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ins Angesicht der politischen Angst und sozialen Not

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hinein. Mutig vor der Welt, die heute auf Wien lauscht, wo man immer noch Kathedralen aufbauen kann. Mutig vor der Regierung unseres Landes, die hier anwesend ist, die nicht Herr der Kirche ist, nicht wohlwollender und gelegentlich liebenswürdiger Beschützer, sondern Partner, Mitarbeiter, Mitverantwortlicher, Mitver- schicksalter, weil in einem einmal getauften Land Freiheit und Würde aller und mithin der Staat selbst steht und fällt mit der Kirche, die unser Segen und unser Geschick ist. Mutig endlich durch die Kraft des Heiligen Geistes, der auch Eisen durchdringt und der nicht angewiesen ist auf die Waffen der kriegerischen Gewalt.

Das erste Wort sei das Wort von der Würde des Menschen. Ist das nicht anmaßend? Heute, wo wir die Perle dieser Würde in der Gosse unserer dumpfen und geilen Straßen suchen müssen, wo uns Tausende, auch im eigenen Land, entgegenrufen: Hört uns doch auf, diese gesalbten Worte in den übervollen Mund zu nehmen! Wir, die Vertriebenen, die

von Finanzkünsten Enteigneten, wir kleinen Leute, die wir nicht reden können, die wir dumpf und staatsfromm unsere Fron schleppen, wir, die wir akademisch hungern, um noch dem Geist zu dienen: wir empfinden euer Losungswort als Phrase oder als Beleidigung. Denn ihr nedet wieder einmal, während wir verzweifelt um den letzten , Rest eines menschenwürdigen Lebens kämpfen, und -es ist doch ein Grundgesetz eurer kartholischen Gesellschaftslehre, daß ein mtensthenwürdiges Leben nur gedeihen und abgefordert werden kann, wenn Broit und Wohnung und Verdienst und Liebte und Kind gewährleistet ist. Euer Programm und eure Papstworte in Ehren: aber wo bleibt eure Tat?

Hier muß das Mea culpa unseres Katholikfentages einsetzen, ein Bekenntnis unserer eigenen Schuld, das zum herz- durchbobrenden Vorwurf wird für uns — freilich auch zum Tua culpa für die Verantwortlichen außerhalb der Mauern der Kirche, die sozial gesinnt sind oder es laut ihren Grundsätzen sein sollten —

zum Vorwurf und zum Anfang einer tapferen Tat. Wir alle haben uns seit den Tagen der Katastrophe von 1945 wiedör eingerichtet in den mühsam ergatterten Winkeln unserer augenblicklichen, vom Staat mühsam garantierten Geborgenheit, und darum haben wir mit der immer neu erstaunlichen Behendigkeit der Eigenliebe des würdelosen Daseins derer vergessen, die daneben geraten sind im Sturm auf die Plätze der Versorgtheit. Nebenher sind wir dann auch noch katholisch, mit einer sonntäglich gerührten

Nachlässigkeit und in den schönen, aber langsam fast gespenstisch werdenden Formen unserer ach so oft gerühmten barocken und altösterreichischen Tradition. Was immer auch die anderen, die nicht unseres Glaubens sind, auf diese der Tiefe der verletzten Menschenwürde sich entringenden Vorwürfe antworten mögen, wenn sie eine Antwort haben: wir Christen, gerade weil wir katholische Christen sind, dürfen uns um die Antwort nicht drücken; gerade weil wir nachher das Gloria zu singen wagen, ob der zutiefst nur in unserem Glauben und in der Kirche gesicherten, verteidigten und stets in neuer Jugendschönheit wieder entfaltbaren Menschenwürde, muß zuerst unsere Selbstanklage echter und glaubwürdiger sein. Im Barbarensturm des 5. Jahrhunderts, als das staatsgesicherte Christentum des römischen Imperiums zusammenbrach, rief ein lateinischer Kirchenvater seinen Christen ins Gewissen: „Der Name Christ ohne Leistung und ohne Verpflichtung ist nichts, ist Zierrat im Kot, ist wie der goldene Ring in der Nase eines Schweins. Beachtet es doch: selbst ungezählte Völker sind namenlos geworden, well ihre Leistungen aufgehört haben.“ Stehen wir heute wieder vor einem Barbarensturm, der (letztlich im Auftrag des in der Geschichte richtenden Gottes) die Tenne seiner Kirche reinigen muß? Es dringt nicht nur der Sang unserer Katholikentage und der Weihrauchduft unserer Glaubensfreude durch die eisernen Vorhänge, sondern lange vorher schon hat man dort hinten unser Gelächter vernommen und den brüllenden Lärm unserer sogenannten Kultur. Tun wir nicht alle so, als sei gar nichts passiert in der Weltgeschichte, als sei Freiheit und Würde bei uns wie eh und je zu Hause? Müßte nicht eben jener gewaltige Bußprediger aus dem verfallenden Römerreich auch zu uns kommen und uns sagen, was er seinen Katholiken gesagt hat: „Wir sind elend, und dennoch schwelgerisch, armselig, aber ausschweifend. Mögen die Laster sein aus der Zeit des Friedens und des gesicherten Wohlstands: warum aber sind sie denn heute noch da, wo kein Friede mehr herrscht und keine Sicherheit? Wer, so frage ich, kann Ausschweifung noch ertragen bei einem Bettler? Gibt es etwas Schändlicheres als einen hungernden Possenreißer? Unser Staat aber ist armselig und ausschweifend." Und dann hat er das seitdem unvergessene und immer neu erschütternde Wort geprägt: „Jawohl, Rom stirfet — und lacht!" Also lautet drum die Frage unserer Selbstanklage: Muß es nicht auch heißen: Österreich stirbt und lacht? Und dies, weil wir katholische Christen dieses Landes schon heimlich zu Barbaren geworden sind, so daß sich auch an uns jene tiefe Geschichtseinsicht bewahrheitet, die einmal Ortega y Gasset von eben jenem Zusammenbruch des Römerstaates unter dem Barbarensturm ausgesprochen hat: „Heute wissen wir, daß jene schreckliche Krise nicht darin bestand, daß die Barbaren über die Kultur hereinbrachen, sondern umgekehrt, daß die Gebildeten zu Barbaren geworden waren." Fragen wir uns also ehrlich: Was tun wir katholische Christen von Österreich, um den Zusammenbruch aller Menschenwürde noch aufzuhalten ? Ein Barbar und nicht mehr ein Christ ist, wer nicht unter Selbstverzicht etwas tut für seinen Bruder. Ein Barbar und kein Christ '• ist, wer seine Personwürde so weit aufgegeben hat, daß er alle echte Verantwortung auf den Staat abschiebt,

auf das anonyme „Man“, vop dem man sein Ich distanziert in einer vornehmen Flucht oder im Groll des heimlich wühlenden Widerstands. Zum Barbaren wird, wer die christliche Botschaft des Geistes und der jenseitigen Berufung verwirft, ganz gleich, ob er tut um eines noblen Humanismus der Diesseitigkeit willen oder als Verkünder eines kämpferischen Atheismus. Denn beide werden nicht mehr Meister über die alle Menschenwürde unheimlich und heimlich zugleich vernichtenden Kräfte dessen, den das Gotteswort den „Menschenmörder von Anbeginn" nennt. Wir aber, die faul gewordenen Christen, sind die Wegbereiter dieses Barbarentums, wenn wir zu feige sind, ihm innerhalb der Mauern unserer Polis, unserer Politik, unserer Lebensführung entgegenzutreten. Ein Barbar und kein Christ mehr ist der unter uns, der nicht weiß oder es nicht wissen mag, um was heute gespielt wird, der nichts wagt und nichts verantwortet.

Und so sei es denn gesagt:

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