses Buches zeigen — in geistreichen, oft sehr französischen Worten —, was es heißt, ein Gotteskind sein zu dürfen. Eine bessere Empfehlung für diese Meditationen gibt es nicht.

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