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Bis heute bestimmen Erniedrigung und Ausgrenzung das Leben der Dalits in Indien. Ein wichtiges Buch von Brigitte Voykowitsch. von ursula baatz

Am 6. Dezember feierte man den 50. Todestag von Bhimrao R. Ambedkar. Er war der erste Justizminister des unabhängigen Indien, und er gilt als "Vater" der indischen Verfassung.

Bis heute ist Ambedkar eine Gestalt, an der sich die Geister scheiden. Denn Ambedkar stammt aus der Kaste der Mahar, einer Kaste der Unberührbaren, der Dalits, wie sie sich selbst nennen. Zwar ist die Unberührbarkeit in Indien seit 1950 per Gesetz abgeschafft, aber verschwunden ist diese Apartheid-Praxis keineswegs. Erniedrigung und Ausgrenzung bestimmen bis heute das Leben der Dalits vor allem in den rund 600.000 Dörfern Indiens. Denn die indische Gesellschaft ist nach wie vor durch das Kastendenken bestimmt, das in religiösen Texten und Ritualgesetzen der Hindu-Traditionen verankert ist. Wer unberührbar ist, gilt nicht als Mensch im Vollsinn des Wortes, hat keinen Anspruch auf Teilnahme an der Gesellschaft, auf Wasser, auf Essen, auf Bildung, auf anständige Entlohnung - keinen Anspruch auf Menschenwürde und Menschenrechte.

Kein "richtiger" Mensch

Ambedkar, der seit Anfang der 1920er Jahre für die sozialen, ökonomischen und politischen Rechte der Dalits kämpfte, trat deswegen 1956 zusammen mit mehreren hunderttausend Dalits zum Buddhismus über. Fast ein Viertel der indischen Bevölkerung, rund 240 Millionen Menschen, sind Dalits, und bis heute müssen sie um ihre Rechte kämpfen.

Die ORF-Journalistin, Furche-Autorin und Indien-Expertin Brigitte Voykowitsch, die sich seit langem mit dem Schicksal der Dalits beschäftigt, hat nun die erste deutschsprachige Monografie zum Thema veröffentlicht.

Mord und Gewalt

Was man darin erfährt, irritiert sehr - denn es stört das Bild von den toleranten und menschenfreundlichen Hindu-Traditionen kräftig. Zum Beispiel: ein junger Mann findet in der Großstadt Mumbai Arbeit, kauft sich mit selbst verdientem Geld Schuhe und Hemd, trägt dies, als er die Eltern im heimatlichen Dorf besucht, und wird deswegen ermordet - weil es einem Dalit nicht zusteht, Hemd und Schuhe zu tragen.

Eltern aus der Brahmanenkaste töten ihre Tochter und deren Verlobten, weil dieser ein Dalit ist. Einer jungen Frau werden die Brüste abgeschnitten, weil sie es wagt, vom Dorfbrunnen Wasser zu holen gegen den Willen der oberen Kasten. All das ist nicht in fernen Jahrhunderten geschehen, sondern in den letzten Jahren.

Auf Basis einer Unzahl von Interviews zeichnet Brigitte Voykowitsch die Situation der Dalits heute nach. Sie erzählt davon, wieviel Mut nötig ist, um sich anderen gegenüber als Dalit zu deklarieren; von Kindern, die plötzlich bemerken, dass sie ausgeschlossen werden, und die beschließen, aus der Unterdrückung auszubrechen und das auch schaffen. Sie erzählt von der Verehrung der Dalits für Ambedkar, der sie Selbstachtung gelehrt hat; oder von Frauen wie zum Beispiel der Schriftstellerin Urmila Pawar. Nach einer gar nicht idyllischen Kindheit am Dorf ging sie in die Stadt, studierte und begann zu schreiben. Sie thematisiert die Unterdrückung der Dalits - und die Unterdrückung der Dalit-Frauen durch die Dalit-Männer, ein Thema, das bei Dalit-Politikern nicht immer gut ankommt. Doch in Ambedkars Bewegung hatte es viele Frauen gegeben, deren Leben Urmila Pawar dokumentiert hat.

Jedes der Kapitel in Brigitte Voykowitschs Buch eröffnet ein neues Fenster in die Vielfalt von Leben und Kultur der Dalits. Es ist ein wichtiges Buch - es macht auf eklatante Menschenrechtsverletzungen aufmerksam, und es zeigt, dass es möglich ist, Unrecht zu stoppen.

Dalits

Die Unberührbaren in Indien

Von Brigitte Voykowitsch

Verlag der Apfel, Wien 2006

224 Seiten, geb., Euro 26,80

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