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„In Stürmen reife ich ..

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Zu Ernst Jüngers Tagebüchern aus dem Kriege. „Strahlungen." Heliopolls-Verlag, Tübingen 1949

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Zu Ernst Jüngers Tagebüchern aus dem Kriege. „Strahlungen." Heliopolls-Verlag, Tübingen 1949

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Daß die „Strahlungen" Ernst Jüngers von einem ahnungslosen Buchhandlungslehrling in die Abteilung Elektrotechnik eingereiht wurden, ist nicht das einzige Mißverständnis, auf das dieses Werk gefaßt sein muß, und vielleicht noch nicht einmal das gröbste. Wie Viele mögen in ihm die Reflexionen eines alternden Kriegers sehen, der — nach letztlich ergebnislosen Expeditionen in die Glut- und Eisgefilde der Arbeitswelt — nun, durch den Ablauf der Dinge überführt, sich und seine Anhängerschaft darüber zu täuschen sucht, daß er schlechthin überlebt ist? Wie viele, die geneigt sind. Jünger in die Ahnengalerie des nihilistisch-totalitären Unheils einzureihen, mögen nicht in seinen redigierten Tagebüchern eine politische Apologie erblicken, einen Versuch, das so oft gezeichnete geistige Selbstbildnis für die Nachwelt zu retuschieren?

Kein Zweifel, das Bild Jüngers ist nicht einfach-linear, sondern schimmert in vielen Facetten. Jünger ist von einer Wandlungsfähigkeit, die man entweder als im höchsten Sinn menschlich oder als haltlos beurteilen könnte. Man entscheidet über den Rang, den man ihm zuerkennt, ob man die eine oder die andere Version gelten läßt. Gegen die Haltlosigkeit spricht, daß der Wechsel seiner Standpunkte nicht umweltbezogen, sondern Ausfluß einer Experimentierlust seines Geistes und Lebens ist; daß sich seine Wandlungen nicht entsprechend den Konstellationen des Weltgeschehens vollziehen, sondern unabhängig von ihnen oder, wenn man schon einen Zusammenhang konstruieren will, ihnen zeitlich vorauseilen. Wer wollte ihm verargen, daß er die Ouvertüre zu unserem Zeitalter deutlicher vernommen hat als seine Zeitgenossen? Wer schlägt das Barometer entzwei, weil es einen Taifun anzeigt? Nein, soviel ist sicher, Jünger verdient nicht den Bannstrahl der Moralisten, weil er unerbittlicher als andere diagnostiziert und nüchterner als viele vorausgesehen hat.

Vielleicht hat er — das mag die Mißverständnisse gefördert haben — bei seiner Neigung zum Abgründigen und Grausamen seine Visionen mit einer Leidenschaft beschrieben, die ihm als moralische Zustimmung ausgelegt wurde, während bei ihm nur ästhetischer Eifer am Werke war. Der „Arbeiter" 1932 war für ihn ein großes, hypothetisches Experimentierfeld, ein Schirm, auf den er — nur für die Hellhörigen verständlich — die starken, durchgängigen Entwicklungstendenzen der Zeit überscharf zu projizieren suchte. Das Schicksal, sein Werk von wildgewordenen Kleinbürgern als wörtlich genommene Dienstanweisung aufgefaßt und damit ad absurdum geführt zu sehen, teilt er mit anderen Geistern seiner Art. Hier eine Schuldfrage moralischer oder juristischer — nicht metaphysischer! — Natur auch nur aufzuwerfen, hieße doch wohl, die Dimensionen verwechseln und ein für allemal vor der Ignoranz zu kapitulieren.

Die „Strahlungen -schließen an Jüngers schon 1942 veröffentlichte Tagebücher „Gärten und Straßen“ an. Sie schildern seinen Aufenthalt in Paris im Stabe des Militärbefehlshabers von 1941 bis 1944, eine in diese Zeit fallende Kommandierung an die Kaukasusfront und schließlich die letzten Kriegsmonate in seinem Wohnsitz Kirchhorst bei Hannover. Das dokumentarische Interesse an seinen Berichten darf nicht gering veranschlagt werden. Sie werfen im einzelnen neues Licht auf die Generalsfronde gegen Hitler für den er — wie für Goebbels „Grandgoschier" — das Kryptonym „Kniöbolo“ gebraucht, wie schließlich auch auf ihr zwangsläufiges Versagen. Sie zeigen, wie die Fronten in der europäischen Bürgerkriegslandschaft des 20. Jahrhunderts in Wahrheit ganz anders verliefen, als die Kriegsberichter zu melden wußten, und wie sich jenseits aller sonstigen Gruppierungen eine kleine, aber entschlossene Schar gegen den Pöbelaufstand formierte. Sie zeigen aber auch exemplarisch das Gebrochene, Paradoxe und Tragische jener nicht eben seltenen Menschen, die, wie Jünger selbst, im Bauche des Leviathans" und angesichts der „Lemuren" tagten und sich ein Herz für die Schwachen und Schutzlosen zu bewahren wußten.

Aber all das, so wichtig es ist, ist nur der Erlebnisrohstoff, ist nur das Wachs in den Händen des Autprs. Nicht das Tatsächliche an und für sich ist hier relevant, sondern der Versuch, die dicke Schale des Konventionellen zu durchstoßen oder transparent zu machen; in geschliffener Sprache einen Ausdruck zu finden, der die Dinge deutlicher schildert, als sie in Wirklichkeit sind. Um verständlich zu machen, was mit Worten nicht mehr gesagt werden kann, greift Jünger, ausgehend von einer bedeutenden Kapazität der Beobachtung, die Menschen und Tiere, Pflanzen und Kristalle, Bücher und Bilder, Gegenständliches und Traumhaftes in sich hineinsaugt, zu außerordentlichen Stilmitteln. Die Sparsamkeit seines Ausdrucks läßt aufhorchen; schon das sorgsam gewählte Einleitungswort schlägt den Ton des Satzes an und soll auf Ungewöhnliches aufmerksam machen; in Symbolen und Parabeln, in Ellipsen und magischen Siegeln soll der Schleier von den Hintergründen fortgerissen werden: die Andeutung appelliert an die Aufmerksamkeit, und die Aussparung weist auf die Fülle hin. Sie wird sich nicht jedem Leser erschließen, ja gewisse eigenwillige überbetontheiten werden vielleicht manchen abstoßen.

Es geht Jünger um neue Sinngehalte, die er in immer neuen Anläufen, Spiegelungen und Vexierbildern einzufangen und zu erhellen sucht. Er kennt den Nihilismus zu gut, da er ihn ja längst geistig bis in alle Untiefen durchmessen hat, um nicht zu sehen, wohin die grausige Entschlossenheit der „Mauretanier" ihn in die Planquadrate ihrer Wirklichkeit zu übertragen, führen muß. Alle denkbaren nationalen, sozialen und ökonomischen Kategorien und Werttafeln sind zerbrochen. Einzig die religiöse ist noch unzerstört, und ihr nähert sich Jünger mit Neugier, mit den Willen, aber auch mit inneren Erfahrungen. Die Zeit ist reif geworden — wie für die Heiden im späten Rom. Die katholische Form des Christentums ist es, die mit ihrem hierarchischen Kosmos Jüngers Ordnungsdenken am stärksten anspricht und seinem faustischen Umherschweifen das Ziel zu setzen verspricht.

Worte, die er über das Gebet findet, sind von unmittelbarer, überzeugender Schlichtheit. Freilich, seine exegetischen Bemerkungen zu einer Bibellesung, die das ganze Buch durchziehen und dessen Schwerpunkt bilden, zeigen Züge einer gnostisch gefärbten Abweichung, die offenkundig machen, daß das oben angedeutete Kairos-Erlebnis eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung des Glaubens bildet und daß das Ziel noch weit ist. Die Tür ist aufgestoßen, aber die Schwelle ist noch nicht überschritten. — Jünger ist ein Autor, der immer „unterwegs“ ist. Aber das macht wohl auch die Lektüre seiner Bücher zu einer so erregenden Beschäftigung, wie es andererseits jede Rezension zu einem fragwürdigen Unterfangen stempelt.

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