Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
In vibrierender Atmosphäre
Seit alters her sucht der Kunstfreund aus dem Norden in Italien die Meisterwerke zwischen Giotto und Tiepolo. Das schönheitstrunkene Auge stutzt, wenn ihm in italienischen Museen unverhofft Bilder des 19. Jahrhunderts begegnen. Warum ist uns die Kunst zwischen Tiepolo und den Futuristen so fremd? Lebten damals lauter Epigonen?
Vorgefaßte Meinungen bilden sich besonders leicht vor politischem Hintergrund. Die Einigung Italiens hatte gerade für Österreich schmerzhafte politische Folgen.
Die Sammlung des italienischen Industriellen Gaetano Marzotto (1894-1972) ist geeignet, das italienische „Ottocento” neu zu bewerten. Leider wurde die Auswahl von 120 Bildern zunächst nur in Berlin gezeigt, wandert nun nach Amerika (Fort Worth 11. 2. - 9. 4., New York 20. 4. - 11.6.) und soll in der zweiten Jahreshälfte in London (22. 6. - 27. 8.), Paris (14. 9. - 10. 11.) und Rom (Nov./Dez. 95) Station machen.
Für die italienischen Künstler des 19. Jahrhunderts war es offensichtlich schwer, sich von dem gewaltigen Erbe früherer Epochen zu emanzipieren. Aber, wie der Kunsthistoriker Richard Muther schon vor hundert Jahren schrieb: „Das lebende Italien mit dem der Vergangenheit vergleichen, den Malern der
Gegenwart immer die großen Genien von einst als warnende Gestalter vor Augen halten, hieße sie zur Un-beweglichkeit, zur Copistentätigkeit verdammen.
Es ist ein Zeichen von Kraft unä Selbstgefühl, daß sie, statt ihre großen Meister zu copieren, auf eigene Kosten eine neue originelle Schule gründeten, daß selbst in diesem Lande, wo der Künstler durch die Fülle alter Meisterwerke erdrückt wird, sich die Malerei ihren eigenen Stil zu schaffen wußte. Italien ist nicht mehr kirchlich, nicht mehr päpstlich, sondern ein weltliches, modernes Land, eine neue Nation geworden ...”
So spiegeln die Bilder der Ausstellung teilweise noch die Kriege von 1848 und 1859, aber nicht mit
Schlachten-Panoramen, sondern mit einzelnen Soldaten.
Den „Ulanen” von Sebastiano de Albertis könnte man mit Werken von Adolph von Menzel vergleichen. Neben Darstellungen des italienischen Alltags ist deutlich der Einfluß der Schule von Barbizon zu erkennen.
Giuseppe de Nittis und Giovanni Boldini wurden in Paris beinahe zu Franzosen. Während de Nittis sich, am Impressionismus geschult, nach England wandte und die typischen Londoner Nebel-Stimmungen einfing, blieb Boldini der eleganten Welt der Großstadt verbunden - ein „Modemaler”, der sich von der neusten Damenmode inspirieren ließ: „Es ist, als ob er im voraus wüßte, welche neue Mode die kommende Saison bringt.”
„Fast herausfordernd frech und doch bestrickend durch ihren ultramodernen Chic wirken seine tiefausgeschnittenen Damen in weißen Kleidern und schwarzen Handschuhen”, lautete ein zeitgenössisches Urteil.
Gegenseitige Hochachtung verband Boldini mit Adolph von Menzel, dessen Porträt er malte. Es ist im Besitz der Berliner Nationalgalerie, die auf dem Plakat zur Ausstellung ein Bild zeigte, das im Krieg verloren ging: Der Canale Grande in Venedig von Guglielmo Ciardi (1889).
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!